Von Moll zu Dur: Wie HR die KI-Transformation treibt und umsetzt
Berlin, 11. November 2024
Luca Moretti – hinter dem wohlklingenden Namen steckt keine gefeierte Solistin, sondern die personifizierte HR-Chefin und Treiberin der KI-Transformation. Zumindest in der Theorie. Auf dem acatech HR-Kreis-Gipfeltreffen bei SAP in Berlin feierte die 43-Jährige fiktive Personalvorständin und Arbeitsdirektorin ihren Einstand vor Fachpublikum: Sie stellte sich als Identifikationsfläche dem Realitätscheck der Teilnehmenden aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gewerkschaft. Gemeinsam diskutierten die Anwesenden Rahmenbedingungen, Praxiswerte und das Rollenverständnis der HR-Verantwortlichen für die KI-Transformation.
Die vom HR-Kreis in vorangegangenen Workshops entwickelte Persona Luca Moretti steht stellvertretend für die duale Rolle von Personalvorständinnen und -vorständen in der KI-Transformation: So unterstützen sie im Aufbau der erforderlichen Fähigkeiten für die Arbeitswelt von morgen. Gleichzeitig entwickeln sie die Personalarbeit substanziell weiter, um KI als strategisches Werkzeug nutzen zu können. Alle zu bewältigenden Aufgaben, Schmerzpunkte und Rahmenbedingungen in einer Persona zu verdichten und damit sichtbar, diskutierbar und lösbar zu machen – das ist das Ziel. Denn, so lautete ein frühes Fazit: Man habe bei KI ein großes Verständnis über das Potenzial der Möglichkeiten, aber noch zu wenig Erfahrung bei der Umsetzung.
acatech Präsident Thomas Weber begrüßte die Teilnehmenden des Gipfeltreffens mit einem Dank für das wichtige Engagement des HR-Kreises in der Gestaltung zukünftiger Arbeitswelten im Rahmen der Digitalen Transformation. Ihm folgte Gastgeber und acatech Präsidiumsmitglied Frank Riemensperger, der die Agenda des Tages zuspitzte: „Wir wollen die Möglichkeiten der KI verstehen und wissen, was auf die Unternehmen konkret zukommt. Was sind die Use Cases, wie befähigen wir die Menschen – und wie die Unternehmen?“
Vom Start bei den Rahmenbedingungen: 2035 kein Beruf mehr ohne KI?
Vor der Umsetzung steht für Personalvorstände wie Luca Moretti zunächst die Bestandsaufnahme der Rahmenbedingungen. Lilian Tschan (Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales) betonte, es sei in diesen Tagen sehr viel Moll zu vernehmen. Hinsichtlich KI gehe es aber darum, Chancen und Potenziale zu nutzen – also um mehr Dur.
Die Ausgangslage: Mehr als 20 Prozent der deutschen Unternehmen nutzen bereits Künstliche Intelligenz im Unternehmensalltag. Als Querschnittstechnologie könne sie nahezu überall eingesetzt werden. Deshalb werde auch bis 2035 kein Beruf mehr ohne Berührungspunkte mit KI existieren, so die Prognose. Beschäftigte sollen die Nutzung der KI mitgestalten, deshalb müsse man sie eng einbinden. Klare ethische Regeln für KI seien wichtig, eine Überregulierung gelte es aber zu vermeiden. KI habe dann das Zeug dazu, zum Produktivitätsmotor für die deutsche Wirtschaft zu werden, so ihr Fazit.
Zum Blick in die Umsetzung: Künstliche Intelligenz in Unternehmen einführen
Einen Schritt weiter führte Wolfgang Fassnacht von SAP. Er stellte konkrete Erfahrungswerte und Maßnahmen von KI in der HR-Praxis von SAP vor: Aus- und Weiterbildungsinhalte ändern sich schneller und werden deutlich spezialisierter. Auch hier kann KI unterstützen – sie macht Lernangebote spezifischer und passgenauer. So erreichten beispielsweise KI-gesteuerte Serviceanfragen schneller und direkter die passenden Fachleute und die KI-Auswertung der Vergütungsdaten schaffe Transparenz zu möglichen Gender-Pay-Gaps.
KI sei ein klarer Wettbewerbsvorteil – solange sie nicht überreguliert und damit die verantwortungsvolle Nutzung verhindert werde, so Wolfgang Fassnacht. Und an die Personalverantwortlichen gerichtet forderte er: Nicht nur die Mitarbeitenden, auch das Personalwesen selbst müsse sich der KI-Transformation stellen.
In die Rolle von HR: Funktion mit Künstlicher Intelligenz
neu aufstellen
Das anschließende Panel knüpfte an die Ausführungen aus Rahmenbedingungen und Praxis an.
Steffen Kampeter (Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände) bewertete KI als Enabler für Produktivität und Kreislaufwirtschaft. Es gehe bei der Adaption von KI darum, Vertrauen aufzubauen und Kooperation zu leben, denn Organisationen sind soziale Gebilde. Ebenso gelte es die Bildungsqualität zu sichern und sich den Fragen der Aus- und Weiterbildung zu stellen. Veränderung müsse positiv wahrgenommen werden. Denn mit dem Verzicht auf technologisch getriebene Veränderung laufe man sonst Gefahr, zum Museum zu werden.
