Deutschland sollte Nutzung und Speicherung von CO₂ als Optionen des Klimaschutzes fortentwickeln
Berlin, 25. September 2018
Deutschland droht seine Klimaschutzziele zu verfehlen. Die Nutzung und Speicherung von Kohlendioxid (CCU, CCS) aus Industrieprozessen könnte einen wichtigen Teil der Klimaschutzlücke schließen. Das Ob und Wie dieser Technologien muss laut acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften unter Beteiligung einer breiten Öffentlichkeit zeitnah diskutiert werden, damit notwendige Infrastrukturen geplant, genehmigt und errichtet werden können. Nur dann wären sie ab 2030 als wirksame Klimaschutzmaßnahmen einsatzfähig. Die acatech Position haben Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft, Gewerkschaften, der Industrie, Ämtern und Behörden und Umweltverbänden gemeinsam erarbeitet.
Deutschland hinkt seinen Zielen zur Reduktion von Treibhausgasemissionen gemäß des Pariser Klimaabkommens hinterher. Ein eigenes Sektorziel für die energieintensive Industrie hat die Bundesregierung erstmals im 2016 verabschiedeten Klimaschutzplan 2050 festgelegt: Bis zum Jahr 2030 sollen die Emissionen im Vergleich zu 1990 in etwa halbiert werden, heißt es darin, bis 2050 soll eine weitgehende Treibhausgasneutralität erreicht sein. Will Deutschland diese Ziele erreichen, werden zusätzliche Verfahren zur Verringerung von CO2-Emissionen gebraucht. Die Nutzung und Speicherung von Kohlendioxid (CCU, CCS) zur Reduktion anderweitig unvermeidbarer CO2-Emissionen aus industriellen Prozessen könnte sich dabei als erforderlich erweisen.
Hans-Joachim Kümpel, Leiter des acatech Projekts „CCU und CCS – Bausteine für den Klimaschutz in der Industrie“, erläutert: „Wir brauchen eine breite gesellschaftliche Diskussion darüber, wie ernst wir die Ziele des Pariser Klimaabkommens nehmen und welche Konsequenzen wir daraus ziehen. Dazu gehört auch die Frage, ob wir uns als Gesellschaft die Optionen CCU und CCS offenhalten. Wenn die Technologien ab 2030 für maßgebliche Mengen von CO2 zur Verfügung stehen sollen, müssen wir sie sehr bald intensiv fortentwickeln. Bei der Option CCS geht es uns explizit nur um Emissionen aus dem Industriesektor, die produktionsbedingt unvermeidbar und auch sonst nicht verwertbar sind. Wir sehen CCS nicht als Option, die Kohleverstromung zu verlängern.“
Der Begriff CCU (Carbon Capture and Utilization) bezieht sich auf die Möglichkeit, CO2 zu verwerten und die Freisetzung des klimaschädlichen Gases in die Umwelt zu verringern. CCU-Technologien machen es zum Beispiel möglich, CO2 längerfristig zu binden, etwa in PVC-Erzeugnissen oder durch die CO2-Mineralisierung zu einem Zuschlagstoff von Beton. Wenn sehr große Mengen erneuerbarer Energien kostengünstig verfügbar sind, könnte CO2 darüber hinaus auch zum Energieträger weiterverarbeitet werden – etwa als synthetischer Kraftstoff. Dessen Nutzung wäre klimaneutral, wenn das CO2 zuvor der Atmosphäre entzogen würde. CCU-Technologien sollten weiter intensiv erforscht werden, sind aber noch nicht im großen Maßstab wirtschaftlich verfügbar.
Die Speicherung und Lagerung des Treibhausgases CO2 (CCS – Carbon Capture and Storage) ist eine wirkungsvolle Option zur Reduktion unvermeidbarer CO2-Emissionen aus industriellen Prozessen. CO2 kann dabei sowohl land- als auch seeseitig im tiefen Untergrund gespeichert und bei Bedarf als Rohstoff wieder zurück gefördert werden. Jede Teilmaßnahme unterliegt strengen sicherheitstechnischen Prüfungen und Genehmigungen. Hans-Joachim Kümpel schätzt: „Wenn wir den Aufbau der für den CCS-Einsatz notwendigen Infrastruktur konsequent angehen, könnten wir nach 2030 pro Jahr zwischen 50 und 100 Millionen Tonnen CO2 aus industriellen Prozessen speichern und das für 100 Jahre und mehr.“ Im Gegensatz zu CCU-Technologien, denen die Öffentlichkeit eher neutral bis positiv gegenübersteht, haben laut Hans-Joachim Kümpel Teile der Bevölkerung große Vorbehalte gegen die CCS-Technologie. CCS als Option für den Klimaschutz hat deshalb nur dann eine Chance, wenn Zivilgesellschaft, Politik, Industrie, NGOs und Verbände sie unterstützen.
Beide Möglichkeiten, CCU und CCS, haben für einen großskaligen Einsatz lange Vorlaufzeiten. Deshalb fordert acatech eine frühzeitige Debatte unter Beteiligung einer breiten Öffentlichkeit. Nur dann können gesellschaftliche Vorbehalte berücksichtigt, grundsätzlich geeignete Technologien rechtzeitig fortentwickelt, zur Marktreife gebracht und die nötige Infrastruktur geplant, genehmigt, finanziert und errichtet werden.
Über die acatech Projektgruppe
Die acatech Position „CCU und CCS – Bausteine für den Klimaschutz in der Industrie“ ist in zweijähriger Projektgruppenarbeit entstanden, in einer Reihe intensiver Workshops mit Vorträgen, Diskussionen und inhaltlichen Abstimmungen. Mitgewirkt haben im Kern rund 30 Expertinnen und Experten auf dem Gebiet der behandelten Fragestellungen, vielfach leitende Angehörige aus Forschungseinrichtungen, Ämtern und Behörden, der Industrie, Umweltverbänden, Gewerkschaften, eines Norminstituts und Consultants. Seitens der Industrie waren Vertreter von Unternehmen und Verbänden der Chemiebranche, der Eisen- und Stahlbranche, der Zementindustrie und eines Technologieunternehmens an den Workshops beteiligt. Die mitwirkenden Umweltverbände waren die Bellona Foundation, die European Climate Foundation, Germanwatch und WWF Deutschland. Das Vorhaben wurde gefördert von der European Climate Foundation, BASF SE, Covestro Deutschland AG, The Linde Group und dem acatech Förderverein.