„Es geht um die Demokratie.“
Sie haben am Fall des Waldsterbens illustriert, dass Gelder auch in der von öffentlichen Interessen bestimmten Programmforschung plötzlich versiegen können. Läuft die thematische Orientierung der Forschung denn einzig über Geld?
Nicht einzig, aber Geld ist ein wichtiges Thema. Die Energiewende mit dem Ausstieg aus der Kernenergie beispielsweise ist zwar ein gesellschaftspolitisches Projekt. Es ist aber nur konsequent, dass es dann auch kein Geld mehr für Kernenergieforschung gibt, abgesehen von der Sicherheitsforschung für die Stilllegung und den Rückbau der Anlagen sowie die Endlagerung von radioaktivem Abfall. Die Frage der Endlagerforschung steht ja trotz des Ausstiegs im Raum und wird ein neuer Schwerpunkt mit dem Aufbau neuer Kompetenzen sein. Aber in der Kerntechnik generell ist Deutschland international dann nur noch bedingt sprechfähig.
Heißt das, als Folge der Programmorientierung kann Deutschland nicht mehr mitreden?
Naja. Ringsherum wird die Kernenergie ja weiter betrieben, in Frankreich, in Belgien, in Tschechien. Die Polen planen, die Finnen bauen und die Schweden machen weiter, die Engländer wollen eventuell auch neue Atomkraftwerke. Wenn es dann beispielsweise um Standards für künftige Kernkraftwerke geht, die an unseren Grenzen gebaut werden, sind wir natürlich nicht mehr in der ersten Reihe der Kompetenzträger. Pointiert gesagt, müssen wir uns da dann vom Ausland beraten lassen.
Ebenso betrifft die Energiewende die Forschung zu fossilen Kohlenwasserstoffen, konkret zu Erdöl oder Erdgas sowie zur Kohle. Wir wollen ja auch schrittweise aus den fossilen Energieträgern aussteigen, also wird die Forschung in diesem Bereich weniger gefördert, in Deutschland vor allem nicht mehr zur Nutzung fossiler Energierohstoffe. In einem solchen gesellschaftspolitischen Umfeld kann es dann auch problematisch sein, mit Öl- und Gasfirmen zu kooperieren. Dabei lässt sich mit der Nutzung von Industriebohrungen zur wissenschaftlichen Untersuchung des Untergrundes viel Geld sparen. Solche Untersuchungen brauchen wir nach wie vor, beispielsweise zur Entwicklung der Geothermie. Derartige Kooperationen werden jedoch rasch als Lobbyisten-Aktivitäten gesehen, die die Reputation einer gesamten Forschungseinrichtung beeinträchtigen können.
Das bedeutet, dass es eine Diskrepanz geben kann zwischen dem, was man wissenschaftlich als sinnvoll erachtet und dem, was gesellschaftlich gewünscht wird. Gibt es damit auch Probleme mit der Ehrlichkeit?
Nein. Jedenfalls in den Kontexten, die ich beeinflussen kann, herrscht bei Verstößen gegen die Ehrlichkeit wirklich Null-Toleranz. Gerade die außeruniversitäre Forschung hat da sicher einen guten Rahmen. Sie basiert auf einer eher gutdotierten Grundfinanzierung – ist also nicht so stark auf Drittmittel angewiesen.
Aber es gibt andere Vorgaben und damit andere Probleme. So richtet sich beispielsweise die Helmholtz-Gemeinschaft mit ihrer Mission an den großen gesellschaftspolitischen Herausforderungen aus, um so Beiträge zu deren Bewältigung zu leisten. Dabei ist es nicht nur Aufgabe der Forschung zu beobachten und zu analysieren, sondern auch möglichst realistische Handlungs- bzw. Umsetzungsoptionen aufzuzeigen und deren Wirksamkeit zu belegen. Doch auch hier haben dann manche Themen Konjunktur. Und andere treten wieder in den Hintergrund.
Kann die gesellschaftliche Diskussion denn auch dazu führen, dass wissenschaftliche Resultate in die eine oder in die andere Richtung tendieren?
Davon muss man ausgehen, denn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind ja auch Teil der Gesellschaft und leben in einem bestimmten soziokulturellen Umfeld. Damit können sie in ihrem Denken und in ihren Ambitionen auch von aktuellen Debatten und vom Zeitgeist geprägt werden.
