Fremdbestimmt oder souverän: Deutschlands digitale Zukunft auf dem Prüfstand
Berlin, 13. Januar 2016
Um Leitmarkt und Leitanbieter für Industrie 4.0 zu werden, hat Deutschland beste Voraussetzungen. Der Stellenwert der industriellen Produktion ist hoch und die Ausbildung der Facharbeiter und Ingenieure liegt auf weltweitem Spitzenniveau. Allerdings fehlt es an Wagniskapital, Internettechnologien und innovativen Geschäftsmodellen, berichtet die Projektgruppe Internationaler Benchmark, Zukunftsoptionen und Handlungsempfehlungen für die Produktionsforschung (INBENZHAP) der Deutschen Akademie der Technikwissenschaft. Die Gruppe entwickelt 44 Handlungsempfehlungen für den Sprung an die Weltspitze.
Industrie 4.0 eröffnet neue Perspektiven für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Doch die internationale Konkurrenz wächst. Wo steht Deutschland? Und wie sollte sich der Industriestandort weiterentwickeln? Expertinnen und Experten von acatech haben dazu rund 150 Interviews mit Politikern, Wissenschaftlern, Unternehmern und anderen Stakeholdern in den USA, Deutschland, Brasilien, China, Japan, Singapur und Südkorea geführt. Ihre Ergebnisse stellte die Gruppe um Projektleiter Jürgen Gausemeier (Uni Paderborn) und Fritz Klocke (RWTH Aachen) auf einem Abschlusstreffen am 13. Januar in der European School of Management and Technology (ESMT) in Berlin vor.
Benchmark: Schnelle Chinesen, innovative Amerikaner, hochqualifizierte Deutsche
Während der Fokus in den USA auf innovativen, nutzernahen Produkten und Internettechnologien liegt (B2C), konzentrieren sich chinesische Unternehmen darauf, bereits entwickelte Industrie 4.0 Technologien im großen Maßstab anzuwenden. Die Stärken deutscher Firmen liegen traditionell in hochwertigen Produktionstechnologien für industrielle Kunden (B2B), in der Datenanalyse und der sehr guten Qualifikation von Ingenieuren und Facharbeitern. Die größten Schwächen finden sich im Bereich der Internettechnologien, dem Zugang zu Wagniskapital und einem vergleichsweise mäßigen Pioniergeist. Auch die digitale Infrastruktur in Deutschland genügt noch nicht den Anforderungen der Industrie 4.0.
Um die digitale Transformation in Deutschland aktiv zu gestalten, entwickelte die INBENZHAP-Projektgruppe vier alternative Zukunftsszenarien:
- eine gelungene Balance aus staatlichen Rahmenbedingungen und technischer Innovation, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht;
- ein technikzentrierte Gesellschaft, in der Maschinen den Takt vorgeben;
- eine Zukunft, in der Industrie 4.0 an ungelösten Sicherheitsfragen und mangelnder internationaler Kooperation scheitert;
- eine Weltwirtschaft, die durch wenige, globalisierte Internetriesen dominiert wird.
Utopie oder Albtraum: Industrie 4.0 für Deutschland gestalten
Auf Basis des Benchmarks und der Zukunftsszenarien entwickelte das Projektteam ein Zielbild für Deutschlands digitale Zukunft. Daraus leiteten sie 44 Handlungsempfehlungen für Politik, Wissenschaft und Wirtschaft ab. Neben technischen Problemen werden dabei auch organisatorische und gesellschaftliche Herausforderungen adressiert. Die Empfehlungen sollen helfen, Deutschlands digitale Souveränität zu wahren und neben China und den USA zum Leitanbieter und Leitmarkt für Industrie 4.0 zu werden. Um die Fremdbestimmung durch wenige Internetriesen zu vermeiden, müssen etwa Schlüsselkomponenten von Industrie 4.0 wie Sensorik oder Internettechnologien in Deutschland entwickelt werden. Wichtig ist auch das Vertrauen der Bevölkerung in Datenspeicherung und –analyse. Datentreuhänder könnten dazu über die Nutzung personalisierter Daten wachen.
Die Ergebnisse des INBENZHAP-Projekts werden auf dem Kongress für Produktionsforschung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung am 23. und 24. Juni detailliert vorgestellt. INBENZHAP ist ein gemeinsames Projekt des Heinz Nixdorf Instituts der Universität Paderborn, des Werkzeugmaschinenlabors (WZL) der RWTH Aachen und der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften. INBENZHAP schließt an die Arbeit des von acatech koordinierten Arbeitskreises Industrie 4.0 an, der im April 2013 seinen Abschlussbericht an Bundeskanzlerin Angela Merkel übergeben hatte.
Weiterführende Informationen
Heinz Nixdorf Institut der Universität PaderbornWerkzeugmaschinenlabor (WZL) der RWTH Aachen