Automatisiertes Fahren und vernetzte Mobilität: Bundestagsabgeordnete diskutieren bei acatech

Berlin, 17. Januar 2019
Wie kann automatisierter und vernetzter Verkehr die Städte entlasten und das Land besser anbinden? Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „acatech am Mittag“ diskutierten am 17. Januar 2019 Professor Karsten Lemmer, Leiter des acatech Projekts Neue autoMobilität II, und Michael Bültmann, Geschäftsführer von HERE und Mitglied des Projekts, mit Mitgliedern des Deutschen Bundestages im acatech Hauptstadtbüro über die Chancen neuer Mobilitätstechnologien im Kontext von Digitalisierung, Sharing und Energiewende.
Vernetztes, automatisiertes Fahren hält große Chancen bereit, um die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen in naher Zukunft bedarfsgerechter zu erfüllen. Wie das Zusammenspiel verschiedener vernetzter Mobilitätsanwendungen in Zukunft aussehen kann, veranschaulichte Professor Karsten Lemmer, Vorstand für Energie und Verkehr des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt und Leiter des acatech Projekts Neue autoMobilität II, anhand verschiedener Zukunftsbilder der Mobilität. Städte könnten entlastet werden, wenn private Fahrzeuge, die die meiste Zeit nicht genutzt werden und viel Parkraum beanspruchen, durch Sharing-Flotten mit höherem Auslastungsgrad abgelöst würden. Diese automatisierten Fahrzeuge könnten Fahrgäste eigenständig am jeweils nächsten effizientesten Aufnahmepunkt aufnehmen und so das Privatfahrzeug für viele Stadtbewohner überflüssig machen. Flexible On-Demand-Shuttles, die nutzerorientiert an spontan und virtuell eingerichteten Haltestellen halten, könnten den ÖPNV besser an bestehende Verkehrssysteme anbinden und näher zu den Menschen bringen.
Ein digital abgebildeter Verkehrsraum der Zukunft wäre flexibel anpassbar und könnte beispielsweise bei hohem Verkehrsaufkommen zusätzliche Fahrstreifen schaffen, indem die Fahrstreifenbreite verengt und zusätzliche Fahrstreifen angezeigt würden. Weniger befahrene, stadtauswärts führende Fahrspuren könnten dann beispielsweise für den stadteinwärts fließenden Verkehr umgeschaltet werden – alles ohne fixe Verkehrsschilder am Straßenrand, flexibel und verkehrssituationsabhängig in der digitalen Abbildung, an die jedes Fahrzeug in Echtzeit angebunden ist. Automatisierte Fahrzeuge könnten die neu geschaffenen Fahrstreifen präzise und wohl aufeinander abgestimmt nutzen. Mit dem vernetzen, automatisierten Fahren gingen nach Herrn Lemmer auch nicht zu vernachlässigende gesellschaftliche Entwicklungen einher: Im Güterverkehr würden sich ganze Berufsbilder wandeln. Es würden weniger Fahrer benötigt, gleichzeitig werde das Berufsbild jedoch auch aufgewertet. Der Fahrer der Zukunft würde vermehrt Disponententätigkeiten ausführen, während der LKW automatisiert fährt – beispielsweise als Teil einer automatisierten Fahrzeugkette (Platoon). Es brauche hierzu in Zukunft IT-sichere Platoon-Piloten.
Michael Bültmann, Geschäftsführer von HERE Deutschland GmbH, unterstrich in seinem Impulsvortrag den Stellenwert persönlicher Beweglichkeit. Mobilität sei ein Grundrecht. Es gehe darum, den Wandel der Mobilität unter den Bedingungen der Urbanisierung und technologischer wie ökonomischer Wettläufe zu gestalten. Dabei hätten wir die Chance, den Verkehr effizienter, sicherer, nachhaltiger und partizipativer zu gestalten. Ein immenses Potential autonomen Fahrens liege in der Erhöhung der Sicherheit im Straßenverkehr. Derzeit seien ungefähr 90 Prozent der Unfälle auf menschliche Fehler zurückzuführen. Unfälle könnten in Zukunft zwar nicht komplett vermieden, die Zahl menschlicher Fehler aber stark reduziert werden. Herr Bültmann ermutigte deshalb, automatisiertes Fahren auch in Deutschland weiter voranzubringen. Im Hinblick auf Mobilitätsanwendungen wie Drohnen zur Paketauslieferung, die bereits in anderen Ländern erprobt werden, stelle sich die Frage, ob wir die Entwicklung dieser Technologie anderen überlassen würden oder selbst einen für unsere Gesellschaft vorteilhaften Weg zur Gestaltung finden könnten.
Im Anschluss an die Impulsvorträge tauschten sich die Abgeordneten mit den Referenten rege zu verschiedenen Fragestellungen rund um die neuen Mobilitätstechnologien aus. Unter anderem ging es darum, wie sich der Einsatz von Drohnen und der Lärmschutz der Bevölkerung in Einklang bringen lasse. Hier hätten die Kommunen die Gestaltungsmacht, etwa indem sie ganz bestimmte Zonen schaffen könnten, in denen sich Drohnen bewegen. Thematisiert wurde auch der Bedarf eines flächendeckenden Mobilfunknetzes, das Themenfeld „Intermodalität“ – also die Nutzung mehrerer unterschiedlicher Verkehrsmittel auf einer Wegstrecke sowie Gestaltungspotenziale im Hinblick auf die Verbesserung der Mobilitätssituation von Menschen mit Behinderung und die gesellschaftliche Akzeptanz neuer Mobilitätskonzepte. Die vielversprechenden Vorteile innovativer Technologien und Wege zu ihrer Erprobung veranschaulichte Herr Bültmann abschließend an einem Beispiel der location intelligence. So würde HERE auf Messen das Gelände auch für Rollstuhlfahrer besonders mit Blick auf Bürgersteigkanten vermessen und diese Daten zur Verfügung stellen. Für Mobilitätseingeschränkte machten wenige Zentimeter oft einen entscheidenden Unterschied, ob ein Weg für sie zugänglich wäre. Informationen dieser Art intelligent aufbereitet und zur Verfügung gestellt, könnten den Verkehr für uns alle besser machen.
Die vorgestellten Zukunftsbilder und positiven Visionen für die Mobilität in Deutschland erarbeitet eine branchenübergreifende und interdisziplinäre Projektgruppe im acatech Projekt Neue autoMobilität II. Aktuell erstellt die Projektgruppe eine Studie, die entscheidende Themenfelder der vernetzten und automatisierten Mobilität vertieft betrachtet. Sie widmet sich insbesondere den Aspekten der Kooperation und Interaktion automatisierter und nichtautomatisierter Verkehrsteilnehmer in einem künftigen Mischverkehr sowie den Möglichkeiten, den Verkehr in Zukunft wesentlich intelligenter steuern zu können. Daneben werden auch die Kommunen als Schlüsselakteure vor Ort und ihre Perspektive auf eine gemeinwohlorientierte Mobilität sowie die Themen Daten im vernetzten Mobilitätssystem, automatisierter Güterverkehr, gesellschaftliche Akzeptanz oder Sektorkopplung genauer beleuchtet.