Mehr Schwung für Kreislaufwirtschaft – die Rolle digitaler Technologien

München, 14. März 2025
Lediglich 13 Prozent: So hoch ist der aktuelle Anteil von Sekundärrohstoffen in den deutschen Wirtschaftsaktivitäten – global gesehen, sind es sogar nur 7 Prozent. Sekundärrohstoffe sind Rohstoffe, die bereits ein zweites Mal oder noch häufiger genutzt werden. Sie spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht Ressourcen zu schonen, unabhängiger in der Rohstoffversorgung zu werden und das Prinzip der Kreislaufwirtschaft umzusetzen. Über den Stand der Forschung und die Perspektiven ging es am 11. März bei acatech am Dienstag.
In seiner Begrüßung stellte acatech Präsident Thomas Weber die Bedeutung digitaler Technologien für die Kreislaufwirtschaft heraus: Richtig eingesetzt könnten sie wichtige „Enabler“ sein und die Umgestaltung der Wirtschaft hin zu einer Circular Economy enorm voranbringen. Entsprechend stehe das Thema bei acatech seit Jahren im Fokus. Thomas Weber verwies auf Projekte wie die Circular Economy Initiative Roadmap von 2020/2021, das vom BMWK geförderte Konsortialprojekt „Battery Pass“ – oder eben das erst kürzlich abgeschlossene Projekt „Digitale Enabler der Kreislaufwirtschaft“.
Digitale Enabler der Kreislaufwirtschaft
Ko-Projektleiter und acatech Vizepräsident Christoph M. Schmidt (Präsident RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung) begründete in seinem anschließenden Impuls das Engagement rund um das Thema mit dessen großer Relevanz für die Wissenschaft: Einerseits beschäftige sich die Forschung mit der Aufgabe, Innovationen in die Welt zu bringen, um Wachstum und Wohlstand zu sichern, andererseits setze sie sich aktuell viel mit der Frage auseinander, wie sich der Raubbau am Planeten Erde beenden lasse. Je eher es gelinge, Ressourcenverbrauch und Wirtschaftswachstum zu entkoppeln, desto näher rücke man heran an das Zielbild Kreislaufwirtschaft, so Christoph M. Schmidt. Ohne eine komplexe Informationsbasis, hergestellt durch digitale Enabler, sei dieses Zielbild aber nicht realisierbar.
In der acatech Studie „Digitale Enabler der Kreislaufwirtschaft“ wird deutlich: Der Weg heraus aus der linearen Logik des Produzierens, Konsumierens und Entsorgens kann durch digitale Technologien geebnet werden. Denn dadurch lassen sich grundlegende Anforderungen für zirkuläre Wertschöpfung – beispielsweise Vernetzung und Informationsaustausch – wesentlich effektiver umsetzen. Welche Tools die besten Aussichten bieten und wie ein systematischer Einsatz in so unterschiedlichen Wirtschaftssektoren wie dem Textil-, Elektronik- oder Bausektor gelingen kann, erklärte Christoph M. Schmidt in seinem Impulsbeitrag.
Allgemeine Erkenntnisse der Studie:
- Digitale Technologien spielen bei der Etablierung der Kreislaufwirtschaft auf Grund des intensiveren Informationsaustauschs eine entscheidende Rolle.
- Der digitale Werkzeugkasten ist größtenteils bereits vorhanden. Jetzt sollte der Aufbau von Datenökosystemen für zirkuläre Wertschöpfungsnetzwerke im Fokus stehen.
- Um eine umfassende Transformation des Wirtschaftssystems zu bewirken, ist der Fokus stärker auf höhere R-Strategien zur Verlängerung der Nutzungsphase zu richten.
- Digitale Enabler werden ihr volles Potenzial nur entfalten können, wenn die Rahmenbedingungen für die Kreislaufwirtschaft insgesamt verbessert werden. Achtung: Dabei müssen Reboundeffekte vermieden werden.
Sein Fazit: Akteure müssen innerhalb der Wertschöpfungskette sowie sektorübergreifend, stärker vernetzt werden. Digitale Technologien müssen stärker verflochten werden, um Kreislaufansätze wirtschaftlich so rentabel zu machen, dass sie tragfähige Geschäftsmodelle hervorbringen. Instrumente wie ein digitaler Produktpass oder Datenräume sind für eine erfolgreiche Umsetzung der Kreislaufwirtschaft besonders wichtig.
Zirkuläre Geschäftsmodelle
Anhand von zwei Anwendungsbeispielen aus den Sektoren Elektronik und Textil zeigten Christian Dworak (BSH Hausgeräte GmbH) und Andrea Schneller (Mitgründerin und Geschäftsführerin von koorvi), wie die digitalen Technologien für die Kreislaufwirtschaft nutzbar gemacht werden können.
Christian Dworak stellte das B2B-Geschäftsmodell „WeWash“ der BSH Hausgeräte GmbH vor, bei dem es um Sharing-Modelle von Waschmaschinen geht. Der digitale Service von WeWash komme sowohl den Konsumentinnen und den Konsumenten, als auch der Umwelt zugute: Waschraumbetreiber sparen Kosten, da die Anschaffung eigener Geräte entfällt, und WeWash stattet die Räume mit energieeffizienten Waschmaschinen und Trocknern von BOSCH aus. Die effiziente Nutzung gemeinsamer Waschmaschinen und Trockner soll dabei helfen, den CO₂-Ausstoß zu reduzieren. Über eine App können die Anwenderinnen und Anwender eine Waschmaschine reservieren, den Fortschritt der Wäsche verfolgen und danach den Waschgang auch bezahlen.
