RWI-Wirtschaftsgespräch 2016 mit Henning Kagermann: Chancen des Mittelstands im digitalen Wandel
Essen, 16. November 2016
Wie können Mittelständler die Chancen der Digitalisierung nutzen? Wie kann die Wirtschaftspolitik sie unterstützen? Im 20. RWI-Wirtschaftsgespräch diskutierte acatech Präsident Henning Kagermann diese Fragen mit NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin, RWI-Präsident und acatech Präsidiumsmitglied Christoph M. Schmidt, Sascha Schubert vom Bundesverband Deutsche Startups und Anja Sommerfeld von der azeti Networks AG.
Umfragen von acatech zufolge hat erst jedes vierte Unternehmen seine Produktionsprozesse vernetzt und digitalisiert. Während 78,1 Prozent der großen Betriebe in Richtung Industrie 4.0 umschwenken wollen, haben nur 57,4 Prozent der KMU diese Absicht geäußert. (POSITION „Kompetenzentwicklung für Industrie 4.0“). Deutschland gehört zu den innovativsten Volkswirtschaften, hat mit die meisten Hidden Champions weltweit, droht jedoch den Mittelstand zurückzulassen, wie die Studie Kompetenzen für Industrie 4.0 und der Innovationsindikator 2015 zeigen. Der Mittelstand im digitalen Wandel war deshalb das Thema des 20. RWI Wirtschaftsgesprächs in Essen. Im Mittelpunkt der Diskussion stand der Aspekt, wie kleine und mittlere Unternehmen (KMU) die Chancen der digitalen Transformation nutzen können.
In der digital vernetzen Wirtschaft werden Daten zu einer eigenständigen Ressource und zur Basis disruptiver Geschäftsmodelle. Die Nutzer dieser Plattformen stellen sich personalisierte Pakete aus Produkten und webbasierten Dienstleistungen, Smart Services, entsprechend ihrer Bedürfnisse zusammen. Weil in der Regel jedoch kein Unternehmen allein das nötige Know-How für solche Smart Services besitzt, konkurrieren in der Smart Service Welt nicht mehr einzelne Unternehmen, sondern digital vernetzte Ökosysteme. Hier bieten sich Chancen für kleine und mittlere Unternehmen. Doch während viele größere Unternehmen bereits entsprechende Strategien umsetzen, kommen KMU langsamer voran. Der Aufbruch in die Smart Service Welt gelinge jedoch nur, wenn KMU mitgenommen werden, betonte Henning Kagermann. Die Einstiegsbarrieren für diese Unternehmen müssen nach seinen Worten gesenkt werden. Dazu hat die acatech Projektgruppe „Digitale Serviceplattformen“ zur Hannover Messe 2016 ein Netzwerk von Unternehmen (Onboarding Factory) empfohlen. Hier können KMU datenbasierte Geschäftsmodelle zunächst im kleinen Maßstab testen. „Gerade kleine KMU haben teils häufig noch nicht erfasst, welch große Rolle digitale Technologien künftig für ihre Herstellungs- und Wertschöpfungsprozesse spielen werden“, ergänzte RWI-Präsident und acatech Präsidiumsmitglied Christoph M. Schmidt.
Henning Kagermann wies darauf hin, dass keine digitale Kluft zwischen kleinen und großen Unternehmen entstehen dürfe. Ein Schlüssel dafür liege in der Weiterbildung der Belegschaften. Jedes dritte große Unternehmen, aber nur jedes sechste mittelständische Unternehmen bietet spezifische Aus- und Weiterbildungsprogramme zur Industrie 4.0 an. Zu diesem Ergebnis kommen die Experten der Studie „Kompetenzen für Industrie 4.0“, in der acatech den Qualifizierungsbedarf insbesondere von kleinen und mittleren Unternehmen identifiziert und analysiert hat. Dafür brauchen sie maßgeschneiderte Qualifizierungsangebote, die durch digitale Technologien bereichert und erleichtert werden.
Kleine und mittlere Unternehmen waren auch das Schwerpunktthema des Innovationsindikators 2015, den acatech gemeinsam mit dem BDI herausgibt. Dieser kam zu dem Fazit, dass KMU eine eher nachrangige Rolle im Innovationssystem spielen, obwohl fast jeder zweite Hidden Champion weltweit aus Deutschland kommt. Innovationspolitische Programme sollten deshalb stärker auf KMU ausgerichtet werden, denn sie bringen Innovationen trotz ihrer Ressourcenschwäche oft schneller in den Markt als große Unternehmen.