3 Fragen an Angelika Bullinger-Hoffmann, Martin Krzywdzinski und Hartmut Hirsch-Kreinsen zu „Wie verändern neue Technologien die Arbeit in Produktionsbetrieben?“

Bildnachweise:
Angelika Bullinger-Hoffmann © Ph. Hiersemann; Martin Krzywdzinski © David Ausserhofer ; Hartmut Hirsch-Kreinsen © privat
München, 30. Januar 2025
1. Welche Möglichkeiten/Potenziale und Herausforderungen bringen neue Technologien für die Arbeit in Produktionsbetrieben mit sich?
Angelika Bullinger-Hoffmann:
Zwischen den beiden Polen „Wissensarbeit“ und „Produktion“ gibt es einen interessanten Übergangsbereich, auf den ich hier besonders hinweisen möchte: gerade in der Industrie stellen sich Aufgaben, die zwischen bürobasierter Wissensarbeit und manuellen Verrichtungen auf dem Shopfloor angesiedelt sind. Ich spreche von Inbetriebnahmen, Wartungen, Instandsetzungen, der Planung von Umbauten und Erweiterungen … Hier kommen geistige Tätigkeit – etwa durch diagnostische und Problemlösefähigkeiten in Verbindung mit hochspezifischem Fachwissen – und manuelle Tätigkeiten, d. h. Inspektionen, De- und Remontagen etc. zusammen. Oft genug braucht es dabei auch ein Zusammenspiel zwischen Betreibern von (Produktions-)Anlagen, deren Ausrüstern und industrienahen Dienstleistern – bislang vor allem in der Form, dass Beschäftigte der Ausrüster und Dienstleister sich auf Dienstreisen zu den Anlagenbetreibern begeben mussten. Hier bietet die Technologie der Telepräsenzrobotik zum Beispiel hohes Potential, um z. B. Fernunterstützung durch einen kompetenten Instandhalter an einem anderen Standort zu realisieren und so in der Produktion spürbar für die Mitarbeitenden einen positiven Effekt zu realisieren. Die beiden Forschungsprojekte PraeRI und TeleInteractionXR haben hier erste Use Cases geschaffen.
Martin Krzywdzinski:
Industrie 4.0-Technologien schaffen eine Vielzahl von Möglichkeiten für eine neue Gestaltung von Arbeit. Das fängt bei der Reduktion von belastenden und repetitiven Tätigkeiten sowie dem Einsatz von digitalen Assistenzsystemen an, mit denen Beschäftigte im Arbeitsprozess zur Bewältigung komplexerer Aufgaben befähigt werden können. Im Prinzip wären aber auch neue Formen der Arbeitsorganisation mit flexibleren und ganzheitlicheren Arbeitsumfängen für die Beschäftigten denkbar. Zu den Herausforderungen gehören die Auswahl und Implementierung der technologischen Lösungen. Hier gilt es so vorzugehen, dass die Bedarfe der Beschäftigten von vornherein berücksichtigt werden.
Hartmut Hirsch-Kreinsen:
Fraglos eröffnen die neuen Technologien Chancen, Arbeit human zu gestalten. Freilich ist dies kein Automatismus und Selbstläufer. Vielmehr liegt die Herausforderung darin, dass Unternehmen bei der Einführung der neuen Systeme ihre bisherigen Routinen der Organisation und des Personaleinsatzes verlassen, und Technologie, Organisation, Qualifikationen systematisch und ganzheitlich aufeinander abgestimmt gestalten. Indes zeigen Forschungsergebnisse immer wieder, dass viele Unternehmen ihre eingefahrenen organisatorischen und personellen Routinen nicht verlassen und daher die sozialen und damit letztlich auch die ökonomischen Potenziale der neuen Technologien nicht ausschöpfen.
2. Welche New-Work-Konzepte sehen Sie in der Produktion als relevant an, und welche Schritte sind notwendig, um diese erfolgreich zu implementieren?
Angelika Bullinger-Hoffmann:
Gemäß der oben erwähnten scheinbar diametralen Pole Wissensarbeit und Produktion wird häufig angenommen, dass flexible Arbeitszeiten in der Produktion grundsätzlich nicht möglich sind. Dies ist in der Praxis jedoch zumeist zurückzuführen auf über Jahrzehnte gewachsene, starre Strukturen – nicht darauf, dass aus einem objektiven Grund Mitarbeitende nicht in Entscheidungen über ihre Arbeitsgestaltung einbezogen werden. Gelingt es z. B. durch integrative Kommunikationskonzepte und eine neutrale Moderation, HR, Betriebsrat, Schichtplanende und die Betroffenen, d. h. Repräsentanten der Schichtarbeitenden, frühzeitig zusammenzubringen, lassen sich für manche überraschende Lösungen finden, die auf hohen Konsens treffen. So entstehen z.B. “Hortschichten” oder variable Schichtübergänge, die die Zufriedenheit der Mitarbeitenden steigern.
