Was Start-ups brauchen, um zu erfolgreichen Unternehmen heranzuwachsen
München, 10. Mai 2023
Wachstumsbedingungen für Start-ups standen im Mittelpunkt einer virtuellen Veranstaltung aus der Reihe SENAT digital. In das Thema führten acatech Vizepräsidentin Ann-Kristin Achleitner (TU München) und acatech Senator Christoph Schuh (Lakestar) unter der Moderation von Gerhard Kussel (Leiter Themenschwerpunkt Volkswirtschaft, Bildung und Arbeit, acatech) ein. Ein Fazit: Die Forschung ist gut aufgestellt; an guten Ideen und auch Gründergeist mangelt es nicht. Für das Wachstum zu neuen Champions am Markt brauchen Start-ups aber bessere Zugänge zu Risikokapital.
Eine Achillesferse des hiesigen Innovationssystems
Das verhaltene Wachstum von Start-ups in Deutschland sei eine Achillesferse des hiesigen Innovationssystems, sagte Ann-Kristin Achleitner in ihrer Eröffnung. Schon 2019 entwickelte eine acatech Arbeitsgruppe unter ihrer Leitung Handlungsoptionen. Heraus kam die Studie „Innovationskraft in Deutschland verbessern: Ökosystem für Wachstumsfinanzierung stärken“, ein Referenzpunkt innovationspolitischer Strategien zur Förderung von Start-ups. Im Kern müsse die Wachstumsphase junger Hightech-Unternehmen durch bessere Zugänge zu Wagniskapital und durch gute Kontakte zu etablierten Unternehmen unterstützt werden.
Wie gut ist das europäische Ökosystem?
Das deutsche und europäische Ökosystem innovativer Start-ups habe eine gute Basis, so Christoph Schuh. Es gebe exzellente Hochschulen und Forschungseinrichtungen in ganz Europa. Neben Lehre und Forschung werde an vielen Hochschulen auch das Gründen vermittelt und unterstützt. Es gebe öffentliche Förderprogrammen und „Unicorn“ Gründungen, also Start-up-Unternehmen, deren Anteile nicht an der Börse gehandelt und die mehr als eine Milliarde US-Dollar wert sind. Bemerkenswert sei, dass nicht nur vermeintlich prädestinierte Städte wie Berlin, Barcelona oder London solche Unicorns hervorgebracht haben: 300 Unicorns tummelten sich 2021 in 100 verschiedenen Städten.
Wo Europa im internationalen Vergleich zurückbleibt
Allerdings, so Christoph Schuh, spiele Europa im Vergleich zu den USA und China nach wie vor eine untergeordnete Rolle. Neue Weltmarktführer seien fast ausschließlich in den USA und China entstanden. Dies vertiefe die Abhängigkeiten Europas, vor allem in Bezug auf die Infrastruktur in den Bereichen Digitalisierung, Zahlungssysteme und Kapitalmarkt.
Die Innovationskette von der Forschung bis zur erfolgreichen Anwendung und Gründung beginne in Europa aussichtsreich, falle aber dann ab: Die Forschung und auch die Patentanmeldungen lägen nach den Worten von Christoph Schuh auf dem Niveau der USA. Ganz anders der Anteil an Gründerinnen und Gründern an der Gesamtbevölkerung: Dieser sei nicht mal halb so hoch wie in den USA. Noch viel seltener seien in Deutschland Inhaberinnen und Inhaber von ausgewachsenen Tech-Unicorns zu finden. Eine Ursache: Hiesigen Gründungen fehle Risikokapital für ihre Wachstumsphase. Die Wachstumsfinanzierungen pro Kopf seien in den USA mehr als sieben Mal höher als in Deutschland.
Die Hochphase der Gründungen und wachsenden Unternehmen seien in Europa die 50er bis 70er Jahre gewesen. Damals entstanden 60 Prozent der Wirtschaftskraft durch Bankenfinanzierung. Heute sähe es anders aus: In den vergangenen 20 Jahren hätten die USA um ein Vielfaches mehr in Gründungen aus der Tech-Branche investiert – und Europa abgehängt. Neue Technologieunternehmen bringen seit 1995 laut Christoph Schuh 34 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der USA hervor. Tech-Gründungen aus Deutschland erwirtschafteten lediglich 1,3 Prozent des hiesigen Bruttoinlandsproduktes.
Wo der Schlüssel zum Wachstum liegt
Einer Lakestar-Studie zufolge fehlten in Deutschland jährlich rund 80 bis 100 Milliarden Euro Wachstumsfinanzierung, die durch Venture Capital und öffentliche Fördermittel bereitgestellt wird. Ann-Kristin Achleitner unterstich darüber hinaus die Bedeutung der Schnittstelle zur Industrie: Investitionen in neue Technologien müssten stärkere Beachtung erfahren.
Die Zusammenarbeit mit Universitäten bleibe ebenfalls wichtig. Gründungen – so ein Fazit der Diskussion – spielten an vielen Hochschulen und bei ihren Studierenden schon heute eine wichtige Rolle. Der Gründergeist in der Forschung wachse.
Diskussion und Ausblick
Mehr Gründungen und die Verbesserung ihrer Wachstumsbedingungen sind Kernaufgaben für Wissenschaft, Wirtschaft und Politik – darin waren sich die Teilnehmenden der Veranstaltung einig. Ann-Kristin Achleitner gab einen Ausblick und kündigte an, das Start-up-System Deutschland zukünftig in der neuen Reihe „Innovationssystem Deutschland“ aufzugreifen. Die erste Ausgabe stellt den Fachkräftemangel in den Mittelpunkt und erscheint am 10. Juni 2023.
Über die Veranstaltungsreihe SENAT digital
Im acatech Senat kommen namhafte Persönlichkeiten aus führenden, technologieorientierten Unternehmen, Verbänden sowie den großen Wissenschaftsorganisationen und aus der Politik zusammen. Sie beraten die Akademie in strategischen Fragen und sorgen in Projekten für den Austausch mit der industriellen Praxis. Bei der virtuellen Veranstaltungsreihe SENAT digital wird etwa einmal im Quartal ein aktuelles Thema aus wirtschaftlicher, politischer, wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Perspektive beleuchtet. Das einstündige Format richtet sich an alle acatech Senatorinnen und Senatoren sowie an ausgewählte Gäste.