acatech am Dienstag: Experten plädieren für Technologieoffenheit in der Industriepolitik
München, 29. März 2019
Im Februar hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier die „Nationale Industriestrategie 2030“ vorgelegt, die sich für eine stärkere industriepolitische Lenkung der Wirtschaft ausspricht. Vor diesem Hintergrund diskutierten Oliver Falck, Leiter des ifo Zentrums für Industrieökonomik und neue Technologien, sowie acatech Vizepräsident Hermann Requardt am 26. März bei acatech am Dienstag in München darüber, welche Instrumente die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und Europas fördern können und wo die Grenzen staatlicher Interventionen liegen. Deutschland solle seine Industriepolitik technologieoffen gestalten, statt sich verfrüht auf die Förderung einzelner Branchen oder Unternehmen zu beschränken, betonten beide Experten.
„Industriepolitische Strategien erleben in vielen Teilen der Welt eine Renaissance, es gibt kaum ein erfolgreiches Land, das zur Bewältigung der Aufgaben ausschließlich und ausnahmslos auf die Kräfte des Marktes setzt“, so heißt es in der „Nationalen Industriestrategie 2030“, die Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier im Februar vorgelegt hat. In dem Papier schlägt der CDU-Politiker unter anderem vor, nationale Unternehmen zu schützen, in Ausnahmefällen staatliche Beteiligungsgesellschaften zu gründen sowie ausländisches Kapital auszusperren. Der Vorschlag des Ministers hat eine neue Grundsatzdebatte darüber ausgelöst, welche Rolle der Staat bei der Wirtschaftsförderung spielen soll.
„Keine one-size-fits-all-Industriepolitik möglich”
Oliver Falck, Professor für Volkswirtschaftslehre, stellte dar, inwiefern die neue Wachstumstheorie Schlussfolgerungen für eine deutsche Industriepolitik zulässt. Diese Theorie unterscheide Länder „an der Technologiegrenze“ von solchen, die sich hinter dieser Grenze befinden. Während erstere nur durch genuine Innovationen wachsen könnten, führe im zweiten Fall auch Imitation zu Wachstum. „Es gibt keine one-size-fits-all-Industriepolitik,“, betonte Falck. Laut Theorie helfen Wettbewerbseinschränkungen und Lenkung den Ländern hinter der Technologiegrenze im Aufholen. Wettbewerb sei dagegen die beste Industriepolitik für Länder wie Deutschland, die in vielen Branchen an der Technologiegrenze mitspielen.
„Jedoch sind die Wettbewerbsverhältnisse international sehr ungleich“, sagte der Ökonom, und verwies etwa auf einen beschränkten Marktzugang in China sowie die exklusive Datennutzung von Digitalriesen. „Einfache Antworten werden daher wahrscheinlich nicht helfen – weder der reine Wettbewerb noch Protektionismus.“ Kritisch bewertete er in diesem Zusammenhang auch die Schaffung nationaler oder europäischer Champions, ein Vorschlag des Altmaier-Papiers. Groß sei nicht unbedingt innovativ und in Deutschland gebe es viele Hidden Champions im Mittelstand, sagte er. Eine politische Einflussnahme auf europäischer Ebene, etwa durch eine EU-Ministererlaubnis, führe zu einer gewissen Beliebigkeit von Wettbewerbsentscheidungen und sei mit 27 Mitgliedsstaaten schwer umzusetzen.
Trifft der Staat die richtige Auswahl?
Einer lenkenden Innovations- und Industriepolitik des Staates begegnete Falck ebenfalls mit Skepsis. Vielfach werde gefragt: Trifft der Staat die richtige Auswahl, wenn es etwa um zukunftsfähige Technologien geht? „Eventuell wählt der Staat nicht schlechter aus als der Markt, aber er lässt schwache Unternehmen dann nur schwer wieder fallen“, sagte er. Das Papier des Bundeswirtschaftsministers hatte zehn „Schlüsselbranchen“ definiert; dazu gehören die Branchen Stahl, Chemie, Maschinen, Auto, Optik, Medizingeräte, Green-Tech, Rüstung, Luft- und Raumfahrt sowie der 3D-Druck. Erwähnt wurden auch Unternehmen wie Siemens, Deutsche Bank, die Autoindustrie oder Thyssen-Krupp, deren langfristiger Erfolg im nationalen Interesse lägen.
