Wie flexibel müssen industrielle Geschäftsmodelle zukünftig werden?

München, 23. Juni 2025
Die industrielle Wertschöpfung befindet sich im Umbruch. Immer mehr Unternehmen verfolgen servicebasierte Geschäftsmodelle. „XaaS“ – Everything-as-a-Service – stellt Leistungsangebote wie Maschinen, Software, Infrastruktur und sogar ganze Fabriken als Dienstleistung bereit. Dieser Ansatz ermöglicht es, neue Wertschöpfungspotenziale zu nutzen und auch engere Kundenbindungen aufzubauen. Voraussetzung: Die Art und Weise, wie das Angebot als Produkt-Service-Systeme entwickelt und genutzt wird, muss von Grund auf neu gedacht werden. acatech am Dienstag betrachtete am 3. Juni 2025 den aktuellen Stand der Umsetzung neuartiger XaaS-Geschäftsmodelle und diskutierte, welche von ihnen im industriellen Kontext tragfähig sind.
Nach der Begrüßung der Gäste durch acatech Präsident Jan Wörner führte Moderatorin Mareike Berger (acatech Geschäftsstelle) in den Wandel der Industrie ein: weg von den herkömmlichen, produktbasierten (Geschäfts-)Modellen, hin zu neuen Modellen, die zusätzlich zu den verkauften Produkten auch Serviceleistungen anbieten (XaaS). Einerseits generiert dieses neue Wertschöpfungsmodell neue Potenziale, stellt die Industrie aber auch vor neue Herausforderungen. Diese veranschaulichte acatech Mitglied Julia Arlinghaus (Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF; Mitglied im Forschungsbeirat Industrie 4.0) in ihrer anschließenden Impulspräsentation.
Vielfältige Modelle bereits heute im Einsatz
In ihrem Impuls wurde deutlich: XaaS-Modelle sind in ihrer Vielfalt breit aufgestellt – sie reichen von produktorientierten Wartungspaketen über nutzungs- oder ergebnisbasierte Ansätze wie „Pay-per-Part“ bis hin zu Plattformlösungen im Sharing-Bereich. Erfolgreiche Beispiele finden sich bereits heute in Branchen wie Mobilität, Maschinenbau, Mode und Haushaltsgeräte.
XaaS-Modelle stützen sich auf zentrale Zukunftstechnologien wie Cloud Computing, das Internet der Dinge (IoT) und Künstliche Intelligenz. Diese schaffen die notwendige Basis und Infrastruktur für On-Demand-Services, Fernüberwachung und vorausschauende Wartung. Vor allem Künstliche Intelligenz (KI) ermöglicht heute skalierbare, hochgradig personalisierte Angebote, die sich dynamisch an individuelle Nutzerbedürfnisse und Nutzungsmuster anpassen lassen.
Auch wirtschaftlich sprechen viele Argumente für XaaS: Kunden bevorzugen flexible, nutzungsabhängige OPEX-Modelle („Operational Expenditures“ für laufende Betriebsausgaben) gegenüber klassischen Investitionen in Anlagegüter wie Maschinen (CAPEX) und schätzen kontinuierliche Innovation. Unternehmen wiederum profitieren von planbaren Einnahmen, stärkerer Kundenbindung und einem gesteigerten Unternehmenswert durch servicelastige Geschäftsmodelle.
Neben wirtschaftlichen und technologischen Treibern spielen auch gesellschaftliche und regulatorische Faktoren eine Rolle. So unterstützt XaaS nachhaltige Konsummodelle und die Circular Economy – etwa durch Sharing-Konzepte. Gleichzeitig stellen Datenschutzanforderungen, etwa im Rahmen der DSGVO, hohe Anforderungen an konforme, modulare Serviceangebote.
Infrastruktur ausbauen – Vorbehalte abbauen
Doch trotz vielversprechender Potenziale existieren auch Hemmnisse: Kulturelle Vorbehalte, unzureichende digitale Infrastruktur und bilanzielle Hürden bremsen die Umsetzung. Während Kunden oftmals Kontrollverluste befürchten, kämpfen Anbieter mit veralteten IT-Strukturen, fehlender Datenintegration und mit der Notwendigkeit, neue Service-KPIs zu definieren.
