„Ich möchte junge Frauen ermuntern, an sich zu glauben und ihren Weg zu gehen.“

München, 9. Juni 2022
Ulrike Fitzer ist die erste Kampfpilotin der Bundeswehr. Sie studierte Computational Engineering und promoviert jetzt zur Wechselwirkung von Neuronen und Elektroden. Mit dieser Vita kann sie ein Role Model für technikinteressierte Mädchen und junge Frauen sein. Dafür erhielt sie am 2. Juni 2022 den Schnieder-Preis JUNGE MACHERIN auf der HANNOVER MESSE.
Die Preisverleihung auf der HANNOVER MESSE
Datum: 2. Juni 2022
Länge: 26 Minuten 44 Sekunden
Interview mit der Preisträgerin
Sie arbeiteten erst bei der Bundeswehr und entschieden sich dann für ein Technikstudium. Wie kamen Sie auf diesen besonderen Berufsweg?
Ich habe mich schon immer sehr für Technik interessiert und habe deshalb auch ein technisches Gymnasium besucht. Gleichzeitig konnte ich mir nicht vorstellen, jeden Tag in einem Büro am Schreibtisch zu sitzen. Ich wollte einen abwechslungsreichen und herausfordernden Beruf.
Es gibt viele abwechslungsreiche Berufe. Warum haben Sie sich dann für die Bundeswehr entschieden?
Die Idee, Jetpilot bei der Bundeswehr zu werden, kam von meinem Vater. Ich glaube, er hat das 1999 nicht ernst gemeint. Denn damals war es Frauen verboten, einen Dienst als Soldat anzutreten – außer im Sanitäts- und Militärmusikdienst. Zum Glück hat sich das 2001 geändert. Ich habe ein Truppenpraktikum bei den Marinefliegern gemacht, die damals noch ein Tornado-Geschwader hatten, also eine Einheit mit Kampfflugzeugen. Danach war klar: Ich will lernen, einen Tornado zu fliegen.
Welche Erfahrungen haben Sie bei der Bundeswehr gemacht?
Ich hatte bei der Bundeswehr eine fantastische Zeit und würde mich immer wieder dafür entscheiden, Pilot bei der Bundeswehr zu werden. Die hervorragende Ausbildung zum Tornado- und Eurofighterpiloten ist einzigartig. Auch nach der eigentlichen Ausbildung habe ich mich ständig weiterentwickelt, zum Beispiel um als Fluglehrer junge Piloten auszubilden. All dies findet in einem hochprofessionellen Umfeld statt: Jede Mission wird genau geplant. Besonders wichtig ist die Nachbesprechung, in der die gesamte Ausführung detailliert aufgearbeitet wird. Auch der kleinste Fehler wird angesprochen, und Verbesserungsmöglichkeiten werden diskutiert. Das ist manchmal schwierig, aber nur so kann man sich optimal weiterentwickeln.
Das war sicherlich eine prägende Zeit. Wie kam es dann dazu, dass Sie sich für ein Masterstudium eingeschrieben haben?
Ich lerne sehr gern Neues und habe schon während meiner Zeit bei der Bundeswehr ein Fernstudium in Mechatronik absolviert. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht. Daher war klar, dass ich nach dem Bachelor mit einem Master weitermache. Um dafür das richtige Fach zu finden, habe ich mir im Internet zunächst Lehrpläne und Modulhandbücher von unterschiedlichen Unis und Studiengängen angesehen.
Dabei habe ich den Studiengang Computational Science and Engineering an der Uni Rostock entdeckt. Ich nahm an einer Vorlesung teil und sprach mit Ursula van Rienen, die damals für den Studiengang verantwortlich war. Ich hatte mir vorher überlegt, wie ich meinen Vollzeitjob mit dem Studium kombinieren kann und habe sie gefragt, ob sie das für möglich hält, und ob sie meinen Plan so unterstützt. Das tat sie; also habe ich einen Master in Computational Science and Engineering absolviert.
Mich motiviert, dass die Ergebnisse meiner Promotion vielleicht Menschen helfen können. Und die Arbeit macht mir großen Spaß.
Nun haben Sie Ihr Masterstudium abgeschlossen und promovieren an der Jade Hochschule Wilhelmshaven. Woran arbeiten Sie?
Ich beschäftige mich mit der Interaktion zwischen einer ins menschliche Gehirn implantierten Elektrode und den umliegenden Gehirnzellen. Besser gesagt, ich forsche an der Modellierung dieser Interaktion. Die Elektroden werden bei der sogenannten tiefen Hirnstimulation eingesetzt, die eine Behandlung von Parkinson unterstützen kann. Die Stimulation kann Bewegungsbeschwerden lindern, wie etwa unkontrollierte Bewegungen oder Steifheit.
Das hört sich vor allem nach einem medizinischen Forschungsfeld an. Wie kann Ihr Fachbereich Computational Engineering da weiterhelfen?
Viele Wissenschaftler arbeiten mit ganz unterschiedlichen Ansätzen daran, die Schnittstelle zwischen Neuronen und Elektroden zu verbessern. Manche suchen beispielsweise nach neuen Materialien für die Elektroden. Andere erforschen die Reaktion der Neuronen auf die Stimulation. Und wieder andere erstellen Computermodelle, um die Vorgänge an der Schnittstelle besser zu verstehen.
Die Computermodelle sind große und komplexe Systeme aus Differentialgleichungen, deren Berechnung sehr lange dauert. Ich fokussiere mich darauf, diese Rechenzeit mit einem Verfahren namens Modellordnungsreduktion zu verkürzen.
Das klingt nach viel Arbeit. Neben Ihrer Promotion arbeiten Sie aber noch bei Airbus. Wie meistern Sie beides: Beruf und Doktorarbeit?