Oliver Falck skizzierte wirtschaftspolitische Instrumente für einen Mittelweg zwischen Abschottung und unreguliertem Wettbewerb. So könnte ein europäisches Marktscreening für Maßnahmen der Marktöffnung und Reziprozität eingesetzt werden: Der Zugang ausländischen Kapitals zum europäischen Markt könne an den eigenen Zutritt in anderen Märkten gekoppelt werden. Des Weiteren sei es wichtig den europäischen Binnenmarkt zu vervollständigen, indem Handelsbarrieren abgebaut werden. Weil Daten wichtige Innovationstreiber sind, sah der Volkswirt auch hier ein politische Regulierungsmöglichkeit. Der Volkswirt befürwortete zudem eine steuerliche Förderung von Forschungs- und Entwicklungskosten sowie mehr Wettbewerb in der öffentlichen Beschaffung.
Risikobehaftete Technologien brauchen politische Garantien
acatech Vizepräsident Hermann Requardt skizzierte industriepolitische Ansätze in verschiedenen Ländern wie Korea, Israel und den USA. Bei den jeweiligen Ländern können ganz spezifische Entwicklungspfade nachgezeichnet werden, die sich auch infolge von Strukturumbrüchen ergeben haben: in Korea war es die Neuausrichtung auf Bio-, Automobil- und Elektrotechnologie nach dem Zusammenbruch des Schiffsbaus; in Israel war es der starke Rückhalt in der Rüstungsindustrie und die Einwanderungspolitik die zu einem starken Technologiesektor mit vielen Venture Capital finanzierten Tech-Startups geführt haben; und in den USA hat der Prozess der Deindustrialisierung und die Spin-Offs von Eliteuniversitäten wie Stanford und Harvard zu Inkubatornetzwerken wie dem Silicon Valley oder Bostons Route 128 geführt.
Auch in Deutschland habe es immer wieder industriepolitische „Mammutprojekte“ gegeben, etwa die Kernenergie. Ohne Garantien des Staates für Entsorgung und Risiken hätten sich keine Hersteller und Betreiber kerntechnische Anlagen gefunden, sagte er. Heute gebe es im Bereich der E-Mobilität eine vergleichbare Konstellation. Hersteller von Produkten wie E-Tankstellen benötigten politische Garantien, dass eine ausreichende elektrische Infrastruktur geschaffen werde.
Anhand eines Beispiels aus der Medizintechnik verdeutlichte er, dass risikobehaftete technologiepolitische Weichenstellungen einen enormen Rückhalt von Seiten der Politik benötigen um tatsächlich von Erfolg gekrönt zu sein. Im konkreten Fall ging es um eine Großanlage zur medizinischen Strahlentherapie mit erheblichen Forschungs- und Vorleistungscharakter, die ohne industriepolitische Unterstützung nicht zu stemmen wäre. Zwar gäbe es in Deutschland viele institutionelle Partner, die hier Hilfestellung leisten können, aber im Gegensatz zu vergleichbaren Projekten in China laufe das doch eher schwerfällig.
Für eine erfolgreiche Industriepolitik sei Technologieoffenheit zentral, sagte der ehemalige CEO von Siemens Healthcare „Ich sehe sie eher bei Ingenieuren und Technologiemanagern aufgehoben.“
Von China lernen?
In der Diskussion stand die industriepolitische Strategie Chinas im Mittelpunkt. „Können wir etwas von China lernen“, fragte eine Teilnehmerin. Beide Experten betonten, dass China Wissen und Erfahrungen aus anderen Ländern einhole und erfolgreich in die eigene Industrie einbeziehe. Deutschland solle über die systematische Zuwanderung von hochqualifizierten Fachkräften nachdenken, empfahlen Falck und Requardt. Es gelte, die positiven Aspekte beider Industriekulturen zu verbinden und so einen gelungenen Mittelweg voranzutreiben.