Geothermische Technologien in Ballungsräumen – Möglichkeiten und Herausforderungen
München, 18. Juli 2024
Die geologischen Strukturen in Deutschland weisen ein großes Potenzial für die Nutzung insbesondere der tiefen hydrothermalen Geothermie für die Wärmeversorgung auf. Zudem existieren in Ballungsräumen bereits Wärmenetze, in die große Energiemengen eingespeist werden können. Aus diesem Grund kann der Geothermie in Deutschland bei der Umstellung auf klimaneutrale Wärmeversorgung eine besondere Rolle zukommen. Fachleute thematisierten am 9. Juli bei acatech am Dienstag den Einsatz von Geothermie zur Wärmeversorgung in urbanen Räumen, erläuterten ihre Voraussetzungen und Möglichkeiten und diskutierten die damit verbundenen Herausforderungen und Vorbehalte.
acatech Präsident Jan Wörner ging in seiner Begrüßung auf die Bedeutung von Sicherheit, Resilienz und Nachhaltigkeit für die Souveränität ein. Souveränität hänge auch mit Versorgungssicherheit zusammen, insbesondere in der Energieversorgung, betonte er. Der Begriff „Strategische Souveränität“ umfasse die Freiheit zu entscheiden, auf welcher Ebene man Unabhängigkeit anstrebe und mit wem man kooperieren möchte. Dies mache die Strategische Souveränität so zentral bedeutend.
Anschließend stellte acatech Mitglied Rolf Emmermann (Gründungsdirektor sowie ehemaliger wissenschaftlicher Vorstand und Vorstandsvorsitzender des Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ) die Ergebnisse der Studie „Geothermische Technologien in Ballungsräumen. Ein Beitrag zur Wärmewende und zum Klimaschutz“ vor. Ziel der Studie ist, das Potenzial der Geothermie einerseits und die Einsatzmöglichkeiten geothermischer Nutzsysteme andererseits aufzuzeigen.
Was ist Geothermie und welche Arten gibt es?
Geothermische Energie ist eine im geologischen Untergrund vorhandene Energieform, die ständig zur Verfügung steht, erklärte Rolf Emmermann. Sie ist von Jahreszeiten und Wetterbedingungen unabhängig und durch nachhaltige Reservoir-Bewirtschaftung erneuerbar. Sie kann zur Bereitstellung von Wärme, Speicherung von Wärme und Kälte sowie zur Erzeugung von Strom genutzt werden. Unterschieden wird Geothermie in oberflächennahe (bis 400 Meter), mitteltiefe (bis etwa 1.200 Meter) und tiefe Systeme (ab etwa 1.200 Meter) Die Herausforderung bestehe darin, die Wärme an die Erdoberfläche zu transportieren und direkt nutzbar zu machen. Dafür gebe es drei wesentliche Erfolgsfaktoren: die möglichst genaue Kenntnis des Untergrunds, die Bohrtechnik und die Technologien für Wärmepumpen. Alle drei haben in den vergangenen zehn Jahren erhebliche Fortschritte gemacht.
Chancen und Potenziale der Geothermie
Das größte Nutzungspotenzial für geothermische Systeme liege in den urbanen Ballungszentren. Der Wärmebedarf sei dort groß, die Abnahmedichte hoch, und es gebe bereits häufig die benötigten Wärmeverteilnetze. In einigen Regionen ist Geothermie bereits fester Bestandteil der Wärmeplanungen, zahlreiche Geothermie-Anlagen seien deutschlandweit in Betrieb oder in Planung.
Die größten nachgewiesenen Potenziale liegen im Oberrheingraben, im Norddeutschen Becken, in der Rhein-Ruhr-Region und im Süddeutschen Molassebecken mit dem Großraum München, erklärte Rolf Emmermann. Die Stadtwerke München haben ihr Ziel bereits teilweise umgesetzt, bis zum Jahr 2040 die erste Großstadt Deutschlands zu werden, deren Fernwärme vollständig aus erneuerbaren Energien stammt – in erster Linie aus Geothermie. Neben dem Großraum München sind auch die Rhein-Ruhr-Region, die Metropolregion Berlin, die Hansestadt Hamburg, der Großraum Hannover sowie Schwerin Beispielregionen für Geothermie in Ballungsräumen.
