Zukünftige Wertschöpfung gestalten: Der Einfluss von Industrie 4.0
München, 19. November 2024
Durch die konsequente Umsetzung von Industrie 4.0, der „vierten industriellen Revolution“, soll die deutsche Industrie im internationalen Wettbewerb langfristig konkurrenzfähig bleiben. Die Themen Nachhaltigkeit, Resilienz, Interoperabilität, technologische bzw. strategische Souveränität und vor allem auch die zentrale Rolle des Menschen rücken immer stärker in den Fokus. Trotz dieser Versprechungen stagniert die deutsche Wirtschaft jedoch und bleibt mit ihren Produktivitätszuwächsen hinter den Erwartungen zurück. Was sind die Ursachen hierfür? Sind die Erfolge nur noch nicht deutlich genug sichtbar? Bei acatech am Dienstag erläuterten Fachleute aus Theorie und Praxis am 12. November den aktuellen Stand von Industrie 4.0 in Deutschland und diskutierten drängende Fragen mit den Teilnehmenden.
acatech Präsident Jan Wörner ging in seiner Begrüßung auf die Herkunftsgeschichte der industriellen Revolutionen ein: beginnend mit der Mechanisierung bis hin zur vierten industriellen Revolution, die gekennzeichnet ist durch Vernetzung von Mensch und Maschine. Der Begriff Industrie 4.0 sei vor über zehn Jahren bei acatech entstanden und habe danach als Konzeptbegriff weltweit Karriere gemacht. Jan Wörner zeigte anhand von Beispielen, dass Industrie 4.0 bereits in verschiedenen Wirtschaftsbereichen Realität geworden ist – vom Handwerk bis zur Autoproduktion.
In ihrem Impuls betonte Julia Arlinghaus (Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF, Forschungsbeirat Industrie 4.0), dass sich die deutsche Industrie an einem Wendepunkt befindet, da technologische Entwicklungen und neue Rahmenbedingungen die Notwendigkeit zur Digitalisierung und Automatisierung der Wertschöpfung treiben. Zu den wichtigsten Entwicklungen gehören erhebliche Fortschritte in Bereichen wie Datenübertragung und -speicherung, Sensorik, Künstliche Intelligenz (KI), Digitale Zwillinge und Augmented Reality (AR). Diese Technologien bieten gesteigerte Leistung und Skalierbarkeit, was Unternehmen hilft, effizienter und flexibler zu arbeiten.
Darüber hinaus, so Julia Arlinghaus, werde die Programmierung zunehmend vereinfacht und modular gestaltet, was die Integration neuer Technologien erleichtere. Gleichzeitig werde die Sicherheit verbessert, um potenzielle Risiken zu minimieren. Insgesamt veränderten diese Entwicklungen die Art und Weise, wie Wertschöpfung in der Industrie betrieben wird, hin zu mehr Digitalisierung und Automatisierung. Deutschland befinde sich wirtschaftlich in einer ungewissen Lage, ähnlich einer Achterbahnfahrt. Das enorme Potenzial von Industrie 4.0, so die Einschätzung der Produktionsforscherin, sei bislang noch nicht umfassend ausgeschöpft worden.
Doch es gebe Grund für Zuversicht: Viele Unternehmen zeigen sich optimistisch und setzen bereits Technologien der Industrie 4.0, wie digitale Zwillinge und Künstliche Intelligenz ein oder entwickeln digitale Geschäftsmodelle. Es gebe bereits viele einzelne „Leuchttürme“. Jetzt sei es wichtig, mit den passenden Rahmenbedingungen und Anpassungen ein „Lichtermeer“ zu schaffen. Als drei zentrale Hebel beschrieb Julia Arlinghaus eine konsequent digitalisierte und automatisierte Wertschöpfung, die integriertes Energiemanagement zum Wettbewerbsvorteil nutze, auf Kooperationen setze, Ressourcen teile und als KI-Anwendungsweltmeister den Menschen in den Mittelpunkt stelle. Zudem sollten die Wettbewerbsvorteile beim Teilen von Daten mit europäischen Plattformen wie Manufacturing-X und Gaia-X genutzt werden. Bei der Wirtschaftsleistung solle man sich international nicht vergleichen, sondern zügig handeln und die Digitalisierung vorantreiben.
Björn Sautter (Festo SE & Co. KG / Forschungsbeirat Industrie 4.0 / Lenkungskreis der Plattform Industrie 4.0) sieht den Menschen als den entscheidenden Faktor. Es brauche eine gemeinsame Zukunftsvision, um Kräfte und Investitionen zu bündeln, wie beispielsweise die Mondlandung. Nur wenn dieser Impact für die Menschen auch erfahrbar werde, können sich diese für die Vision begeistern und gemeinsam an deren Umsetzung arbeiten – denn seit der Entstehung des Begriffs sei der Mensch integraler Bestandteil von Industrie 4.0.
Trotz der bisherigen Fortschritte sei die Verbreitung von Industrie 4.0 in die Praxis noch verbesserungsfähig. Weiterhin gelte es, bei der Entwicklung Anforderungen wie Souveränität, Interoperabilität und Nachhaltigkeit zu berücksichtigen. So sei laut Björn Sautter die Verknüpfung von Daten, wie es in digitalen Ökosystemen wie Gaia-X, Manufacturing-X oder Factory-X bereits geschehe, nicht nur eine Blaupause, sondern die Basis der zukünftigen Industrie. Das Potenzial für die Industrie liege darin, Daten zu heben und mit neuen Geschäftsmodellen branchenübergreifend und international eine Wertschöpfung zu generieren. Gute Chancen bei der Digitalisierung sieht er beim Engineering und in der Logistik. Generell müsse man den Mittelstand begeistern und für eine gemeinsamen Zukunftsvision gewinnen.
Anschließend diskutierten die Fachleute auf dem online Podium und mit dem Publikum, moderiert von Joachim Sedlmeir (acatech Geschäftsstelle). Dabei wurde nochmal die Bedeutung von Industrie 4.0 in der wirtschaftlichen Breite deutlich.