Proprietär, hybrid oder quelloffen in die Zukunft der Chipentwicklung?

München, 11. Juni 2025
Mikroelektronik ist eine Schlüsseltechnologie für den Wirtschafts- und Innovationsstandort Deutschland. Einen zentralen Bestandteil bei der Chipentwicklung bildet das Chipdesign. Die dafür benötigten Designwerkzeuge aber sind in der Hand einiger weniger Anbieter. Das beeinflusst Deutschlands und Europas technologische Souveränität und Innovationsfähigkeit in der Mikroelektronik. Quelloffene Designinstrumente könnten ein Hebel für mehr Unabhängigkeit sein. Wie die Aussichten dafür stehen und welche Rollen Hochschulen, Unternehmen und die Politik dabei spielen, das machte acatech am Dienstag zum Thema einer Ergebnis- und Podiumsdiskussion.
Die Begrüßung der mehr als 80 Gäste übernahm erstmals die designierte acatech Präsidentin Claudia Eckert. Die Fragen zur technologischen Souveränität seien vielfältig und aktuell wie nie, schickte sie voraus. Die Entwicklung von sicherer und vertrauenswürdiger Hardware sei wichtig, aber auch das in der Öffentlichkeit weniger stark diskutierte Chipdesign gelte es in den Fokus zu rücken. Denn dafür sei die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften da – um auch diese weniger bekannten, aber dennoch relevanten Themen zu priorisieren.
Mikroelektronik bestimmt den digitalisierten Alltag
Zu den Ergebnissen des acatech Projekts „Quelloffene Designinstrumente für souveräne Chipentwicklung“ stellten im Anschluss die acatech Mitglieder und Co-Leiter der Projektgruppe DI-QDISC Wolfgang Nebel (Carl von Ossietzky Universität Oldenburg) und Robert Weigel (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) Details und Einordnungen vor. Politisch sei das Thema Chipentwicklung in Deutschland und auf EU-Ebene ein sehr relevantes Thema, dessen Chancen und Herausforderungen es zu beleuchten gelte. Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Mikroelektronik zeige sich daran, dass mittlerweile keine Branche mehr ohne Mikroelektronik als Grundlage eines digitalisierten Alltags arbeitsfähig sei. Auch die Politik habe diese Relevanz erkannt und versuche Fertigungskapazitäten in Deutschland anzusiedeln. Doch Fertigungskapazitäten allein seien nur ein Teilbild des Ökosystems, das für ein souveränes Agieren in den Bereichen Halbleiter und Mikroelektronik aufgebaut werden müsse, so Wolfgang Nebel. Schließlich mache der acatech Impuls deutlich, dass rund 60 Prozent der Wertschöpfung in der vorgelagerten Phase des Chipdesigns entstehen.
Können Open-Source-Designwerkzeuge zur Alternative werden?
Den bisherigen Status quo für Chipdesign-Werkzeuge kennzeichnen proprietäre Systeme, deren komplexe und aufwendige Entwicklung aktuell von drei globalen Playern dominiert wird, verdeutlichte Wolfgang Nebel. Änderungen und Modifikationen an den Tools kontrollierten ausschließlich die Hersteller; die Lizenzkosten seien insbesondere für Start-ups und kleine und mittlere Unternehmen (KMU) eine entsprechend herausfordernde Hürde. Ursächlich für diese Entwicklung sei unter anderem die Strategie der Unternehmen, Designinstrumente zunehmend bei externen Anbietern einzukaufen, statt aufwendig mit eigenen Entwicklerteams selbst zu erstellen. Als Folge sei in diesem Bereich viel Know-how und Innovationsfähigkeit verlorengegangen. Das Ergebnis: Heute bestimmen nur wenige Anbieter den Markt.
Hier setzen die Open-Source-Lösungen an. Sie machen den Quellcode öffentlich zugänglich, sodass deren Funktionsweise verständlich und Modifikationen möglich werden. Die Vorteile für anwendende Organisationen und Unternehmen liegen auf der Hand: Offenheit und Transparenz durch gemeinschaftliche Entwicklung, reduzierte Kosten und erhöhte Anpassbarkeit, aber auch eine besondere Eignung für zukünftige Technologien wie Quantentechnologie. Das werde möglich, weil hier der Markt für proprietäre Werkzeuge meist noch zu klein und daher zu unwirtschaftlich sei, so Wolfgang Nebel.
Quelloffene Entwurfswerkzeuge: Wie ist der aktuelle Stand in der Anwendung?
Zur aktuellen Rolle der quelloffenen Entwurfswerkzeuge dämpfte Wolfgang Nebel zunächst die Erwartungshaltung, weil sich diese noch in einem sehr frühen Stadium befänden. Dennoch zeichneten sich erste Geschäftsmodelle bereits ab – die Kundenbasis liege hier überwiegend im akademischen Bereich. Industrielle Projekte seien noch sehr punktuell zu verzeichnen.
Chancen und Herausforderungen: Resonanz aus den Anwenderindustrien
Co-Projektleiter Robert Weigel gab Einblicke in die Stärken und Schwächen der quelloffenen EDA-Tools (Electronic Design Automation). Sie seien zunächst durch eine niedrigere technische Reife und einen eingeschränkten Funktionsumfang limitiert. Hinzu käme, dass sie schwerer zu zertifizieren seien und die Integration in bestehende industrielle Produktionsketten schwerfalle. So sei es in absehbarer Zeit nicht zu erwarten, dass quelloffene EDA-Tools mit proprietären Designtools konkurrieren werden. Gleichwohl müsse man sie als eine sinnvolle Ergänzung betrachten, so Robert Weigel. Entscheidend dafür seien aber offene Schnittstellen – denn diese müssten als Voraussetzung für eine reibungslose Integration und für hybride Entwurfsketten bewertet werden.