Zudem gibt es ja nicht immer die eine Lösung. Nehmen wir nochmals das Thema Energiewende. Hier gibt es viele Lösungskonzepte, die nur punktuell ansetzen. Wir wollen zum Beispiel die Erneuerbaren fördern. Für die notwendige Übergangslösung zur Deckung allfälliger Lücken hat sich jedoch bei den derzeitigen Vorgaben nicht, wie vorgesehen, das Gas, sondern die Kohle als ökonomisch günstigste Variante erwiesen, und so haben wir im Strombereich nun mehr CO2-Emissionen als zuvor. Die Energieversorgung muss man eben als System sehen. Wenn ich in diesem System an einer bestimmten Schraube drehe, kann sich etwas bewegen, was gar nicht beabsichtigt war, und zwar weil ich es nicht verstehe, oder eben nur Teile des Gesamtsystems betrachte. Das zentrale Ziel der Energiewende ist neben dem Kernenergieausstieg ja der Klimaschutz. Wir haben in den vergangenen Jahren große Anstrengungen unternommen. Und doch haben wir keine CO2-Reduktion erzielt und werden unsere CO2-Ziele nach aktuellem Stand verfehlen.
Das heißt, der gesellschaftliche Druck führt zu politischen und gesetzlichen Vorgaben, die unausgereift sind?
Ja, wenn man nicht von Anfang an systemisch denkt.
Wie sieht es denn heute bei der Klimadiskussion aus? Hier gingen die Wellen der Diskussion ja lange besonders hoch und manche Argumente waren praktisch tabu.
Da hat der Zeitgeist zu einer ausgeprägten Mainstream-Auffassung geführt, die abweichende Meinungen ausgrenzt, auch wenn sich die oft sehr hitzig geführte Debatte zum Teil beruhigt hat. Manchmal war es aber schon schwierig, allein die Frage zu stellen, welcher Anteil der aktuellen Erderwärmung heute natürliche Ursachen hat und wie viel menschgemacht ist. Zwar war jedem klar, dass es schon immer eine Klimadynamik gegeben hat und auch immer geben wird und selbstverständlich spielen auch aktuell natürliche Prozesse eine Rolle. Zweifelsohne steht aber ebenfalls fest, dass der Mensch heute dabei eine signifikante Rolle eingenommen hat. Aber eine wirklich gute Antwort auf die Frage, wie groß der Anteil natürlicher Schwankungen am Klimawandel ist – insbesondere im regionalen Kontext -, haben wir nicht.
Auf jeden Fall ist es so, dass wir nur den menschengemachten Anteil der aktuellen Klimadynamik reduzieren können. Dass die Minderung von CO2 und anderen Treibhausgasen notwendig ist, dafür gibt es viele fundierte wissenschaftliche Belege. Aber unser komplexes System Erde hat keinen Thermostat, an dem man nur drehen müsste, um ein bestimmtes Klima einzustellen. Eine solche Vorstellung ist nicht nur naiv, sondern geht an der Faktenlage komplett vorbei.
Ist es denn im Rahmen der heutigen Forschungsförderung möglich, diese Frage der natürlichen Klimadynamik auch zu erforschen?
Ja, und das ist dringend notwendig. Aber es passiert nicht selten, dass derartige Arbeiten als Schwächung der Klimaschutzpolitik betrachtet werden. Um den Klimakontext wirklich zu verstehen, muss jedoch immer überlegt werden, ob es vielleicht eine natürliche Komponente gibt. Nehmen wir zum Beispiel Brandenburg. Was ist da früher passiert? Als man sich dies kürzlich angesehen hat, gab es völlig überraschende Ergebnisse. So fand man etwa, dass die Spiegel von Seen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern in den vergangenen 10 000 Jahren immer wieder gefallen und gestiegen sind. Die Schwankungen betrugen bis zu acht Meter, ohne dass wir wirklich wissen, weshalb. Die dazu notwendigen Arbeiten sind aufwendig und benötigen viel Zeit. Somit besteht ein Ungleichgewicht in der Quantität der zur Verfügung stehenden Daten und damit werden vergleichende Aussagen schwierig.
Das heißt, diese Forschung wird nur von wenigen Leuten betrieben?
Ja. Und wenn auf einem Gebiet wenig geforscht wird, dann gibt es auch weniger Resultate und auch weniger Nachwuchsforscher. Nicht zuletzt, wenn eine Fragestellung gesellschaftlich nicht populär ist. Und in den Social Media entsprechend negativ kommentiert wird. Sie zieht dann auch weniger Studenten und Doktoranden an. Das kann man eben nicht isoliert betrachten. Und zu solchen Wechselwirkungen trägt auch unsere neue digitale Kommunikationswelt bei.
Dritter Teil – über Social Media und die Lage des Wissenschaftsjournalismus