Bit meets Bio: acatech Senat diskutiert über die Zukunft der Biotechnologien

6. Juli 2018
Dank neuer Methoden und der Verbindung mit Big Data gehören die Biotechnologien zu den dynamischsten Innovationsfeldern unserer Zeit. Sie standen im Mittelpunkt der acatech Senatssitzung am 6. Juli 2018 in München. acatech Präsidiumsmitglied Hermann Requardt, Heike Walles (Fraunhofer ISC), Merck-CEO Stefan Oschmann, Frank Mathias (CEO Rentschler Biopharma SE) und Peter Dabrock (Deutscher Ethikrat) führten in die Diskussion ein. Der Senat berief Reinhard Ploss, CEO der Infineon Technologies AG, in das acatech Präsidium. Auf dem Abendempfang sprachen Staatsminister Franz Josef Pschierer und acatech Präsidiumsmitglied Christoph M. Schmidt.
Was folgt auf die Digitalisierung? acatech analysiert im gleichnamigen IMPULS-Papier die „Innovationspotenziale der Biotechnologie“. Das Fazit: Hier entsteht eine Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts. Neue Methoden wie CRISPR/Cas ermöglichen punktgenaue Veränderungen im Genom, die sich von natürlichen Mutationen oftmals nicht unterscheiden lassen. Big Data, Miniaturisierung und künstliche Intelligenz beschleunigen die Entwicklung. Die Biotechnologien erreichen eine Dynamik, die der Digitalisierung mindestens gleichkommt. Biotechnologien standen 2016 im Mittelpunkt eines von acatech vorbereiteten Innovationsdialogs zwischen Bundesregierung, Wirtschaft und Wissenschaft. Heute arbeitet die Bundesregierung an einer ressortübergreifenden Agenda „Von der Biologie zur Innovation“. Unter dem Motto „Bit meets Bio“ widmete sich der acatech Senat nun diesem Zukunftsthema.
In seiner Keynote zeichnete acatech Präsidiumsmitglied Hermann Requardt die rasante Entwicklung der Biotechnologien nach und beleuchtete Anwendungsfelder von der Medizintechnik über die Landwirtschaft bis zum Maschinen- und Anlagenbau. Er wies auf die wirtschaftliche Bedeutung hin, aber auch auf gesellschaftliche und ethische Fragen, die neue Biotechnologien aufwerfen. In der gesellschaftlichen Debatte verschränken sich nach seinen Worten Sachfragen – beispielsweise zur Risikobewertung – mit normativen Fragen – etwa zu Veränderungen natürlicher Organismen. Hermann Requardt forderte eine offene und faktenbasierte gesellschaftliche Debatte. Deutschland habe Stärken in der biotechnologischen Forschung, aber auch Schwächen beim Transfer von Forschungsergebnissen in Anwendungen und Gründungen. Wenn relevante biotechnologische Kompetenzen im Bereich Design, Entwicklung und Produktion mittelfristig nicht verloren gehen sollen, sei neben einer kontinuierlichen Forschungsförderung auch der Aufbau einer konkurrenzfähigen Biotechnologie-Industrie notwendig. Das Thema sei ein Paradebeispiel für Entwicklungen, die eine Zusammenarbeit verschiedenster Bereiche erfordern: Grundlagen-, Technik-, Sozialwissenschaft, aber auch gesellschaftliche Organisationen, Politik- und Medienvertreter müssen Möglichkeiten und Grenzen der Biotechnologien gemeinsam erschließen, abwägen und die gesellschaftliche Debatte fördern.
Heike Walles präsentierte Anwendungen neuer Biotechnologien. Am Fraunhofer-Translationszentrum für Regenerative Therapien entwickelt sie zellbasierte Gewebemodelle und Testsysteme, skalierbare Produktionsprozesse und biologische Implantate bis hin zum Prototypen. Stefan Oschmann (CEO Merck KGaA) erläuterte am Beispiel individualisierter Krebstherapien, wie die Biotechnologie von morgen Patienten helfen wird. Frank Mathias (CEO Rentschler Biopharma SE) unterstrich, dass sich die Heilungschancen bei Krebs in den vergangenen Jahren massiv verbessert haben – bei Hautkrebs haben sie sich binnen zehn Jahren verdoppelt. Generell habe sich der Anteil an Biopharmazeutika bei Neuzulassungen mittlerweile auf über 50 Prozent gesteigert. Peter Dabrock (Deutscher Ethikrat) ging auf aktuelle ethische Fragen ein, die neue Methoden wie CRISPR/Cas aufwerfen.
Infineon-CEO Reinhard Ploss rückt ins acatech Präsidium
acatech Präsident Karl-Heinz Streibich zog nach der Diskussion das Fazit, dass die rasante Entwicklung in den Biotechnologien alle Branchen und Wissenschaftsbereiche angehe. Im Vergleich zur Industrie 4.0 sei die Ausgangsposition Deutschlands schwieriger. Umso wichtiger sei die wirtschaftliche, innovationspolitische und gesellschaftliche Debatte über diese neue Schlüsseltechnologie.
Gemeinsam mit seinem Ko-Präsidenten Dieter Spath begrüßte Karl-Heinz Streibich Reinhard Ploss als neues Mitglied des acatech Präsidiums. Mit dem Vorstandsvorsitzenden der Infineon Technologies AG gewinne das acatech Präsidium eine wichtige Stimme aus der Wirtschaft mit großem Sachverstand in den Bereichen Mikro- und Nanotechnologie, Mobilität, Industrie, Digitalisierung und IT-Sicherheit.
Senatsempfang mit Staatsminister Franz Josef Pschierer und Christoph M. Schmidt
Am Abend kamen die Senatorinnen und Senatoren mit den Mitgliedern des acatech Kuratoriums zusammen, dem Henning Kagermann vorsitzt. In seinem Grußwort würdigte Staatsminister Franz Josef Pschierer die wachsende Bedeutung von acatech in der Politik- und Gesellschaftsberatung. Bayern ist das Sitzland der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften und fördert acatech in besonderer Weise. acatech Präsidiumsmitglied Christoph M. Schmidt (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung) stellte die Arbeit von acatech in einen volkswirtschaftlichen Kontext. Nach seinen Worten fehlen Deutschland in naher Zukunft zehn Millionen Erwerbstätige, weil die Babyboomer in Rente gehen. Um diese Lücke auszugleichen, brauche es eine höhere Produktivität. Dazu komme es auf innovative Produkte und Dienstleistungen sowie moderne Formen der Arbeitsorganisation an – beides möchte die Akademie mit ihrer Arbeit fördern.