Chancen und Hürden von Open Source Werkzeugen
Chancen von Open Source Werkzeugen
- Keine problematischen Nutzungs- und Geheimhaltungsvereinbarungen
- Keine Handelsbeschränkungen
- Keine asymmetrische Verhandlungsmacht
- Uneingeschränkter Wettbewerb und Vergleichsmöglichkeiten
- Keine Lock-in-Effekte
- Anpassbarkeit für Nischenlösungen
- Derzeit alternativlos in Anwendungen kleiner Märkte und zukünftiger More-than-Moore Technologien
- Zentral für Forschung und Lehre im Chipdesign
Aktuelle Hürden
- Performanz im Vergleich zu proprietären Tools
- Mangelnder Support und Wartung
- Haftungs- und Compliance-Risiken
- Etablierte Workflows und hohe Investitionen
- Anforderungen der Halbleiterfertiger
- Sicherheitsbedenken
- Risiko nicht konkurrenzfähiger Produkte
- Vergleichbar preiswerte Lizenzen proprietärer Lösungen für akademische Anwendungen
- Sonderkonditionen proprietärer Lösungen für Start-ups und KMU für Proof-of-Concept Designs
- Keine Unterstützung für leading edge Technologien
Was können Stakeholder tun, um quelloffene Tools zu fördern?
Drei Cluster identifizierte Robert Weigel anschließend für die Frage, wie sich die Bedeutung quelloffener Designtools stärken lassen könnten: Bildung und Ausbildung, Wirtschaft und Politik. Der vermehrte Einsatz von Open-Source-Werkzeugen in der schulischen Bildung und akademischen Lehre sei in Verbindung mit neuen Studiengängen und Professuren eine Option, um den Nachwuchs frühzeitig mit Chipdesign in Berührung zu bringen und den Aufbau eines Ökosystems zu fördern. Ein von der Industrie getragenes Open-Source-EDA-Anwendungsforum könnte die Entwicklung quelloffener Designwerkzeuge und die Integration in industrielle Design-Flows gezielt vorantreiben. Ein Zielbild für die Politik hingegen sei eine Plattform als Marktplatz – ein „One-Stop-Shop“ für quelloffene Designwerkzeuge, der alle Stakeholder zusammenbringt: mit dem Effekt, neue integrative Lösungen weiterzuentwickeln und eine Community aufzubauen. Auch einen EDA-Entwicklungsvoucher für Unternehmen führte Robert Weigel als weitere Option an, die gezielt Entwicklungen für die Bedarfe der Industrie adressiere.
Wie bewertet die Industrie die quelloffenen Designtools?
Nach den vorgestellten Studienergebnissen gab acatech Mitglied Heike Riel (IBM Fellow, Head Science & Technology) eine zusammenfassende Einschätzung aus Industriesicht ab. EDA-Tools stammten aus einer Zeit, in der man noch sehr proprietär gearbeitet habe. Auch IBM verfügte über eine eigene EDA-Entwicklung, die im weiteren Verlauf mit externen Lösungen zusammengeführt wurde, so Heike Riel. Zwar sei es wichtig, mit dem Fortschritt zu gehen und neue Lösungen zu finden, weshalb Chipdesign-Abteilungen sehr schnell neue Produkte auf den Markt bringen. Die Herausforderungen seien jedoch in der langsamen Entwicklung und den hohen Kosten zu finden. Entscheidend seien die Ressourcen, die Expertise der Mitarbeitenden, und ob diese fortgebildet werden müssten. Schnelle Innovation und Wettbewerb seien wichtig, so fasste Heike Riel zusammen.
Open Source, Exportverbote und ein großer Vorsprung
Die anschließende von Lisa Risch und Clemens Wolf moderierte Podiumsdiskussion offenbarte das große Interesse der Gäste an der zukünftigen Bedeutung quelloffener Designinstrumente. Die Frage, ob im Rahmen der Studie Open-Source-Designtools mit Zugang für die ganze Welt oder aber auch nur für Deutschland oder die EU zu verstehen sei, beantwortete Robert Weigel mit dem Hinweis auf die weltweite Verfügbarkeit. Es sei wichtig, Open Source in Europa zu fördern, um nicht alternativlos den proprietären Systemen gegenüberzustehen. Denn hier sei der jahrelange Vorsprung im Know-how kaum aufzuholen, was das Zielbild einer geschlossenen Open-Source-Entwurfskette umso wichtiger mache. Eine weitere Frage zielte auf die vor dem Hintergrund aktueller geopolitischer Dynamiken existierenden Exportverbote der proprietären Designtools ab: Diese Zugangsbeschränkungen bewirkten, dass die sanktionierten Nationen gezwungen seien, eigene Innovationen zu entwickeln – was im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) ja kürzlich medienwirksam gelungen sei so Wolfgang Nebel.
Souveräne Chipentwicklung sei trotz der großen Herausforderungen ein relevantes Thema, das zeigten auch die in der Diskussion geäußerten Wünsche seitens der Industrie, fasste Claudia Eckert im Schlusswort den Abend zusammen. Erste Signale, das Thema auf EU-Ebene anzuschieben, stimmten positiv und bestätigten die Relevanz der in der Studie herausgearbeiteten Schwerpunkte.