Bioökonomie – mehr als „dasselbe in Grün“?

Tutzing, 11. März 2019
Plastik aus Kartoffeln, Kerosin aus Algen, Brennstoff aus Licht. Der Wandel zu einer biobasierten Wirtschaft nimmt an Fahrt auf. Die sogenannte Bioökonomie orientiert sich am natürlichen Stoffkreislauf. Dabei sind Zielkonflikte unvermeidlich, mit denen die Gesellschaft umgehen muss. Aus einer globalen Perspektive treten Verteilungsfragen auf. Welche Regeln benötigt eine nachhaltige Bioökonomie? Einen interdisziplinären Dialog über diese Themen veranstalteten das Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften der LMU München und acatech gemeinsam mit der Evangelischen Akademie in Tutzing.
Der Begriff Bioökonomie bezeichnet die nachhaltige Bereitstellung und Nutzung nachwachsender Ressourcen in Orientierung an natürlichen Stoffkreisläufen, erläuterte im Auftaktvortrag Volker Sieber (Lehrstuhl für Chemie Biogener Rohstoffe an der TU München, Sprecher des Sachverständigenrats Bioökonomie Bayern und Rektor des TUM Campus Straubing). Bioökonomie habe sich von einem deskriptiven zu einem normativen Konzept entwickelt: Eingebettet in einen umfassenden Nachhaltigkeitsgedanken beschreibe sie heute einen gesellschaftlichen Wertewandel zugunsten von nachhaltigen Formen der Produktion, des Konsums sowie des Handels. „Mehr als die Hälfte der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen hängen direkt mit der Bioökonomie zusammen“, betonte Sieber. „Bioökonomie ist ein gesellschaftlicher Transformationsprozess, der durch politische Rahmenbedingungen unterstützt werden kann“.
Naturwissenschaftliche und ingenieurswissenschaftliche Möglichkeiten wie etwa neue Synthesewege führten zugleich dazu, dass nachwachsende Rohstoffe zunehmend genutzt würden, auf fossile Rohstoffe verzichtet werden kann. Immer mehr gelinge es, die Prozesse und Verarbeitungsschritte zu dezentralisieren und dadurch die Wertschöpfung auch in ländlichen Gebieten zu steigern, so Volker Sieber.
Kreisläufe stärker in den Blick nehmen
Steffi Ober, Teamleiterin Ökonomie und Forschungspolitik des Naturschutzbundes (NABU), kontrastierte zwei Bioökonomie-Narrative: Das Produktionsnarrativ stelle die wachsende Weltbevölkerung sowie begrenzte Ressourcen in den Mittelpunkt und leite daraus ab, dass Biostoffe effizient genutzt werden müssen. Das Suffizienznarrativ betone demgegenüber, dass die gegenwärtigen Agrarfoodsysteme verschwenderisch seien und fordere Nachhaltigkeit ein.
In Europa würden Werte, Interessen und Praxiswissen zivilgesellschaftlicher Akteure nicht in die Bioökonomiestrategien der Regierungen einbezogen, kritisierte Steffi Ober. Stattdessen finde eine Fokussierung auf wissenschaftlich-technisches Wissen statt. „Die Transformation der Gesellschaft in ein Zeitalter ohne Öl und fossile Energien ist aber mehr als ein einfacher Wechsel des Kohlestofflieferanten für die Industrie“, betonte sie. Natur und Umwelt, Ernährung und Landschaftsgestaltung seien gleichermaßen betroffen, so dass zwangsläufig Zielkonflikte entstünden. Die Vertreter gemeinwohlorientierter Interessen müssten gleichberechtigt in die Gestaltung der Bioökonomiestrategie einbezogen werden. Statt Input-Output-Modellen müssten Kreisläufe stärker in den Blick genommen werden.
„Historisch gewachsene Ungleichheitsverhältnisse bleiben unangetastet.“
Die Bioenergiestrategie Brasiliens und ihre Auswirkungen auf Ungleichheitsverhältnisse in der brasilianischen Gesellschaft präsentierte Maria Backhouse, Leiterin der BMBF-Nachwuchsgruppe „Bioökonomie und soziale Ungleichheiten“, Friedrich-Schiller-Universität Jena. „Soziale Ungleichheitsverhältnisse sind untrennbar mit gesellschaftlichen Naturverhältnissen verwoben; Technologien und Innovation sind gesellschaftlich verortet und können Ungleichheiten auflösen, verändern oder verstärken“, sagte die Soziologin.
Brasilien ist nach den USA der größte Biodiesel und Bioethanolproduzent weltweit; seit den 1970er Jahren setzt das südamerikanische Land auf den Kraftstoff. Ein Großteil des brasilianischen Zuckers fließe derzeit in die Ethanolproduktion, erläuterte Maria Backhouse. An den historisch angelegten Ungleichheitsverhältnissen habe der Aufstieg der Branche jedoch nichts geändert – und auch zur Bekämpfung der Energiearmut im ländlichen Raum leiste er kaum einen Beitrag. „Brasilien ist nicht das Silicon Valley der Biotechnologien“, betonte Maria Backhouse. Die staatliche Förderung beschränke sich auf die althergebrachten Bioenergiesektoren, es mangle an Forschung und an einer öffentlichen Debatte.