Als weiteres Geschäftsmodell stellte er „BlueMovement“ vor, ein Vermietmodell von BSH, das Konsumentinnen und Konsumenten in Deutschland und den Niederlanden die Möglichkeit bietet, Hausgeräte gegen eine monatliche Gebühr zu leasen. Im Leasingvertrag sind Wartung, Reparaturen und Ersatzteile enthalten, das Gerät bleibt Eigentum von BlueMovement. Die Geräte werden nach Gebrauchsende von BlueMovement zurückgenommen. Untersuchungen zeigen: Die vermieteten Geräte haben eine 20 Prozent höhere Lebenserwartung (Nutzungsdauer), als Geräte im normalen Verkauf. 97 Prozent der Geräte, die nach Vertragsende zurückkommen, werden „refurbished“, also gewartet, instandgesetzt und weiter genutzt. Falls ein Gerät nicht refurbished werden kann, wird es recycelt oder demontiert, um wiederverwendbare Teile und Rohstoffe zurückzugewinnen, sagte Christian Dworak.
Zirkuläre Chancen in der Textilbranche
Andrea Schneller (Mitgründerin und Geschäftsführerin des Start-ups „koorvi“) sagte in ihrem anschließenden Vortrag, dass es gerade im Bereich Textil einen großen Bedarf an digitalen Enablern gebe. Insbesondere in der Nutzungsphase von Textilien müsse umgedacht werden. Ihr Unternehmen bietet eine Software-as-a-Service (SaaS)-Lösung an, die es Marken ermöglicht, intelligente und nutzerfreundliche Rücknahmeprogramme aufzusetzen, um gebrauchte Produkte von ihren Kunden zurückzunehmen. koorvi hilft Marken dabei, Rücknahmeprozesse einfach zu verwalten und zu überwachen, indem es zentrale Funktionen wie die Erstellung von Versandetiketten, digitale Vorsortierung und dynamische Kundenauszahlungen automatisiert. Eine benutzerfreundliche Schnittstelle für Endkunden lässt sich nahtlos in bestehende Shopsysteme integrieren.
Die Produktrücknahme sei nicht nur im Bereich Textil ein Ansatz, um zirkuläre Modelle für Hersteller attraktiv zu machen, sagte Andrea Schneller. Gemeint ist hier, dass der Kunde – im Gegensatz zu einem Leasingmodell – ein Produkt käuflich erwirbt und es dann, wenn er es nicht mehr benötig, einfach zurückgeben kann. Vorteile sind einerseits die stärkere Kundenbindung, andererseits landen weniger Produkte schon vor Ende ihrer Lebenszeit auf dem Müll und schließlich gibt es dem Fachhändler die Möglichkeit, ältere, noch intakte, aber nicht mehr benötigte Geräte dem passenden Kanal zuzuführen (Wiederverkauf, Generalüberholung, demontieren oder recyclen).
In der von Mareike Berger (acatech Geschäftsstelle) moderierten Diskussion ging es unter anderem um kulturelle Unterschiede bei Mietmodellen. Christian Dworak stellte fest, dass diese Modelle in den europäischen Ländern in unterschiedlichem Maße akzeptiert seien. Insbesondere die Niederländer machten keinen großen Unterschied zwischen Mieten und Besitzen, weshalb dort ein guter Markt für Mietmodelle ist.
Eine weitere Frage bezog sich auf den Impact des ab 2027 verpflichtenden „Digitalen Produktpasses“, der Digitalisierung und Kreislaufwirtschaft durch standardisierte Daten fördern soll. Ziel des Digitalen Produktpasses ist die Transparenz der Produktdaten für Hersteller, Anwender und Entsorger und die Sicherstellung eines einheitlichen Datenaustauschs über den kompletten Produktlebenszyklus. Leider funktioniere die Idee hinter dem Digitalen Produktpass aktuell noch nicht, stellte Christian Dworak fest. Denn obwohl Firmen wie BSH und BOSCH die Produktdaten ihrer Geräte genau auflisten, und beschreiben, worauf beim Recycling geachtet werden muss, würden in den Recyclinganlagen nach wie vor alle Geräte gleich behandelt und keiner nehme sich die Zeit, einen Blick in die Datenbank zu werfen. Er mahnte an, dass man bei der Förderung von digitalen Technologien auf die Bedürfnisse der Entsorgungsbranche und die Recyclingwirtschaft achten müsse, damit auch dort die notwendige Infrastruktur und die benötigten Technologien zur Verfügung stehen. acatech Präsident Thomas Weber stimmte zu, dass der Digitale Produktpass nur ein Teil der Lösung sei. Indem er Daten zur Verfügung stelle, schaffe er eine gute Grundlage, um die Akteure zu vernetzen.
In seinem Schlusswort betonte Christoph M. Schmidt, dass es nicht nur darum gehe, das Richtige zu tun. Die Kreislaufwirtschaft müsse sich auch für alle Beteiligten rechnen. Erreichen könnte man dies über Skalierung, maßgeschneidertes Vorgehen und Standardisierung.