acatech am Dienstag: Lebhafte Diskussion zur Digitalisierung im Fußball
München, 29. Mai 2018
Digitale Technologien wie Torlinientechnik und Tracking-Systeme verändern den Fußballsport. Darin stimmten die ehemalige Profispielerin Kathrin Lehmann, der Leiter des Fraunhofer-Instituts IIS Albert Heuberger und der Datenanalyst Sven Tröster (Chefredakteur Opta) bei acatech am Dienstag überein. Sie sprachen darüber, wie leistungsfähig die Technologien bereits sind – und welche Folgen sie für den Spieler- und Trainerberuf haben.
acatech Mitglied Albert Heuberger sagte, dass Beschleunigungsmesssysteme, Tracking-Technologien und Bildverarbeitungstechnik heute bereits sehr leistungsfähig seien und gute Rohdaten aus Sportereignissen ermitteln könnten. Sowohl die am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen entwickelte Torlinientechnik als auch Tracking-Systeme zur Ortung von Spielerinnen, Spielern und Ball funktionierten zuverlässig. Dagegen müsse die rein optische Nachverfolgung noch verbessert werden.
Nicht alle technischen Möglichkeiten können in der Praxis ausgeschöpft werden, erläuterte der Ingenieur in der Diskussion mit dem Publikum. So lasse der Fußballweltverband das Tracking mittels Sendern, die an Ball und Spielern angebracht werden, bislang nicht zu. Andere Sportarten, vor allem American Football und Eishockey, seien deutlich technikaffiner als der Fußballsport.
Laut Albert Heuberger ist der Einsatz künstlicher Intelligenz der nächste Schritt in der Sportdatenanalyse: An der automatischen Erhebung der Daten mittels Maschinen-Lernverfahren werde derzeit gearbeitet. Komplexe mathematische Parametersätze könnten neue Erkenntnisse liefern, warum eine Mannschaft besser aufgestellt ist als die andere, hob er die Potentiale der Big Data Analyse hervor.
Spielerinnen und Spieler weltweit vergleichbar
Sven Tröster erklärte, wie Sportdaten erfasst und von Trainern, Mannschaften und Medien genutzt werden: Zwei Analysten verfolgen das Spiel am Fernseh-Bildschirm und tragen jedes „Ball-Ereignis“ mit der Information zu Zeit und Ort auf dem Feld ein; ein „Checker“ überprüft die Angaben. Nicht immer herrsche Einigkeit, wer etwa einen Zweikampf gewonnen habe. Sechs Kameras erzeugen jeweils 25 Bilder pro Sekunde und halten genau fest, wer mit welcher Geschwindigkeit wohin läuft und wer treffgenaue Pässe spielt. Die Bilderkennung sei aber noch nicht fehlerfrei. Dem System müsse genannt werden, was der Ball und wer die einzelnen Spieler seien.
Weil die höchste Spielklasse in 30 Ländern in der Datenbank erfasst werde, könnten Spieler weltweit anhand verschiedener Parameter verglichen werden. Für Scouts sei das ein sehr effizientes Tool, betonte Sven Tröster.
Körpergefühl und Entscheidungsfähigkeit gehen verloren
Die ehemalige Schweizer Fußballnationalspielerin Kathrin Lehmann blickte ambivalent auf die technologischen Möglichkeiten im Sport. Sie kenne die Perspektive der Spielerin, die ständig vermessen wird – aber auch die der Trainerin, die nun neue Hilfsmittel einsetzen kann. Sie hob negative Folgen des Technikeinsatzes für Sportlerinnen und Sportler hervor: Seit der digitalen Erhebung der Daten müsse man nicht mehr besser als die Gegnermannschaft, sondern besser als die eigenen Mitspieler sein. Die Hierarchien und das Gefüge innerhalb der Mannschaften hätten sich dadurch verschoben. Die Orientierung an technisch erhobenen Daten bewirke außerdem, dass die Spielerinnen und Spieler kaum eigenes Körpergefühl entwickelten oder nicht mehr darauf vertrauten.
In der Abschlussdiskussion bezweifelte Kathrin Lehmann auch, dass die technischen Möglichkeiten zu einem leistungsfähigeren Fußball führen. Vielmehr würden die Spiele langweiliger, weil alle Entscheidungen für Spielstrategien und -situationen aufgrund von Daten getroffen würden. Die Sportart sei zu langsam, gebe zu wenig her, um viel aus den Daten herauszuholen, sagte sie. Die Digitalisierung im Fußball bezeichnete sie als Blase, aus der derzeit Geld gewonnen werde. Sie sei überzeugt, dass die digitalen Technologien letztlich dazu führen, sich wieder auf die menschlichen Eigenschaften von Spielern zurückzubesinnen. Die heutige Trainerin wagte auch gleich eine entsprechende Prognose für die Fußballweltmeisterschaft: Das Turnier werde durch einen schwerwiegenden Spielerfehler entschieden.