MINT-Bildung – Woher kommen die Fachkräfte von morgen?
München, 27. September 2022
Der Fachkräftemangel auf dem Arbeitsmarkt und die Herausforderungen bei der Gestaltung digitaler Transformation zeigen, wie wichtig eine grundlegende MINT-Bildung ist. Die aktuelle Ausgabe des MINT Nachwuchsbarometers von acatech und Joachim Herz Stiftung war der Anlass, am 20. September bei acatech am Dienstag die folgenden Fragen zu diskutieren: Wie können wir das MINT-Fachkräftepotential voll ausschöpfen? Welche Maßnahmen helfen, um die Anzahl der Studienabbrüche in den Ingenieurwissenschaften zu verringern? Und wie lässt sich der Frauenanteil in MINT-Ausbildungen erhöhen? Rebecca Ebner, acatech Geschäftsstelle, moderierte und führte durch den Abend.
Vorab drei Fragen zum Thema MINT-Bildung an die Referierenden
Was macht MINT attraktiv für junge Leute?
„Ohne MINT wird es keine guten Lösungen für globale Herausforderungen wie Klimawandel, digitale Transformation oder Energiewende geben. MINT-Fachkräfte werden einen wichtigen Anteil bei der Bewältigung dieser Herausforderungen leisten.“
Olaf Köller, IPN – Leibniz Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik Kiel
„Wissen in MINT-Fächern ist die Basis, um sich mit den gesellschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart auseinanderzusetzen und bietet jungen Leuten die Chance, Lösungsvorschläge und Innovationen zu entwickeln.“
Sabine Kunst, Joachim Herz Stiftung
„Gerade MINT-Berufe bieten jungen Menschen die Möglichkeit aktiv an der Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen wie dem Klimawandel oder der Decarbonisierung mit zu arbeiten. Sie können sich praxisnah einbringen und so Zukunft mit gestalten.“
Nico Schönefeldt, DIHK – Deutscher Industrie- und Handelskammertag e.V.
Warum lohnt es sich für junge Menschen, eine MINT-Karriere einzuschlagen?
„Da sind zum einen die Gestaltungsmöglichkeiten mit Blick auf aktuelle Herausforderungen. Und darüber hinaus warten auf dem MINT-Karriereweg gute Jobchancen und Gehaltsaussichten.“
Olaf Köller, IPN – Leibniz Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik Kiel
„Die Gestaltungsmöglichkeiten einer Tätigkeit im MINT-Bereich sind enorm. Unsere Gesellschaft ist auf die Entwicklungen beispielsweise aus den Naturwissenschaften angewiesen. Dementsprechend weitreichend sind auch die Karriereperspektiven.“
Sabine Kunst, Joachim Herz Stiftung
„Der Fachkräfte Bedarf in den MINT-Berufen ist vergleichsweise groß. Junge Menschen mit einer dualen Ausbildung im MINT-Bereich haben nicht nur gute Beschäftigungsperspektiven und Karrierechancen sondern auch Verdienst- und Gestaltungsmöglichkeiten.“
Nico Schönefeldt, DIHK – Deutscher Industrie- und Handelskammertag e.V.
Wie begeistern Sie andere im Alltag für MINT?
„Seit Beginn der Coronakrise sind wir täglich konfrontiert mit medizinischen Befunden und mathematischen Modellen zum Verlauf der Krise. Durch diesen Alltag kommt man leichter, wenn man sich mit MINT-Themen auskennt. Das versuche ich, den Menschen zu vermitteln.“
Olaf Köller, IPN – Leibniz Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik Kiel
„Als Stiftung setzen wir darauf, durch unsere Lernportale für Physik und Chemie oder auch durch unser Engagement in außerschulischen Lernorten wie den Schülerforschungszentren MINT-Themen verständlicher, greifbarer und erlebbarer zu machen.“
Sabine Kunst, Joachim Herz Stiftung
„Mit unserer Arbeit im DIHK setzen wir uns insbesondere auf politischer Ebene für das Thema MINT ein. So werben wir beispielsweise mit konkreten Angeboten und Projekten entlang der Bildungskette für einen beruflichen Weg im MINT Bereich.“
Nico Schönefeldt, DIHK – Deutscher Industrie- und Handelskammertag e.V.
Globale Herausforderungen und Veränderungen wie Klimawandel sowie der Umstieg auf erneuerbare Energiesysteme betreffen uns und die nachfolgenden Generationen. Mit dieser Botschaft begrüßte acatech Präsident Jan Wörner die Teilnehmenden. Um diese Herausforderungen zu bewältigen und die Zukunftsfähigkeit des Innovationsstandorts Deutschland zu sichern, benötigten wir einen gut ausgebildeten Nachwuchs in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik). Jedoch seien Fachkräfte insbesondere im MINT-Bereich gesucht wie nie. Jan Wörner sprach sich für die Umsetzung einer „MINT-Kultur“ in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik aus und plädierte für eine inspirierende Bildung und ein visionsorientiertes Bildungssystem für alle Generationen.