Mich motiviert, dass die Ergebnisse meiner Promotion vielleicht Menschen helfen können. Und die Arbeit macht mir großen Spaß. Das ist wichtig, denn mit der Doktorarbeit beschäftige ich mich in jeder freien Minute. Ich finde es einfach spannend, in einen Bereich einzutauchen, über den ich bisher nur sehr wenig wusste. Und der komplett anders ist als die Luftfahrt. Gerade die Abwechslung zwischen Arbeit und Promotion finde ich toll. Sie verhindert, dass ich zu lange verbissen nach einer Lösung suche. Mit ein wenig Abstand habe ich dann oft die besten Ideen.
Ich habe sowohl bei der Bundeswehr als auch im Studium die Erfahrung gemacht, dass einem sehr gerne geholfen wird, wenn man nach Unterstützung fragt.
Bundeswehr und Computerwissenschaften – in beiden Berufsfeldern sind Frauen in der Minderheit. Was raten Sie jungen Frauen, die eine Technikkarriere verfolgen möchten?
Ich möchte junge Frauen ermuntern, an sich zu glauben und den Mut aufzubringen, ihren Weg zu gehen. Es gibt sehr viele spannende Studiengänge und Ausbildungen im technischen Bereich. Dieses vielfältige Angebot macht die Entscheidung allerdings nicht einfach. Deshalb rate ich, sich früh zu informieren, vielleicht probeweise an Vorlesungen teilzunehmen oder ein Praktikum zu absolvieren.
Außerdem ist es in vielen Karrierephasen wichtig, klar zu kommunizieren, was man machen möchte. Viele Dinge kann man allein nicht schaffen. In solchen Situationen habe ich immer, sowohl bei der Bundeswehr als auch im Studium, die Erfahrung gemacht, dass einem sehr gerne geholfen wird, wenn man nach Unterstützung fragt.
Unterstützung ist ein gutes Stichwort. Häufig wird über die richtige Förderung diskutiert, um Mädchen für MINT-Karrieren zu begeistern. Wie wurden Sie bei der Bundeswehr und im Studium gefördert?
Ich habe das Glück, dass ich immer von meinem Umfeld unterstützt wurde. Meine Eltern haben an meine Schwester und an mich geglaubt und uns in all unseren Vorhaben bestmöglich unterstützt.
Bei der Bundeswehr hatte ich tolle Vorgesetzte, die immer ein offenes Ohr hatten und die ich jederzeit um Rat fragen konnte. Auch der Zusammenhalt untereinander war eine große Stütze für mich: Wenn mal ein Flug nicht so gut lief, war immer jemand da, der mich wieder aufgemuntert und mir Mut gemacht hat.
Auch das Studium hätte ich ohne die Hilfe der Dozenten und Kommilitonen nicht geschafft. Beruflich bedingt konnte ich oft an Vorlesungen oder Übungen nicht teilnehmen. Aber alle Professoren haben mir Skripte zur Verfügung gestellt, mit denen ich den verpassten Stoff nacharbeiten konnte. Kommilitonen haben mir ihre Notizen gegeben; und manche Dozenten ließen mich sogar über Skype an Vorlesungen teilnehmen. Das ist inzwischen zwar nicht mehr so besonders, aber vor der Pandemie war das völlig unüblich. Für all diese Unterstützung bin ich sehr dankbar. Ohne dieses tolle Umfeld wäre mein Weg nicht möglich gewesen.
Auf Wunsch der Interviewten verwendet acatech im Interview das generische Maskulinum.
Interview: Annika Eßmann
Über den Schnieder-Preis JUNGE MACHERIN
Das Ehepaar Antonio und Katharina Schnieder stiftet jährlich den Preis. Katharina Schnieder sagte während der Preisverleihung auf der HANNOVER MESSE, dass der Preis exzellente Technikwissenschaftlerinnen fördern und motivieren soll, ihre akademische Laufbahn fortzusetzen.
Aber was macht eine exzellente Technikwissenschaftlerin aus? Die Jury hat dafür drei Eckpunkte definiert, die Hans-Peter Berlien auf der Preisverleihung erklärte. Er ist acatech Mitglied, Teil der Jury und ehemaliger Chefarzt der Abteilung Lasermedizin der Elisabeth-Klinik in Berlin.
- Die Kandidatin ist eine Masterabsolventin aus dem MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik), die eine herausragende Abschlussarbeit abgegeben hat.
- Die Absolventin arbeitet weiterhin wissenschaftlich, entweder als Promovierende oder als Mitarbeiterin in einem Forschungsinstitut
- Die Absolventin zeigt gesellschaftliches Engagement.
Aus Sicht der Jury erfüllt die Preisträgerin Ulrike Fitzer die drei Kriterien in hohem Maße. Besonders beeindruckend sei ihre Zielstrebigkeit, sagte Tamara Bechtold in ihrer Laudatio: Sie habe trotz ihrer Tätigkeit bei der Bundeswehr ihr Masterstudium mit Bestnote abgeschlossen. Das gilt auch für ihre anspruchsvolle Masterarbeit über Energiewandler, die Tamara Bechtold als Leiterin der Gruppe Mikrosystem Simulation an der Universität Rostock betreut hat.
Neben Ulrike Fitzer wurden zwei weitere Masterabsolventinnen als Nominierte ausgezeichnet: Charlotte Büchter, Promovierende an der RWTH Aachen, und Lara Pauline De Broeck, Doktorandin an der TU Darmstadt. Aufgrund eines starken Bewerberfeldes hatte sich die Jury entschlossen, die zwei Absolventinnen öffentlich zu nominieren. Auch sie sieht die Jury als exzellente Nachwuchsforscherinnen und junge Macherinnen im Sinne des Preises.