Wissenschaftskommunikation in Zeiten von Wissenschaftsskepsis und Medienwandel
Tutzing, 31. Mai 2021
Wissenschaftskommunikation ist ins Blickfeld der Politik geraten – spätestens seit Klimawandel und Coronakrise den öffentlichen Diskurs beherrschen. Auch in der massenmedialen Vermittlung steht Wissenschaftskommunikation im Spannungsfeld der Komplexität ihres Gegenstandes und dem Wunsch nach einfacher Verständlichkeit. Auf einer gemeinsamen Tagung von acatech und der Akademie für Politische Bildung Tutzing am 20./21. Mai sprachen Expertinnen und Experten aus Theorie und Praxis über aktuelle Herausforderungen und Möglichkeiten der Wissenschaftskommunikation.
Nach der Begrüßung durch Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung und acatech Präsident Jan Wörner hielt acatech Mitglied Wolfgang M. Heckl, Generaldirektor des Deutschen Museums und Inhaber des Oskar von Miller Lehrstuhls für Wissenschaftskommunikation der TU München, einen einführenden Impulsvortrag. Darin betonte er, dass erfolgreiche Wissenschaftskommunikation den Menschen überzeugen und mitnehmen muss. In Filmausschnitten über das Deutsche Museum in München zeigte er, wie dort seit über 100 Jahren Wissen vermittelt wird – insbesondere, indem die Menschen zum Mitmachen eingeladen werden. Wenn man selbst etwas tut und Dinge erlebt, festigt sich das Wissen darüber in besonderem Maße. Eine besondere Herausforderung, auch und gerade in diesen Tagen: klar zu machen, dass wissenschaftliche Erkenntnis den aktuell besten Stand des Wissens wider gibt – aber nicht für die Ewigkeit gilt. Wolfgang M. Heckl schloss seinen Vortrag mit einem kurzen Kabarettstück von Helmut Schleich, der in der Maschinenhalle des Deutschen Museums über den „Maschinenraum der Demokratie“ räsoniert – nämlich den Bayerischen Landtag.
Erwartungen an die Wissenschaftskommunikation
Der Bayerische Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, Bernd Sibler, betonte, dass es wichtig sei, die Sorgen und Fragen der Menschen ernst zu nehmen und auf Augenhöhe zu kommunizieren. Früher sei dies vielleicht einfacher gewesen, da man die Menschen über Zeitungen erreichen konnte. Heute müssten viele Kanäle bespielt werden, um eine entsprechende Reichweite zu erzielen.
Die Leiterin des Referats Wissenschaftskommunikation im Bundesministerium für Bildung und Forschung, Cordula Kleidt, ergänzte, dass die Aktivitäten der kommunizierenden Wissenschaftler selbst besonders wertvoll sind und gleichzeitig ein unabhängiger, auch kritischer Wissenschaftsjournalismus zentral sei. Das Interesse am Gegenüber, der Dialog und das Aufnehmen von Rückmeldungen sei dabei besonders wichtig. Das BMBF hat mit der „Factory Wisskomm“ dazu einen entsprechenden mehrmonatigen Prozess aufgesetzt, dessen Ergebnisse im Juni vorgestellt werden.
Andrea Stegemann, Chefredakteurin der Monatszeitschrift „bild der wissenschaft“, beschrieb, wie sich die Wissenschaftskommunikation geändert habe. Die Leserschaft stelle immer höhere Ansprüche, erwarte Problemlösungen, aktuelle Forschungsergebnisse und bahnbrechende Erkenntnisse – sie müsse aber gleichzeitig feststellen, dass die Wissenschaft bei den aktuellen Problemen im Allgemeinen leider keine schnellen und bequemen Lösungen bietet. So stehen Wissenschaftler, Politiker und Multiplikatoren vor wachsenden Herausforderungen der Wissenschaftskommunikation.
