Arbeit mit Zukunft: Wie Unternehmen und Beschäftigte von der Digitalisierung profitieren
München, 19. Juni 2018
Selbstreflexion und Selbstmanagement werden zunehmend zu Schlüsselkompetenzen in der Arbeitswelt. Darin stimmten Experten bei der von acatech mitveranstalteten Diskussion „Zukunft der Arbeit – die digitale Herausforderung“ in der Evangelischen Stadtakademie München überein. Philip Wenzel (BMW, Leiter Personalpolitik und -strategie), Simon Werther (Gründer des Münchner Startups HRinstruments und Professor für Innovationsmanagement an der Hochschule der Medien Stuttgart) und Thomas Zeilinger (Kirchenrat und Beauftragter für Ethik im Dialog mit Technologie und Naturwissenschaft der bayerischen evangelischen Landeskirche) plädierten außerdem dafür, dass Staat, Gesellschaft und Unternehmen eine offene Diskussion über Visionen von „guter Arbeit“ führen sollten.
Transportfahrzeuge lernen das autonome Fahren, Roboter unterstützen die Fertigung und digitale Plattformen werden zum vorherrschenden Marktplatz datengetriebener Geschäftsmodelle – die digitale Transformation ist bereits in vollem Gange. Menschenleere Produktionsstätten, in denen autonome Systeme und Anwendungen der künstlichen Intelligenz alle Aufgaben bewerkstelligen, liegen laut Experten allerdings noch in weiter Ferne.
Soziale Kompetenzen nicht durch KI ersetzbar
Künstliche Intelligenz sei noch nicht annähernd so leistungsfähig wie das menschliche Gehirn, betonten die Experten. Kompetenzen wie Empathie und emotionale Intelligenz können Simon Werthers Einschätzung nach nicht maschinell ersetzt werden. Menschen seien Maschinen zudem überlegen, wenn Interdisziplinarität, Reflexionsfähigkeit und Kreativität gefragt sind.
Beim Recruiting von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zeigen sich diese Veränderungen laut Philip Wenzel bereits: Neben Fachkompetenz zählen die Fähigkeiten, sich zu vernetzen, interdisziplinär und interkulturell zu kommunizieren und eigenverantwortlich zu handeln zu den Kompetenzen, die in Zukunft noch wichtiger werden.
Thomas Zeilinger fragte, wie es gesellschaftlich gelingen kann, Freiräume für individuelle Kreativität zu schaffen, ohne den Einzelnen durch ständige Erreichbarkeit und Kommunikation zu überfordern. Digitalisierung fordere die Gesellschaft heraus, weil sich damit die Formen der Kommunikation und des Zusammenlebens in der Gemeinschaft änderten, betonte er.
Selbststeuerung als ein Schlüssel der Transformation
Selbstreflexion, Selbstmanagement und Selbstkompetenz sind nach Ansicht der Referenten Schlüsselkompetenzen, die auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft nachgefragt werden. Philip Wenzel unterstrich, dass im Managementführungsprogramm bei BMW bereits heute stark auf „Manage yourself“ gesetzt werde. Das Programm stärkt Führungspersonal darin, das eigene Handeln kritisch und selbstbewusst zu reflektieren, aber auch auf das eigene Wohlbefinden zu achten.
Selbstkompetenz adressiere ebenso die Frage, wie der Einzelne sich etwa in der Nutzung digitaler Anwendungen in gesundem Maße selbst steuern könne, hob Simon Werther hervor. Er forderte, dass im Bildungssystem mehr „digital literacy“ vermittelt werde. Dieses Verständnis von digitaler Funktionslogik und deren Umsetzung in Hard- und Software trage dazu bei, die Digitalisierung aktiv mitgestalten zu können.
Selbstkompetenz sei immer von gesellschaftlichen Leitvorstellungen abhängig, erklärte Thomas Zeilinger. Deswegen plädierte er dafür, dass sich Unternehmen und Gesellschaft über ihre zugrundliegenden Wertvorstellungen verständigten. Nicht wünschenswert sei die Vorstellung eines „metrischen Ichs“, dessen Identität über ausschließlich messbare und quantifizierbare Daten entsteht. Bildung müsse hier ansetzen, etwa indem sie kreatives Denken und Handeln fördert.
Abkehr von klassischen Karrieren
Auch Unternehmen müssen ihre Organisationsstrukturen und Prozesse an den digitalen Wandel anpassen, lautet ein weiteres Ergebnis der Diskussion. Für Großkonzerne mit langjährig gewachsenen Strukturen besteht die Herausforderung laut Philip Wenzel darin, Entscheidungsprozesse schneller und gleichzeitig effektiv zu gestalten. Um gerade auch junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen und emotional zu binden, müssen Unternehmen ihnen zunehmend Raum für Kreativität und selbständiges Arbeiten bieten. Die „klassische“ Karriere, die linearen Wegen folgt, könnten sich die wenigsten jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer noch vorstellen.
Unternehmen seien bislang zwar noch nicht völlig anders organisiert und aufgestellt als vor einigen Jahren, aber durch neue Technologien bekämen Flexibilisierungskonzepte ganz neue Dynamiken – insbesondere im Hinblick auf Arbeitszeiten, sagte Simon Werther. Er sei überzeugt, dass ein Paradigmenwechsel gelingen müsse, um neue Arbeitszeitmodelle und vielseitigere Karriereprofile zu ermöglichen.
Die Plädoyers der Experten stärken Empfehlungen des von acatech und der Jacobs Foundation gegründeten Human-Resources-Kreises (HR-Kreis). In dem Forum für Personalvorstände tauschen sich hochrangige Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Wissenschaft darüber aus, wie die Zukunft der Arbeit gemeinsam gestaltet werden kann. Als erfolgskritische Ansatzpunkte hatte der HR-Kreis die Agilität der Organisation, lebenslanges Lernen und eine zukunftsorientierte betriebliche Mitbestimmung identifiziert.