Kultur ist Freiheit
21. August 2024
Hoffmann von Fallersleben hat vor fast 250 Jahren einen Text veröffentlicht, in dem das Thema sehr passend angesprochen wird:
Die Gedanken sind frei,
Wer kann sie erraten?
Sie fliegen vorbei
wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen,
kein Jäger sie schießen,
mit Pulver und Blei.
Die Gedanken sind frei.
Übrigens ist die dahinterliegende Idee noch älter. So schrieb Walther von der Vogelweide schon im 13. Jahrhundert:
joch sint iedoch gedanke fri.
Was hat es nun mit der Kultur auf sich? Was ist Kultur?
Sicherlich nicht umfassend mit dem Inhalt eines Kulturbeutels zu beschreiben!
Kultur ist ein Begriff, der gerne ge- und missbraucht wird, häufig mit einem intellektuellen, manchmal sogar elitären und abgrenzenden Anspruch. Tatsächlich ist Kultur ganz viel: Kunst, Wissenschaft, Musik, Sprache, Literatur, Bräuche, Architektur und verweigert sich dem von verschiedenen Akteuren nur für ihren eigenen Bereich gerne eingrenzenden Kulturbegriff.
Klar ist: Kultur macht den Menschen erst zum Menschen.
Es ist offensichtlich, dass die Bedeutung der Kultur in Menschenrechten und auch im deutschen Grundgesetz hervorgehoben wird. Wenn man die Formulierungen in unserem Grundgesetz oder in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte liest, kann man durchaus verwundert sein, da die Sätze so selbstverständlich klingen:
Im Grundgesetz steht im Artikel 5
...Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei…
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte fordert im Artikel 27:
…Jeder Mensch hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben.
Wenn Kultur eine derartige Wertschätzung und Hervorhebung auch von und in Gesetzen erfährt, dann ist da offensichtlich eine Gefahr, dass Kultur von Systemen, von Gesellschaften, von der politischen Macht nicht genügend Freiheit erfährt. Wir haben erlebt und erfahren, dass in der Geschichte, aber auch in der Gegenwart immer wieder versucht wird, verschiedene kulturelle Aspekte, wie z.B. „kritische“ Literatur oder auch moderne Kunst zu unterdrücken, durch Ächtung bis hin zur Verfolgung. Beispiele dafür gibt es genug, auch noch im Jahr 2024.
Kultur ist insbesondere in totalitären Systemen immer in Gefahr, ich bleibe aber zugleich bei meiner Anfangsaussage ganz im Sinne von Fallerslebens: Kultur ist frei und sogar noch mehr: Kultur befördert und ermöglicht Freiheit. Denn durch Kultur können und werden immer wieder Grenzen und Krisen überwunden. Nur wenige Beispiele will ich hier nennen:
Musik
Da ist z.B. Beethovens Ode an die Freude, die heute als offizielle Hymne Europas Verwendung findet und mit dem Motto „Seid umschlungen Millionen“ die Europäische Einheit beschwört. Vor 200 Jahren brachte Ludwig van Beethoven seine Neunte Sinfonie zur Uraufführung: Ein tiefes Plädoyer für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit…, eine Ode an die Menschlichkeit. Inspiriert von den Idealen der Aufklärung war Beethovens Neunte übrigens die erste Symphonie der Geschichte, die einen Text (von Schiller) enthielt – Worte, die von Liebe und Freiheit, Hoffnung und Frieden handeln.
Wissenschaft
Ein Beispiel aus meinem beruflichen Umfeld der letzten Jahre ist die Internationale Raumstation. Hier sind es Wissenschaft und Technik, die Menschen aus ganz unterschiedlichen Ländern auch in den heutigen Zeiten schwierigster politischer Krisen zusammenbringen: Astronauten und Kosmonauten aus USA, Russland, Europa, Kanada und Japan leben und arbeiten in der Internationalen Raumstation eng zusammen, auch während des Krieges in der Ukraine.
Zu Zeiten der deutschen Teilung waren es Kultur, Wissenschaft, Kunst und Musik, die es ermöglichten, den Eisernen Vorhang zu überwinden.
Als ich 1982 für ein Jahr zu Forschungszwecken in Japan war, wurde ich privat zu einem Konzert eingeladen. Das Konzert wurde von einem Orchester aus der DDR gegeben. Nach dem Konzert wurde ich eingeladen, in den Orchesterbus einzusteigen und mich mit den Musikern auszutauschen. Die deutsch-deutsche Grenze war aus japanischer Sicht nicht nur geographisch weit weg, sie war nicht mehr existent.
Als die Mauer fiel und es möglich war, von Ost nach West und zurück zu reisen, war ich gerade in Barcelona. Es war der 9. November 1989, ein Donnerstag. Am Samstag, dem 11. November war ich wieder zu Hause in Darmstadt, als es an der Tür klingelte: Ein junger Mann stand vor mir und erzählte mir, dass er meine Forschung aus Jena heraus verfolgt habe und nun mit mir in persönlichen Austausch gehen wolle. Dieser Kontakt besteht noch heute.
Meine Schlussfolgerung ist deshalb: Ja, Kultur braucht Freiheit. Aber eben auch: Kultur ist Freiheit.