Wissenschaftskommunikation mit Unterhaltungswert
Ein Türöffner zur Gesellschaft könnte das Wissenschaftskabarett sein. Ecco Meineke, seit Jahrzehnten eine feste Größe in der Münchner Kabarett-Szene, zudem Soul-, Jazz- und Chansonsänger, stellte Auszüge aus seinem Programm vor. Seine Beiträge drehten sich um Kunstfleisch, Gentechnik, Zucker und Wohlstandsmüll. In einem anschließenden Gespräch mit Moderator und Hobby-Kabarettist Marc-Denis Weitze zeigte sich, dass sich das Publikum permanent verändert. Es gibt immer wieder Themen, die so brisant, aufgeladen und polarisierend sind, dass man sich selbst als Kabarettist nicht daran wagen kann.
Immerhin, so der Konsens der Diskussion, kann Kabarett mit einer Außensicht auf Wissenschaft neue Impulse geben, neue Zielgruppen für die Wissenschaftskommunikation erschließen und Wissenschaft und Gesellschaft sogar näher zusammenführen.
Wissenschaftskommunikation heute
Zum Thema „Wissenschaft und das Wissen sozialer Bewegungen“ referierte Sven Reichardt von der Universität Konstanz. Er informierte dabei über die Querdenker-Bewegung, das soziale Profil der Mitglieder, ihre Vernetzung und Kommunikation im Internet.
Anschließend diskutierte eine Arbeitsgruppe die Rolle der Wissenschaftler in der Wissenschaftskommunikation mit Hannah Schmid-Petri, Lehrstuhl für Wissenschaftskommunikation an der Universität Passau und Julika Griem, Vizepräsidentin der DFG und Direktorin des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen (KWI).
Eine zweite Arbeitsgruppe diskutierte zeitgleich zur Rolle der Wissenschaft in den Medien mit Sebastian Kirschner, Bayerischer Rundfunk und Elisabeth Hoffmann, Leiterin der Stabsstelle Presse und Kommunikation der Technischen Universität Braunschweig.
In zwei weiteren Arbeitsgruppen wurden die besonders aktuellen Themen „Klimawandel“ und „(Impf-)Medizin“ mit acatech Mitglied Ottmar Edenhofer, Direktor des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) bzw. Julia Neufeind, Robert Koch-Institut, thematisiert.
Gefühlte Wahrheiten: Wechselwirkungen von Wissenschaft und Gesellschaft
Ortwin Renn, Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam und acatech Präsidiumsmitglied, führte im Abschlussvortrag die verschiedenen Diskussionsstränge zusammen. Während das Wissen der Menschen früher auf eigenen Erfahrungen basiert habe, hätten die Leute heute ihr Wissen zumeist aus zweiter und dritter Hand. Wie steht es da um die Glaubwürdigkeit? Ob man einer Person glaubt oder nicht, entscheidet sich oft durch psychologische Mechanismen wie Plausibilität und Nachvollziehbarkeit. Das ist aber gerade schwierig bei komplexen Sachverhalten, die nicht intuitiv verständlich sind und oft unplausibel erscheinen. Wenn Komplexität, Ambiguität und Unsicherheit die Wissenschaft charakterisieren, trage das zu schwierigen Randbedingungen von Wissenschaftskommunikation bei, so der Soziologe.
Interviews zu „Wissenschaftskommunikation in Zeiten von Wissenschaftsskepsis und Medienwandel“:
Prof. Dr. Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung
Veröffentlicht am 1. Juni 2021
Dauer: 3 Minuten und 4 Sekunden
Prof. Dr. Ottmar Edenhofer, Direktor des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC), Berlin / acatech Mitglied
Veröffentlicht am 25. Juni 2021
Dauer: 8 Minuten und 24 Sekunden
Prof. Dr. Wolfgang M. Heckl, Generaldirektor Deutsches Museum und Oskar von Miller Lehrstuhl für Wissenschaftskommunikation, Technische Universität München / acatech Mitglied
Veröffentlicht am 1. Juni 2021
Dauer: 6 Minuten und 20 Sekunden