Martin Krzywdzinski:
New Work ist kein sehr präzises definiertes Konzept. Zu den häufig genannten Elementen zählen Flexibilität im Hinblick auf Arbeitszeit und -ort sowie eine Stärkung der Autonomie der Beschäftigten in Arbeitsprozessen. Für die Flexibilität von Arbeitszeit und Arbeitsorten gibt es in der Produktion Grenzen, aber die Digitalisierung der Prozesse kann es erlauben, diese Grenzen zumindest ein Stückchen zu verschieben, indem teilweise virtuelle Arbeit ermöglicht wird. Spielräume für eine Erhöhung der Autonomie der Beschäftigten in Arbeitsprozessen gibt es, wenn Assistenzsysteme gezielt für diesen Zweck und die Bedarfe der Beschäftigten entwickelt werden.
Hartmut Hirsch-Kreinsen:
In der Produktion spielen bei der Einführung von New-Work Konzepten naturgemäß besondere Bedingungen eine Rolle. Zu nennen sind hier prozessbedingte Erfordernisse wie taktgebundene Fertigungslinien oder auch Sicherheitsanforderungen. Jedoch eröffnet Industrie 4.0 durchaus Chancen für New-Work auch für Tätigkeiten auf dem Shopfloor. So ermöglicht der Einsatz von Cloud-Services und spezialisierter Software in vielen Tätigkeitsbereichen über einen entsprechenden Datenzugriff Arbeit zeit- und ortsflexibel zu gestalten. Vernetzte Systeme bieten deutlich verbesserte Möglichkeiten für kollaborative Arbeitsformen mit flachen Hierarchien. Systeme mit Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) bieten neue Dimensionen der Visualisierung von Prozessen. Um diese bislang kaum genutzten Potenziale auszuschöpfen, müssen Management und auch Betriebsräte ihre eingefahrenen Routinen und Vorstellungen von Arbeit hinterfragen. .
Wie können Unternehmen das Vertrauen der Mitarbeitenden in neue Technologien stärken und gleichzeitig die Weiterbildung effektiver gestalten?
Angelika Bullinger-Hoffmann:
Bei der Einführung neuer Technologien ist es zu spät, um noch an das Vertrauen der Mitarbeitenden zu appellieren – dieses gilt es zu gewinnen, indem vor Auswahl einer neuen Technologie z. B. in einem Fertigungssegment mit den dort tätigen Menschen gesprochen wird, wo sie größte Verbesserungspotentiale sehen. Dieser Einbezug macht aus den Betroffenen Beteiligte, die auch deutlich interessierter an der zur Technologie gehörenden Weiterbildung sind. Wenn dann die Weiterbildung auch noch gestützt wird durch geeignete effektive Instrumente wie Telepräsenzrobotik und XR-Technologien, die den Mitarbeitenden zeigen, dass an dem Wissensaufbau Interesse besteht, sind die Weichen gestellt für Akzeptanz und Nutzung.
Martin Krzywdzinski:
Vertrauen und Akzeptanz entstehen, wenn Beschäftigte frühzeitig in die Definition der Bedarfe für den Technologieeinsatz und die Implementierung neuer Technologien einbezogen werden. Eine funktionierende Mitbestimmung ist hier ein wichtiger Punkt. Im Hinblick auf Weiterbildung braucht es eine gute Verbindung von Schulungen und Qualifizierung direkt am Arbeitsplatz. Für den letzten Punkt halte ich die Entwicklung von Multiplikatorenrollen auf dem Shopfloor für interessant, wobei Beschäftigte selbst die Weiterbildung ihrer Kolleginnen und Kollegen unterstützen und dafür auch Zeitressourcen bekommen.
Hartmut Hirsch-Kreinsen:
Die Ergebnisse unserer im Auftrag des Forschungsbeirates durchgeführten Studie über „Akzeptanz von Industrie 4.0“ zeigen, dass die Akzeptanz neuer Technologien durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter maßgeblich von folgenden Faktoren abhängt: Einer möglichst frühzeitigen Information und kontinuierliche Kommunikation über Zielsetzungen der neuen Technologien; eine transparente HR-Planung, die befürchtete soziale Konsequenzen ausschließt; die laufende Optimierung der neuen Prozesse durch Partizipation an der Feinplanung, fortlaufendes Monitoring und eine fehlertolerante Systemeinführung; systematische Qualifizierung mit „großen Spielräumen zum Testen und Probieren“ bietet.
Die Publikation des Forschungsbeirats Industrie 4.0 „Wie verändern neue Technologien die Arbeit in Produktionsbetrieben?“ vertieft diese Themen. Die Publikation finden Sie hier.