Aus der Nachhaltigkeitsdebatte lernen
Über die Bioenergiedebatte und ihre Lehren für die Bioökonomie sprachen bei einem Kamingespräch Barbara Scheitz, Leiterin der Andechser Molkerei Scheitz und Mitglied des Sachverständigenrats Bioökonomie Bayern, und Bernhard Widmann Leiter des Technologie- und Förderzentrum im Kompetenzzentrum für Nachwachsende Rohstoffe (TFZ).
Barbara Scheitz, deren Unternehmen 2018 mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet wurde, bezeichnete die Bioökonomie als „einmalige Chance“: mit wissenschaftlichen Kenntnissen könne die Nachhaltigkeit weiterentwickelt werden. „Die Bioökonomiedebatte muss aus der Nachhaltigkeitsdebatte lernen“, sagte die Geschäftsführerin der Molkerei. Nachhaltigkeitszahlen müssten die empirische Basis für eine Bioökonomiestrategie sein. Die von Barbara Scheitz geführte Molkerei hat für die Entwicklung des BIO-Milchmarkts wichtige Impulse gesetzt, beispielsweise Ersteinführung EU-Umwelt-Audits, Gentechnik-Freiheit, Transparenz-Initiativen für Verbraucherinnen und Verbraucher mit Produkt-Rückverfolgbarkeit.
Die Bioenergiedebatte sei in den 2000erJahren insofern undifferenziert geführt worden, als Bioenergie mit Palmöleinsatz gleichgesetzt worden sei, sagte Bernhard Widmann, Leiter des Technologie- und Förderzentrum im Kompetenzzentrum für Nachwachsende Rohstoffe (TFZ). Bernhard Widmann sprach sich für eine dezentrale Bioenergieproduktion aus, die regionale Ressourcen zum Einsatz bringen kann. Der gesellschaftliche Dialog und die Teilhabe zivilgesellschaftlicher Akteure seien außerdem entscheidend, damit Bioökonomie erfolgreich gelingen könne. „Im Hinblick auf den Energieverbrauch ist die Verkehrswende das dickste Brett, das wir bohren müssen“, betonte Bernhard Widmann.
Staaten setzen auf weiche Regulierungsmechanismen
Der Agrarökonom Jan Börner (Professor für Ökonomik nachhaltiger Landnutzung und Bioökonomie am Institut für Lebensmittel- und Ressourcenökonomik der Universität Bonn) erläuterte, welche Auswirkungen biobasiertes Wirtschaften auf Nachhaltigkeitsindikatoren haben kann und welche Herausforderungen für eine globale Nachhaltigkeits-Governance damit verbunden sind. Beispielsweise finde in Europa derzeit eine Veränderung der Produktions- und Konsummuster statt, die mit einem wachsenden Flächenbedarf vor allem für Nicht-Nahrungsprodukte weltweit verbunden sei. „Wir bleiben zwar nachhaltig in unserem Kontext, aber importieren Biomasse aus anderen Kontexten“, betonte er. Bioökonomiestrategien beinhalteten nur selten staatliche Regulierung, sondern setzten meistens auf freiwillige Mechanismen wie etwa Zertifizierungen. Diese weiche Steuerung scheine aber nicht ausreichend zu sein. Regelungslücken würden etwa dadurch entstehen, dass die steigende Nachfrage in Regionen mit schwachen Umweltstandards ausgelagert wird oder Behörden dem technischen Fortschritt hinterherhinken. „Eine wirksame globale Nachhaltigkeits-Governance braucht multilaterale Abstimmungsprozesse und gemeinsame Regelwerke“, resümierte Jan Börner.
„Partizipation darf keine Formsache sein.“
„Eine gesellschaftliche Debatte über Bioökonomie findet nicht statt“, stellte die Journalistin und Autorin Christiane Grefe im abschließenden Vortrag der Tagung fest. Das Konzept werde in den Grenzen einer engen Fachwelt diskutiert; der Begriff tauche nahezu ausschließlich in Wissenschaftsinstitutionen auf. „Gleichzeitig war die Debatte nie so intensiv wie heute – unterhalb eines Gesamtkonzeptes von Bioökonomie brennen die Einzelthemen“, betonte sie, und verwies etwa auf Diskussionen um Landverteilung, Ernährung und Hightech in der Landwirtschaft. Christiane Grefe plädierte dafür, Lösungs- und Zielkonflikte in einer breiten gesellschaftlichen Debatte auszuhandeln. „Partizipation darf keine Formsache sein“, betonte sie. Bürgerinnen und Bürgern müsse ersichtlich sein, welche Wirkung ihre Teilhabe hat. Dazu solle die breite Bevölkerung in die politischen Gremien eingebunden werden, die real Politik gestalten. Außerdem bemängelte die Journalistin, dass Bioökonomie häufig verkürzt diskutiert werde. „Sie ist aber mehr als dasselbe in grün‘“, betonte sie. „Es fehlen Konzeptionen, die den Mehrwert des Systemgedankens verdeutlichen.“
Interdisziplinärer Dialog
Der interdisziplinäre Dialog ist Teil der Reihe „Innovation und Verantwortung“, die die unterschiedlichen Wissenskulturen der Technikwissenschaften und der Theologie zusammenbringen und dabei kreative Ansätze zum verantwortungsvollen Umgang mit technischen Innovationen diskutieren möchte.
Organisiert und moderiert wurde die Dialogveranstaltung von Stephan Schleissing vom Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften der LMU München und Marc-Denis Weitze, dem Leiter des Themenschwerpunkts Technikkommunikation der acatech Geschäftsstelle.