Vom Schauen zum Machen – wie Stilllebenmalerei und Synthetische Biologie neue Realitäten schaffen

München, 21. Februar 2025
Wie lässt sich der Bogen von der Frühen Neuzeit zur Technikwissenschaft im 21. Jahrhundert spannen? Die Ausstellung „Rachel Ruysch. Nature into Art“ in der Alten Pinakothek nahm acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften zum Anlass, um Wissenskulturen zu verbinden und dabei der Frage nachzugehen, wie viel Kontemplation und wie viel Konstruktion in den Gemälden der Stillebenmalerin Rachel Ruysch stecken. (Neue) Wirklichkeiten auf der Leinwand und aktuelle Bezüge zu Synthetischer Biologie des 21. Jahrhunderts diskutierten die Teilnehmenden der Veranstaltung am 19. Februar im acatech Forum.

In seiner Begrüßung stellte acatech Vizepräsident Stefan Oschmann die Frage, wer die Kultur eigentlich bestimme: die Naturwissenschaften oder die Geisteswissenschaften? Und wie es dazu kam, dass Naturwahrnehmung und -forschung, die zu Zeiten von Rachel Ruysch (1664-1750) noch eng miteinander verwoben waren, sich in Kunst und Wissenschaft ausdifferenzierten? Es gelte, so Stefan Oschmann, die Zusammenhänge von Kunst, Natur und Wissenschaft zu untersuchen. Die Synthetische Biologie, die seit einigen Jahren den Bereich des Lebendigen mit ingenieurwissenschaftlichen Ansätzen erforscht und gezielt verändert, könne dafür ebenso als Beispiel dienen, wie die Werke der Künstlerin Rachel Ruysch.
Bernd Ebert, Sammlungsleiter Holländische und Deutsche Barockmalerei, Alte Pinakothek, München, stellte die an Exponaten und deren künstlerischer Verarbeitung reiche Welt von Rachel Ruysch und ihres Vaters Frederik vor. Indem sie die Gemälde anderer Maler eingehend studierte und die Natur intensiv beobachtete, setzte Rachel Ruysch ihr Talent ein, um die Gattung des Blumenstilllebens zu neuer Blüte zu führen. Bernd Ebert gab Einblicke in ihr familiäres Umfeld, insbesondere Einordnungen zu ihrem Vater Frederik Ruysch. Als renommierter Professor für Anatomie und Botanik diente er der Tochter als Vorbild und Inspirationsquelle. Bernd Ebert erläuterte anhand von Beispielen Bestandteile der Gemälde Rachel Ruyschs – Blumen, Insekten, auch exotische Tiere wie eine Wabenkröte – und die eingesetzten Techniken ihres Schaffens. Beispielsweise sind in frühen Stillleben der Künstlerin häufig Abdrücke von echten Schmetterlingsflügeln zu finden.
Die Wissenschaftshistorikerin Julia Carina Böttcher, Kompetenzzentrum für interdisziplinäre Wissenschaftsreflexion, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, gab Einblicke in die Wissenschaften der Frühen Neuzeit. Insbesondere wiederum in die „prunkvolle Wissenschaft“ Frederik Ruyschs, der durch seine Präpariermethoden bekannt wurde und ein großes Publikum für seine Sammlung von Präparaten begeisterte. Als Mitglied der Leopoldina und der Royal Society steht er für eine Zeit, in der Einzelwissenschaftler in verstärkten und institutionalisierten Austausch traten, beispielsweise in Akademien.
Der Doktorand Bela Frohn vom Max-Planck-Institut für Biochemie (Martinsried) stellte Ansätze der Synthetischen Biologie vor. Die Komplexität der biologischen Zellen lässt sich entweder „top down“, also durch Veränderung bestehender Systeme zähmen – oder „bottom up“. Letztgenannten Ansatz verfolgt Bela Frohn in seiner Arbeit und sucht damit nach Möglichkeiten, „Ordnung aus Unordnung“ zu schaffen, die dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik zunächst zuwiderlaufen.

Das Kunstareal München liegt im Herzen von München, ist mit seinen Museen und Wissenschaftsinstitutionen einer der wichtigsten Kulturstandorte Europas. acatech, die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, und die Alte Pinakothek in München gehören dazu. Aus Anlass der Sonderausstellung zu Rachel Ruysch „Nature into Art“ in der Alten Pinakothek kommen die beiden Institutionen erstmals zusammen, um Kunst, Wissenschaft und Technik gemeinsam zu denken – in einem zeitlichen Bogen von der Frühen Neuzeit hinein ins 21. Jahrhundert.
In der von Marc-Denis Weitze, acatech Geschäftsstelle, moderierten Diskussion wurde deutlich, dass bereits Rachel Ruysch in ihrer Malerei nicht nur schaute und allenfalls reproduzierte, sondern in ihren Stillleben Situationen neu konstruierte, Artefakte mit neuen Techniken erschuf, wie beispielsweise dem Abdrücken der Schmetterlingsflügel in den feuchten Malgrund – und sie war innovativ, setzte dafür neu erfundene Pigmente wie das Berliner Blau ein. Die Konstruktionen der Synthetischen Biologie sind damit verglichen zwar tiefergehend – betreffen sie doch genetisches Material – gleichwohl basieren sie ebenso auf eingehender Betrachtung und Analyse.
In der Schlussrunde wagten die Podiumsteilnehmenden einen Blick in die 10 Jahre entfernte Zukunft: Bernd Ebert, wünschte sich, verstärkt der Verbindung zwischen Kunst und Wissenschaft in Ausstellungsprojekten nachzugehen. Julia Carina Böttcher und Bela Frohn stimmten zu, freuen sich auf die weiteren Entwicklungen in ihrem Feld und sehen ebenfalls viele Verbindungen zwischen den Disziplinen über Jahrhunderte hinweg – etwa in der Visualisierung als Instrument der Wissenschaftskommunikation.