Frank Werneke (Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft) betonte die Wichtigkeit, diese Veränderung auf Augenhöhe zu betreiben und den Beschäftigten die Technik nicht einfach überzustülpen. Wo Mitbestimmung gelebt werde, finde man Perspektiven, so Frank Werneke. Mitarbeitende zeigten eine große Offenheit und seien neuen Dingen oft aufgeschlossen, ergänzte Wolfgang Fassnacht mit seinen Erfahrungen aus der Praxis. KI gestalte beispielsweise den Einsatz von Software niederschwelliger – das mache es auch für KMU einfacher, weil dadurch keine eigenen Programmier-Fachleute benötigt werden.
Von Personal- zu Organisationsentwicklung:
Veränderungen treiben.
Simone Kauffeld (Professorin für Arbeits-, Organisations- und Sozialpsychologie, TU Braunschweig) lenkte den Blick auf die rasante Entwicklung in der Qualität von KI-Anwendungen in den letzten Jahren. Mehr als 18.000 KI-Tools seien aktuell verfügbar, was die Möglichkeiten von KI in Organisationen verdeutliche – und zugleich erweiterte Kompetenzen verlange: Dies seien Fachkompetenzen (Programmierung und Entwicklung), Interaktions-Kompetenzen (Teams aus Mensch und KI) und Komplementäre Kompetenzen (Kritisches Denken, Kreativität, Innovationsgeist). Ihre Ausführungen zeigten, wie ganzheitlich die KI-Transformation gedacht werden muss.
Die Einführung von KI in Unternehmen zu gestalten, birgt für Personalverantwortliche wie Luca Moretti also nicht nur Herausforderungen. Sie könne dazu genutzt werden, aus der Personalentwicklung eine Organisationsentwicklung zu machen. Dazu müssten gemeinsam die Einsatzfelder von KI, deren Herausforderungen und Beteiligungsprozesse erarbeitet werden und die ethische Ebene mit Faktoren wie Transparenz, Fairness, Datenschutz, gesellschaftlichem Wohlergehen oder auch menschlicher Autonomie einbezogen werden.
Die anschließende Paneldiskussion setzte den Fokus auf HR als Treiber für die Transformation und KI-Adaption im Unternehmen fort. Simone Kauffeld, Stefan Latuski (CIO der Bundesagentur für Arbeit), Julia Bangerth (Stellvertretende Vorstandsvorsitzende, COO & CHRO bei DATEV) und Beatrix Henseler (Global Head of Human Resources, Sartorius AG) diskutierten gemeinsam mit Yasmin Weiß (Professorin für Betriebswirtschaftslehre, TH Nürnberg) über das Bewusstsein für die Dringlichkeit von KI-Adaption für unternehmerische Faktoren wie Produktivität. Im Zuge der Transformation gebe das Top-Management zwar den Takt vor. Es gelte aber, Mitarbeitende zu befähigen und einzubinden. Die Veränderung werde zunehmend zum Normalzustand. Man müsse den Menschen durch gezielte Angebote die Angst nehmen, sie zur Mitgestaltung anregen und Akzeptanz erzeugen.
Der Ausblick: Personalarbeit mit KI neu denken
Was brauchen also Luca Moretti und ihre CHRO-Kolleginnen und -Kollegen, um zu Veränderungstreibern in der Transformation zu werden? Wie schafft sie es, die Adaption von KI im Unternehmen voranzubringen und dabei gleichzeitig die HR-Funktion weiterzuentwickeln und mit KI neu aufzustellen?
Unter dem Eindruck der Diskussionen und Dialoge des Tages glichen die Teilnehmenden die gesammelten Erkenntnisse abschließend gemeinsam mit der im Rahmen des HR-Kreises erarbeiteten Persona Luca Moretti ab. Deutlich wurde: CHROs übernehmen zunehmend eine treibende Rolle dabei, die Transformation durch KI zu gestalten, weil erfolgreich eingesetzte KI menschenzentriert aufgebaut sein muss. Dabei kommen CHROs gänzlich neue Aufgaben zu. Die Neuausrichtung der HR-Organisation und der Aufbau von KI-Kompetenzen werden zur Top-Priorität.
Allerdings gilt es, personelle, finanzielle und regulative Hürden zu nehmen. Eine Voraussetzung dafür: Eine enge Zusammenarbeit von CHROs und C-Level-Führungskräften, um einheitliche, transparente Rahmenbedingung für die KI-Transformation im Unternehmen zu schaffen, die Mitarbeitende auch nachvollziehen können. Darüber hinaus müssen auch klare Regeln für den Einsatz von KI geschaffen werden. Der HR-Kreis wird den Austausch zu diesem bestimmenden Thema der Arbeitswelt in den nächsten Monaten fortführen und die erarbeiteten Zwischenstände zur Diskussion stellen.
Weiterführende Informationen:
#FutureWorkDebatte des HR-Kreises zu KI-Readiness von Organisationen