Vom Erkennen zum Handeln: wissenschaftsbasierte Politikberatung
München, 30. Oktober 2024
Ob Mobilitätswende, Raumfahrt, Künstliche Intelligenz (KI) oder Landwirtschaft – die Wissenschaft liefert Grundlagen und Argumente, damit die Politik sachgerechte Entscheidungen treffen kann. Bei acatech am Dienstag diskutierten Expertinnen und Experten am 22. Oktober im Münchener acatech Forum darüber, wie wissenschaftsbasierte Politikberatung funktioniert, wo sie bereits gelingt – und wo es noch Verbesserungsbedarf gibt.
acatech Präsident Jan Wörner begrüßte die Teilnehmenden, auch aus der Lernwerkstatt Technikkommunikation, im acatech Forum. Er verwies darauf, wie bedeutend das Wechselspiel aus wissenschaftlicher Erkenntnis und politischen Entscheidungen auch und gerade für acatech ist.
Konstruktive Allianzen aus wissenschaftlichen Wahrheiten und politischen Mehrheiten?
Peter Strohschneider war Vorsitzender des Wissenschaftsrats und Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Als Mitwirkender und Vorsitzender zahlreicher politikberatender Gremien und Mitglied mehrerer Akademien (darunter acatech) hat er jahrzehntelang im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik gewirkt. In seinem Impuls erinnerte er daran, dass wissenschaftliche Wahrheiten unabhängig von politischen Mehrheiten sind. Wissenschaft basiere auf objektiven Erkenntnissen und methodischer Überprüfung, während politische Mehrheiten oft von Meinungen und Interessen geprägt seien. Hinzu kommen in der Politikberatung Interessenvertreter wie Verbände, deren Perspektiven etwa im Rahmen von Stakeholder-Dialogen einzubeziehen sind.
Zwischen Wissenschaft und Politik ist Raum für verschiedene Formen von Politikberatung. Ein naives und fehlgeleitetes Verständnis von Politikberatung basiere beispielsweise auf der Idee „Speaking truth to power“, das einseitig auf das alternativlose Regime einer unbedingten Wahrheit setzt. Wie also gelingen konstruktive Allianzen aus wissenschaftlichen Wahrheiten und politischen Mehrheiten? Wie lässt sich Expertenwissen aufbereiten und in Handlungsalternativen mit möglichen Konsequenzen formulieren, damit es der Politik als Entscheidungsgrundlage dienen kann? Wichtig sei es, die Integrität der Wissenschaft zu wahren und sich nicht von politischen Strömungen beeinflussen zu lassen, so Peter Strohschneider. Wissenschaftliche Erkenntnisse sollten als Grundlage für politische Entscheidungen dienen, anstatt dass politische Mehrheiten die Wissenschaft für ihre eigenen Zwecke instrumentalisieren.
Möglichkeiten und Herausforderungen wissenschaftsbasierter Politikberatung
acatech Mitglied Veronika Grimm (Technische Universität Nürnberg, Mitglied des Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung) machte klar, wie wichtig wissenschaftliche Politikberatung für fundierte politische Entscheidungen sind. Um eine Urteilsbildung zu wirtschaftspolitischen Fragen zu erleichtern, adressiere der Sachverständigenrat auch die Öffentlichkeit. Dabei versuchen Gremien wie der Sachverständigenrat, in ihren Gutachten zu einstimmigen Darstellungen zu kommen. Unstimmigkeiten können allerdings auch offen kommuniziert und im Zweifel als sogenannte „Minderheitsvoten“ ebenfalls veröffentlicht werden.
acatech Senatorin Andrea Martin (Chief Technology Officer Ökosysteme und Verbände / IBM DACH, Mitglied des Wissenschaftsrats) plädierte für eine Vielfalt: sowohl bei Disziplinen als auch Perspektiven in der Politikberatung. Sie selbst stehe für „wirtschaftsbasierte Politikberatung“ – sei es als Expertin in der KI-Enquete-Kommission des deutschen Bundestages (2018-2020), im bayerischen KI-Rat oder bei acatech. Dieses Vorgehen entspreche der „wissenschaftsbasierten Politikberatung“, betone aber eine eigenständige Perspektive.
Als ehemaliger Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation ESA hat acatech Präsident Jan Wörner die unterschiedlichen Koordinatensysteme von Politik und Wissenschaft aus erster Hand erlebt und bekräftigte, dass Wissenschaft keine Politik ersetzen könne. Die Wissenschaft forscht und gibt ihre Forschungsergebnisse weiter – beispielsweise an Entscheidungsträger. Gefährlich werde es, wenn Wissenschaft ersetzt werde durch Meinungen und Ideologien.
Politikberatung an Beispielen konkret diskutieren
Mit Beispielen wie dem Gebäudeenergiegesetz oder Konkurrenzfragen um Nutzungsformen von Landfläche gingen die Vortragenden mit dem Publikum in die Diskussion. Die „Experten“-Rolle, wer sie definiert und auf welche Art wahrnimmt, wurde kritisch reflektiert: Sie sei gewiss nicht immer an eindeutige Qualitätskriterien geknüpft. Der Begriff werde übernutzt, aber dennoch immer wieder bemüht. Auch hier scheint also eine Pluralität im Sinne eines nicht einseitigen, sondern mehrstimmigen Inputs von Expertinnen und Experten in die Politikberatung unbedingt angebracht.
Abschließend setzten die Diskutierenden den Begriff der „Evidenz“ in den Fokus, der im Kontext der Politikberatung oftmals fällt. Keineswegs, so war man sich einig, sei für alle dasselbe evident – und das Problem der Wissensbasis werde mit diesem Begriff lediglich verschoben.
Weiterführende Informationen
Leitlinien für die Politik- und Gesellschaftsberatung
„Wahrheiten und Mehrheiten. Kritik des autoritären Szientismus.“ Von Peter Strohschneider.