Geothermie kann Resilienz, Effizienz und Wirtschaftlichkeit der Wärmeversorgung steigern, weil
- sie grundlastfähig ist,
- sie als heimische Energieform dauerhaft und stabil Wärme liefert,
- sie mit anderen Wärmeerzeugungssystemen gekoppelt werden kann, falls nötig unter Einsatz von Groß- oder Hochtemperatur-Wärmepumpen,
- sie Überschusswärme saisonal speichern kann,
- durch den Einsatz neuartiger geophysikalischer Erkundungsmethoden und innovativer Bohrtechnologien die Sicherheit erhöht, die Gestehungskosten minimiert und das Fündigkeitsrisiko geringer werden sowie
- ihre Leistungsfähigkeit beispielsweise durch Kaskadennutzung (hintereinander geschaltete Nutzung auf unterschiedlichen Temperaturniveaus) erhöht werden und zu höheren Betriebs- und Volllaststunden führen kann.
Wie lässt sich das Potenzial wirtschaftlich nutzen?
Die künftige Entwicklung des Geothermieanteils am gesamten Endenergieverbrauch hänge von vielen Faktoren ab. Dazu zählen Maßnahmen zur Erhöhung der Effizienz und der künftigen Entwicklung des Preisniveaus. Darüber hinaus entscheide vor allem die Bereitschaft, innovative und komplexe Technologien einzusetzen und größere Bau- oder Umbauvorhaben auch unter energetischen Gesichtspunkten ganzheitlich anzugehen. Der Einsatz von geothermischen Nutzungssystemen müsse rechtzeitig unter Einbindung der Genehmigungsbehörden eingeplant werden.
Thomas Hamacher (Geothermie-Allianz Bayern und Technische Universität München) nahm die Behörden in die Pflicht. Sie müssten klären, wo Geothermie eingesetzt werden kann und die Gemeinden darüber informieren, damit sie Geothermie bei der Erstellung ihrer jeweiligen Wärmepläne berücksichtigen können. Darüber hinaus sei es Aufgabe von Wissenschaft und Verbänden, neue Erkenntnisse und Informationen all jenen zur Verfügung zu stellen, die im Bereich der Geothermie arbeiten. Die Geothermie-Allianz Bayern habe einen Masterplan für den Großraum München erstellt, um die Potenziale der Geothermie aufzuzeigen. Sein Fazit: durch die Erfolge in Bayern und die Geothermie-Allianz Bayern habe die Geothermie eine ganz neue Gewichtung erhalten.
Christian Pletl (Stadtwerke München (SWM), Entwicklung regionale EE-Erzeugung, Leitung Geothermie) berichtete aus der Praxis: Die tiefe hydrothermale Geothermie sei bereits eine funktionierende Technologie mit rund 20 Anlagen im Großraum München. Die Geothermie-Anlage am Heizkraftwerk Süd ist aktuell Deutschlands größte und versorgt rund 80.000 Haushalte mit CO2-neutraler Wärme. Die Erweiterung um eine Wärmepumpe und eine Anlage zur Kälteerzeugung sei in Planung, berichtete der Experte für Energiewirtschaft und Kraftwerkstechnik. Der kommunale Wärmeplan für München sehe eine Steigerung der Fernwärme von aktuell 30 auf 70 Prozent vor – bezogen auf den gesamten Wärmebedarf. Diese Wärme solle aus tiefer Geothermie und geothermisch gespeisten Wärmepumpen gewonnen werden.
Vorbehalte und Wirtschaftlichkeit – wann lohnt sich Geothermie?
In der anschließenden Diskussionsrunde wurde die Frage nach allgemeinen Vorbehalten gegenüber Geothermie beantwortet.
Der Widerstand sei dort am größten, wo die Technologie unbekannt sei, stimmten die Experten überein. In München sei man sehr aufgeschlossen, die Bürgerinnen und Bürger erkennen die Vorteile. Die lokalen Widerstände seien in erster Linie auf den erwarteten Baustellenlärm zurückzuführen. Es könne prinzipiell zu leichten seismischen Ereignissen kommen – durch Messeinrichtungen könnte diese aber frühzeitig erkannt und somit vermieden werden.
Auch die Kosten der geothermischen Nutzung wurden nachgefragt. Es sei zunächst mit hohen Investitionskosten zu rechnen, erklärte Christian Pletl. Die folgenden, niedrigen Betriebskosten würden das aber rechtfertigen. Insgesamt sei die Geothermie kostenseitig mit anderen Wärmesystemen vergleichbar.
Für die Stromerzeugung hingegen spiele Geothermie aus wirtschaftlicher Sicht eine untergeordnete Rolle. Das liegt an dem Wirkungsgrad geothermischer Anlagen, der im Schnitt rund 10 Prozent beträgt und die Stromerzeug dadurch kostenintensiv gestaltet. Als Back-up-Lösung sei diese Nutzung aber eine Überlegung wert.