Abschließend richtete Julia Arlinghaus den Blick auf aktuelle Trends in der Forschung und im Markt: Die Entwicklung gehe zunehmend in Richtung ergebnisorientierter Modelle („Pay-per-Outcome“), bei denen insbesondere der Datenzugang und die -verfügbarkeit eine zentrale Rolle spielen. Hybride Angebote, dynamisch bepreist und KI-gestützt, setzten sich durch – immer häufiger auch mit Blick auf Nachhaltigkeit und ökologische Wirkung.
Klaus Bauer (TRUMPF Werkzeugmaschinen SE + Co. KG, stellvertretender Sprecher Wirtschaft des Forschungsbeirats Industrie 4.0) beschrieb in seinem anschließenden Impulsvortrag, wie das international agierende Familienunternehmen TRUMPF sich mit innovativen Lösungen und Servicepaketen auf einem immer stärker umkämpften Markt durchsetzt: Die Evolution von Geschäftsmodellen bei Trumpf nahm ihren Anfang mit optimierten Produktdesigns und ergänzenden digitalen Lösungen – etwa einer Software, die beim Schneidvorgang automatisch die optimale Laser-Geschwindigkeit auf Basis der jeweiligen Materialbeschaffenheit ermittelt. Dann folgten Serviceangebote zur Fernüberwachung und die Erhöhung der Transparenz über die Daten für die Kunden. Daten entwickelten sich dabei zur zentralen Ressource für zusätzliche Dienste und individualisierte Dienstleistungsangebote – von einfachen Add-ons bis hin zu komplexen, datengetriebenen Servicemodellen. In der sogenannten „Smart Factory“ werden beispielsweise die verschiedenen Produktionsprozesse digital so miteinander verknüpft, dass sich unter anderem die Effizienz der Produktion analysieren und steigern lässt.
Innovationsschub dank Daten-Ökosystemen?
Im Mittelpunkt der Geschäftsmodellentwicklung bei TRUMPF stehe zunehmend das Kundenbedürfnis, so Klaus Bauer: Produkte und Dienstleistungen werden an individuellen Anforderungen und Nutzungssituationen ausgerichtet. Die Digitalisierung bildet dabei die Grundlage für innovative Geschäftsmodelle und neue Wertschöpfungsansätze entlang der gesamten Servicekette.
Daten-Ökosysteme, in denen Unternehmen, Partner und Kunden vernetzt agieren, erwiesen sich zunehmend als Schlüssel für nachhaltige Innovationsdynamik. Nicht zuletzt erfordere die Transformation ein grundlegendes Umdenken: Ansätze wie Manufacturing-X stehen für einen notwendigen Mindset-Change hin zu offener, kollaborativer und datenbasierter Produktion.
Die anschließende Podiumsdiskussion widmete sich zentralen Fragestellungen im Kontext des „Datenteilens“. Mareike Berger stellte die Schlüsselfrage nach möglichen Lösungsansätzen zur Wahrung der Datensouveränität und zur Förderung des Datenaustauschs. Julia Arlinghaus wies darauf hin, dass in Deutschland die Standardisierung und der Austausch von Daten nach wie vor erheblich eingeschränkt sind, was vor allem auf weitverbreitete Sicherheitsbedenken zurückzuführen sei. Diese Vorbehalte betreffen sowohl die Geschäftsmodelle als auch die Aspekte der Cybersicherheit.
Die Diskussion brachte die Etablierung branchenbezogener Standards für einen sicheren und effizienten Datenaustausch als potenziellen Lösungsansatz hervor – wie beispielsweise im Rahmen der Projekte Catena-X und Manufacturing-X. In diesem Zusammenhang empfahl Julia Arlinghaus ausdrücklich, den deutschen Mittelstand aktiv in die Entwicklung und Umsetzung solcher Standards einzubinden. Klaus Bauer ergänzte, dass beim Thema des Datenteilens die Vorteile und der Nutzen für alle Beteiligten in den Vordergrund gestellt werden müssen. Zudem sei es notwendig, sich auf technische, rechtliche und organisatorische Standards zu einigen. Diese gelte es so zu gestalten, dass sie wirtschaftlich tragbar sind, um eine breite Akzeptanz und Anwendung zu gewährleisten. Grundlage für einen effektiven Datenaustausch bilden die aktuellen Entwicklungen im Bereich der Datenstrukturen und Datenräume.