Wo bleibt der Mensch in der digitalen Transformation?

Würzburg, 15. Mai 2025
Die Weiterentwicklung digitaler Technologien betrifft uns alle im Alltag, sei es am Arbeitsplatz oder zu Hause. Künstliche Intelligenz beschleunigt den Transformationsprozess – aber wer treibt ihn eigentlich an? Eine gemeinsame Dialogveranstaltung von acatech und Domschule Würzburg diskutierte am 6. Mai in Würzburg mit Fachleuten, Betroffenen und Interessierten die wichtigsten Fragen nach der Rolle der Gesellschaft im Transformationsprozess – und welche weiteren Veränderungen und Möglichkeiten in den nächsten Jahren zu erwarten sind.
Die Digitale Transformation betreffe uns alle, stellte Rainer Dvorak (Akademiedirektor, Domschule Würzburg) in seiner Begrüßung fest. Ihre Auswirkungen würden von den Menschen unterschiedlich wahrgenommen. Einige zeigten sich eher skeptisch, andere versetzten die neuen Möglichkeiten in Staunen und wieder andere reagierten mit Ablehnung. Wieder anderen kann es nicht schnell genug gehen. Offen bleibe die Frage, ob die Welt nach der Digitalen Transformation noch wiederzuerkennen sei und wo der Mensch darin bleibe.
Veränderungen durch Transformationsprozesse
In seinem Impulsvortrag gab acatech Mitglied Michael Decker (Karlsruher Institut für Technologie KIT) einen Überblick über die theoretischen Grundlagen der Transformation und nannte Beispiele für deren Umsetzung in der Praxis. Transformationsprozesse verursachen tiefgreifende Veränderungen in Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur, erklärte er. Zu den aktuellen Transformationsfeldern zählen die Energiewende, die Neugestaltung des Gesundheitssystems und die Mobilitätswende. Die Gestaltung dieser Transformationen in wünschenswerte Richtung ist die Herausforderung, da zwar Erkenntnisse aus der Vergangenheit vorlägen, es jedoch vielfältige Technikzukünfte (also Beschreibungen möglicher Zukunftsvarianten) gebe, die jeweils andere Handlungsoptionen in der Gegenwart mit sich bringen. Vorstellungen von der Zukunft und der darin vorkommenden Technik haben aber wiederum einen wichtigen Einfluss auf viele gesellschaftliche Prozesse. So zeigen Untersuchungen am KIT, dass eine Transformation des Energiesystems nur gelingen kann, wenn technische, ökonomische, rechtliche und ethisch soziale Aspekte zusammen betrachtet werden. Eine zusätzliche Herausforderung bestehe laut Michael Decker darin, in den genannten Transformationsfeldern darüber hinaus auch Nachhaltigkeit und Digitalisierung zusammenzubringen.
Reallabore: Transformation im Bestand
Reallabore sind transdisziplinäre Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen, die Wissenschaft und Gesellschaft zusammenbringen. In einem räumlich abgegrenzten gesellschaftlichen Kontext lassen sich hier Experimente durchführen, Transformationsprozesse anstoßen und entsprechende wissenschaftliche wie gesellschaftliche Lernprozesse verstetigen. Mit seinen Reallaboren bezieht das KIT die Menschen auf direktem Weg in Forschung und Entwicklung ein: So arbeitet das KIT beispielsweise in Karlsruhe im Stadtquartier Oststadt eng mit der Bevölkerung zusammen an Themen der Quartiersentwicklung, wie Mobilität, Wohnen, Parks und Freizeitstätten. Bürgerinnen und Bürger haben damit die Gelegenheit, an der Lösungsfindung für wichtige Zukunftsfragen teilzuhaben. Sie können sich mit ihren Ideen einbringen und haben Einfluss auf die Gestaltung des zukünftigen Zusammenlebens. Allerdings, so erläutert Michael Decker, handelt es sich hierbei um einen sehr langfristigen Prozess, der in diesem Beispiel bereits zwölf Jahre andauert. Zusammenfassend lasse sich festhalten, dass sich die digitale Transformation quer zu den anderen Transformationen verhält, die je einzeln betrachtet werden können, jedoch alle miteinander verbunden sind, wie man sich an der Mobilitäts- und Energiewende verdeutlichen kann, so Michael Decker. Deswegen spräche Uwe Schneidewind von einer großen Transformation. Es sei eine komplexe, aber notwendige Entwicklung, um unsere Gesellschaft nachhaltiger und zukunftsfähiger zu gestalten.