In seinem Impulsvortrag gab acatech Mitglied Olaf Köller, Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor des IPN – Leibniz Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik Kiel, einen Einblick in die aktuellen Ergebnisse des MINT Nachwuchsbarometers 2022. Der Bericht sammelt und kommentiert die wichtigsten Zahlen, Daten und Fakten zur Nachwuchssituation im MINT-Bereich von der schulischen Bildung über die berufliche Ausbildung bis hin zum Studium. Das MINT Nachwuchsbarometer wird von acatech und der Joachim Herz Stiftung gemeinsam herausgegeben und vom IPN erstellt und soll Akteurinnen und Akteure in Bildung, Politik und Wirtschaft als fundierte Entscheidungshilfe dienen, um Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und Einflussfaktoren bei Studiums- und Berufswahl zu identifizieren.
Ein aktuelles Ergebnis des MINT Nachwuchsbarometers zeigt, dass die Belegung von Profilfächern und Leistungskursen in den MINT-Fächern in der gymnasialen Oberstufe rückläufig ist. Olaf Köller erläuterte, dass dies auf die derzeit geburtenschwachen Jahrgänge zurückgehe, die aktuell die Schule beenden und auf den Arbeitsmarkt strömen würden. Es würde noch bis 2034 dauern, bis sich dies ändern würde und geburtenstärkere Jahrgänge wieder mehr Nachwuchs in den MINT-Fächern in Schule, Ausbildung und Studium generieren würden. Umso wichtiger sei es, die hohe Abbruch- und Wechselquote in den MINT-Studienfächern – besonders in den Bachelorstudiengängen – deutlich zu senken. Er rief die Hochschulen dazu auf, mehr dafür zu tun, die Studierenden in den Studiengängen zu halten, beispielsweise indem sie ihre Didaktikkonzepte prüfen und weiterentwickeln.
Sabine Kunst, Vorstandsvorsitzende der Joachim Herz Stiftung und acatech Mitglied, bestätigte, dass es aktuell zu wenige Studienbewerberinnen und -bewerber gibt, um alle Studienplätze zu vergeben. Sie ergänzte, dass in den Studiengängen viele Studierende säßen, die nicht das Potenzial mitbringen, das Studium erfolgreich abschließen zu können, da ihnen die Basis dafür fehle. Die jungen Leute würden aus der Schule einfach nicht genug Wissen mitbringen. Es gebe Versuche, den Studierenden dieses Wissen über unterschiedliche Maßnahmen nachträglich zu vermitteln, um alle Studierenden mitzunehmen. Über Kollegformate und die Einbeziehung von mehr praktischen Anteilen im Ingenieurstudium werde versucht, das Studium attraktiver zu gestalten und den Studierenden klarer zu vermitteln, was sie erwartet.
Sabine Kunst wies darauf hin, dass zum Beispiel Self-Assessments von Hochschulen eine gute Möglichkeit böten, damit sich Interessierte besser über Studieninhalte informieren und ihr eigenes Kompetenzprofil mit den für die jeweiligen Fächer erforderlichen Kompetenzen abgleichen könnten. Sie berichtete weiter, dass der Anteil an Studierenden, die aus Verlegenheit ein Studium ergreifen und dieses dann wieder beenden, sobald sie merken, dass es nicht das Richtige für sie ist, relativ hoch sei. Auch sie gehen in die Wechsel- und Abbruchquote von MINT-Studiengängen ein und führen zu der hohen Zahl bei den Studienanfängern. Die „bereinigte“ Quote zeige, dass die Wechsel- und Abbruchquote nach den ersten Semestern sehr viel günstiger sei als der statistische Wert, sagte Sabine Kunst.
Nico Schönefeldt, Leiter des Bereichs Ausbildung, DIHK – Deutscher Industrie- und Handelskammertag e.V., berichtete aus Sicht der beruflichen Bildung. Die derzeitigen Herausforderungen für die betriebliche Ausbildung lägen im demografischen Wandel und den Folgen der Coronakrise. Die zentrale Herausforderung der nächsten Jahre sei es, die wenigen jungen Leute, die eine Ausbildung aufnehmen können, zu motivieren. Es gäbe rückläufige Vertragszahlen und viele der von der DIHK befragten Unternehmen hätten keine einzige Bewerbung für ihre Ausbildungsplätze bekommen. Es gäbe viele junge Menschen mit Schulabschluss, die nicht wissen, welchen Weg sie einschlagen sollen, sagte Nico Schönefeldt. Die DIHK versuche deshalb, bei den jungen Leuten und ihren Eltern durch verschiedene Aktionen, wie Elterncafés und -abende sowie Kampagnen Interesse für eine duale Ausbildung zu wecken. Die MINT-Berufe seien dabei insofern besonders attraktiv, da der Wunsch etwas bewegen zu wollen, bei Jugendlichen stark ausgeprägt sei. Dies sei in den MINT-Berufen, wenn man an Technologiewandel, Transformation und Wirtschaft denkt, eher möglich als beispielweise in der Gastronomie.