So stimmt die Chemie: Öffentliche Wahrnehmung und Kommunikation
München, 23. April 2015
Chemie! Als Schulfach wird sie von wenigen geliebt und von vielen gefürchtet. Im Alltag ist sie allgegenwärtig, unverzichtbar und doch häufig Gegenstand gesellschaftlicher Kontroversen. Wie sich die Kluft zwischen Ansehen und Bedeutung der Chemie überbrücken lässt, war die Leitfrage der Tagung „Chemie und Gesellschaft“ von acatech gemeinsam mit der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) und dem Deutschen Museum am 15. bis 17. April 2015 in München. 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Wirtschaft, Naturwissenschaft und Reflexionswissenschaften wie Geschichte, Philosophie und Sozialwissenschaften diskutierten über Fragen der öffentlichen Wahrnehmung und über Perspektiven für die Chemie-Kommunikation.
„Die Chemie als Teufelswerk? 2300 Jahre Chemiekritik“ – mit seinem Eröffnungsvortrag stellte Joachim Schummer die Tagung in den historischen Kontext. Tatsächlich lässt sich das Image der Chemie und vormals Alchemie als Geheimwissenschaft, die in die Schöpfung eingreift, bis in die Antike hinein verfolgen. Ob Dr. Faustus oder Dr. Frankenstein – Alchemisten und teils auch heutige Chemiker werden durch die Jahrhunderte hinweg als sonderbare und gefährliche Gestalten dargestellt. Dabei seien es die Chemiker selbst, so Schummer, die kulturhistorische Klischees mitunter bestätigen, wenn sie epistemische, technische oder ethische Grenzen ignorieren und gesellschaftliche Kritik als irrelevant abtun. Peter Weingart (Universität Bielefeld) führte diese Spurensuche des öffentlichen Bildes der Chemiker fort und zeigte Ausschnitte aus Spielfilmen und Comics.
Auch in der säkularisierten Moderne prägen Vorurteile das Bild der Chemie. Bereits vor rund zwanzig Jahren thematisierte das Programm „Chemie und Geisteswissenschaften“ des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft die Diskrepanz von Bedeutung und öffentlicher Wahrnehmung der Chemie. Heute stehe zwar nicht mehr „die Chemie“ im Zentrum der Diskussion, stellte Günter Stock (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften) fest. Gesellschaftliche Kontroversen bezögen sich vielmehr auf interdisziplinäre Felder, wie etwa die Nanotechnologie. Chemiker müssten sich indes dieser Interdisziplinarität und gleichzeitig dem Dialog mit der Öffentlichkeit stellen.
Den Ursachen der geringen Sichtbarkeit der Chemie in den Medien ging Holger Wormer (TU Dortmund) nach. Jürgen Hampel (Universität Stuttgart) stellte Ergebnisse der Einstellungsforschung vor. Für beide Sichtweisen stellte sich als entscheidend heraus, wie „die Chemie“ gefasst und verstanden wird: als Wissenschaft, als Industriezweig oder manifestiert in ihren Produkten. Eine weitere Podiumsdiskussion thematisierte Bezüge zwischen Didaktik und Wissenschaftskommunikation. Ob Lehrer oder Journalist – zunächst müsse bei den Zielgruppen die Bereitschaft gefördert werden, sich auf komplexe Themen einzulassen. Im Mittelpunkt der Abschlussdiskussion stand deshalb, wie das Verständnis über die Wechselwirkungen von Chemie und Gesellschaft in die Chemiecurricula integriert werden können, um eine Voraussetzung für den gelingenden Dialog zwischen Chemie und Gesellschaft zu schaffen.
Weiterführende Informationen
Deutsches Museum, Ausstellung Chemie
GDCh AG „Chemie und Gesellschaft“