Auswirkungen des digitalen Medienwandels auf die Medienbranche
Martin Bimmer (acatech Geschäftsstelle) moderierte das anschließende Podiumsgespräch, in dem Julia Haug, (Leitende Redakteurin in der Chefredaktion, Main-Post GmbH), praktische Einblicke in die Transformationsprozesse infolge des digitalen Medienwandels und der KI gab. Bereits seit zehn Jahren werden Artikel in erster Linie online ausgespielt, bevor diese dann Teil der gelayouteten Druckausgabe werden. Es gelte also „digital first“. Dennoch stellt dieses veränderte Mediennutzungsverhalten Zeitungsverlage vor große Herausforderungen: Qualitätsjournalismus mit Regionalität trotz sinkender Abonnements und mit nur moderaten Preiserhöhungen aufrecht zu erhalten.
Haben KI und Chat GPT Veränderungen gebracht?
Die Veröffentlichung von ChatGPT im Herbst 2022 und der darauffolgende breite Zugang zu generativer KI veränderte erneut einiges und stelle das Geschäftsmodell in Frage, so Julia Haug. Die Redaktion nutzte allerdings die sich daraus ergebenden Chancen, indem sie eigens einen Content Assistant auf Basis von Chat GPT entwickelte. Dieser stehe den Journalistinnen und Journalisten der Main-Post optional zur Verfügung, um sich beispielsweise Überschriften für selbstgeschriebene Artikel oder Interviewfragen vorschlagen zu lassen. Zur Recherche rund um einen Artikel sei der Content Assistant aber nicht geeignet, da die KI zu stark halluziniere – also Fehlinterpretationen erzeuge, so Julia Haug. Die KI schätzt sie als ein Werkzeug ein, das unterstützt und als Sparringpartner bei kreativen Prozessen dienen kann. Journalistinnen und Journalisten, die im Geschehen dabei sind, könne sie jedoch nicht ersetzen.
KI nur mit Schulungsangebot
Bei der Main-Post waren sich die Verantwortlichen bewusst, dass die Einführung KI-basierter Unterstützung nicht ohne Schulungsangebot möglich ist. Die Einführung des Content Assistant wurde daher durch eine verpflichtende Grundlagenschulung für alle Mitarbeitenden begleitet, um die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der Anwendungsoptionen entdecken zu können. Eine verpflichtende Nutzung gibt es nicht, eine rege Nutzung hingegen schon, wie Julia Haug anhand der etwa 40-50 Anfragen pro Tag bei etwa hundert Mitarbeitenden feststellte.
Die Rolle des Menschen in der Digitalen Transformation
Michela Summa (Lehrstuhl für Theoretische Philosophie, Julius-Maximilians-Universität Würzburg) interessiert sich besonders für soziale Aspekte der Transformation und die Rolle des Menschen. Sie regte an, über zwei grundsätzliche Frage nachzudenken: Was ist Mittel und Zweck einer Transformation? Und was ist der Nutzen der Digitalen Transformation? Profitieren die heutigen Menschen davon oder erst die zukünftigen? Sie sehe aktuell eine Neupositionierung des Menschen, die altbekannte Fragen wieder aufleben lässt. Ihre Studierenden sensibilisiert Michela Summa für einen kritischen Umgang mit KI. Denn es bestehe die Gefahr selbstständiges Denken zu verlernen, wenn man alle kognitiven Prozesse der KI übertrage. Echte Zeugenschaft könne nur der Mensch geben. Ein Element für Vertrauen, das angesichts von Desinformation auch im Journalismus immer wichtiger werde.
Auf Nachfrage aus dem Publikum erklärte Michael Decker genauer die Arbeitsabläufe in einem Reallabor. Alles beginne mit Impulsangeboten und Diskussionsveranstaltungen im Bürgerbüro. Das sei quasi immer geöffnet, sodass ein ständiger Austausch stattfinden könne. Die Bürgerbeteiligung entwickelte sich auf verschiedenen Stufen: Am Anfang steht der Gesprächsimpuls von wissenschaftlicher Seite. Dann engagieren sich die Bürginnen und Bürger und organisieren selbst Diskussionsveranstaltungen. Anschließend findet der direkte Austausch zwischen der Stadt und den Bürgerinnen und Bürgern statt. Reallabore sind besondere wissenschaftsbasierte Lernorte, die sehr spezifische Ergebnisse mit sich bringen. Inwieweit die Ergebnisse übertragbar sein können auf andere Stadtquartiere, ist aktuell noch eine offene Forschungsfrage, so Michael Decker.
Auch philosophische Fragen zum Verhältnis von Menschen und KI beschäftigten das Publikum, etwa: Muss sich der Mensch unterordnen? Legt er dann die Hände in den Schoß? Gibt es einen KI-Gott? Julia Haug verwies auf die Wichtigkeit, weiterhin Qualitätskriterien aufrechtzuerhalten, die den vom Menschen gemachten Beitrag herausstellen. Michela Summa betonte, dass zwischenmenschlicher Austausch und Diskussion essenziell seien und dabei eigene Argumente und Denkmuster geprüft werden. Ein kritischer, selbstbewusster Umgang sei wichtig: Sonst bestehe die Gefahr, die Fähigkeit zu selbstständigem Denken zu verlieren.