Plattformen in der Demokratie – Pluralisierung von Öffentlichkeit oder Übermacht der Konzerne?
München, 3. Dezember 2021
Welche Rolle spielen Plattformen und Social Media für die Demokratie? Welche Chancen und Risiken bieten sie? Welche Auswirkungen und Perspektiven lassen sich absehen, welche Rolle wird hier Regulierung spielen? Beim „Digitalen Salon“ von acatech und der Katholischen Akademie in Bayern diskutierten am 30. November zu diesem Thema Ursula Münch (Akademie für Politische Bildung in Tutzing), acatech Mitglied Christoph Neuberger (Freie Universität Berlin, Leiter des Weizenbaum-Instituts für die vernetzte Gesellschaft) sowie Eveline Metzen (Director Government Affairs and Public Policy für Deutschland, Österreich und die Schweiz bei Google).
Ursula Münch eröffnete die Veranstaltung mit einem Impulsvortrag zu den Auswirkungen der digitalen Transformation und der Transformation von Geschäftsmodellen im Rahmen einer Plattformökonomie: Neben den Annehmlichkeiten, die diese Entwicklungen im Alltag böten, führten sie mitunter zu einer höheren Manipulationsanfälligkeit des öffentlichen Diskurses, zu einer Art Überwachungskapitalismus (durch das ungezügelte Sammeln von Nutzerdaten) und zu Monopolbildungen im marktwirtschaftlichen System. Eine Regulierung der entstandenen Plattform-Ökosysteme sei daher aus ihrer Sicht eine dringende Aufgabe. Nach ihrer Einschätzung leiste die Europäische Kommission mit dem Digital Markets Act derzeit ungewöhnlich schnelle und gute Arbeit. Noch offen sei jedoch die Entwicklung eigener europäischer Ansätze als Alternativen zu den großen bestehenden Plattformen. Hier ließen sich gezielt „demokratie-freundliche“ Funktionalitäten einbauen.
Die Auswirkungen von Social Media auf die demokratische Öffentlichkeit beschäftigen auch den Kommunikationswissenschaftler Christoph Neuberger. Die Informationslandschaft sei ein wichtiger Bestandteil jeder Demokratie. Ein hoher Anteil der Bevölkerung beziehe Informationen inzwischen teilweise oder ausschließlich aus den sozialen Medien – kein Wunder also, dass diese einen Einfluss auf die Qualität des öffentlichen Diskurses hätten. Aktuell seien dabei vor allem die Schattenseiten im Gespräch. Ein Schlüsselproblem, so Christoph Neuberger, sei das Selbstverständnis der Plattformen als neutrale Akteure, die ja – anders als traditionelle Medien oder öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten – ohne gesellschaftlichen Auftrag agieren: Journalistische Standards und Praktiken, die Moderation von Diskursen sowie die Vermittlung von Diskurskompetenz müssten bei den Plattformbetreibern verbindlich verankert werden, um die Qualität der digitalen Öffentlichkeit im Sinne des Sozialphilosophen Jürgen Habermas zu verbessern. Um diese Qualität zu verbessern, reiche Regulierung allein nicht aus. Auch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten seien hier in der Pflicht: Sie hätten sich mit der Schaffung digitaler Formate bisher zu wenig hervorgetan. Auch die Entwicklung einer eigenen Plattform sei denkbar als Alternative zu den US-dominierten Angeboten. acatech hatte in diesem Zusammenhang bereits im Jahr 2020 mit der „European Public Sphere“ ein erstes Konzept vorgelegt.
Eveline Metzen versicherte, dass man sich der Verantwortung bei Google für eine nachhaltige Technikentwicklung bewusst sei. Sie plädierte dafür, Probleme im digitalen Raum auch als soziale Probleme zu begreifen. Plattformen leisteten einen Beitrag zur Pluralität. Es sei klar, dass der digitale Raum nicht nur eine Erweiterung der analogen Welt sei, sondern andere Formate und Möglichkeiten eröffne – zum Guten wie zum Schlechten. Wie mit den Schattenseiten umzugehen sei, sei eine gesamtgesellschaftliche Fragestellung, und Plattformbetreiber könnten nicht Aufgaben des Staates übernehmen. Diese bewegten sich bei der Moderation von Inhalten immer in einem Spannungsfeld aus Verantwortlichkeit und fehlender Legitimierung. Google orientiere sich dabei am Kernprinzip der freien Meinungsäußerung als Ausdruck menschlicher Individualität; seiner Verantwortlichkeit begegne das Unternehmen durch verbindliche und transparente Richtlinien, die die Klassifizierung und Entfernung schädlicher Inhalte regeln: Das Löschen von Inhalten, die Sichtbarmachung von verlässlicher Information und die Reduzierung grenzwertiger Inhalte gehörten dazu. Darüber hinaus begrüße das Unternehmen den Vorstoß der EU zur Regulierung des digitalen Marktes. Es sei im Sinne aller wirtschaftlichen Akteure, klare Rahmenbedingungen zu haben, innerhalb derer man rechtssicher agieren könne.
In der Diskussion, die von Marc-Denis Weitze aus der acatech Geschäftsstelle moderiert wurde, kam die Frage nach den Gatekeepern und deren Ambivalenz auf: Diese besaßen in den Massenmedien eine Monopolstellung und entschieden, was öffentlich wird. Damit trugen sie dazu bei, die Informationsflut einzudämmen. In den sozialen Medien und auf Plattformen scheint die Funktion der Gatekeeper aufgehoben zu sein. Christoph Neuberger plädierte dafür, dass der Journalismus im Internet die geeigneten Rahmenbedingungen für deliberative Diskurse schaffen solle.
Ein weiterer Diskussionspunkt betraf die Frage, wieviel Zukunftsgestaltung auf Basis der bereits etablierten Plattformen überhaupt möglich sei – etwa im Sinne einer europäischen Souveränität in diesem Feld. Auch die Problematik von zugrundeliegenden Geschäftsmodellen auf Basis von Überwachungspraktiken und Aufmerksamkeitsökonomie wurden benannt, ebenso wie die Vernachlässigung von Entwicklungsländern bei der Umsetzung von Richtlinien und Qualitätsstandards. Plattformen, so Eveline Metzen, hätten jenseits einer moralischen Verpflichtung selbstverständlich auch ein wirtschaftliches Interesse an der Einhegung schädlicher Inhalte und negativer gesellschaftlicher Effekte ihrer Produkte. Christoph Neuberger forderte noch mehr, nämlich eine positive Vision für Plattformen, die statt Schadensbegrenzung einen konkreten Leistungsanspruch im Dienst der Demokratie begründeten. In der Schlussrunde stimmten die Podiumsgäste überein, dass in der Corona-Krise die Herausforderungen durch die Plattformen besonders deutlich wurden – eine systematische Analyse dazu stehe freilich noch aus.