Zwischen Chemie und KI – Faust inside
München, 26. Juni 2018
Wie inspiriert uns die Figur des Faust? Dieser Frage geht das Münchner Faust-Festival nach – und die Diskussion bei acatech am Dienstag am 26. Juni im acatech Forum. Zwischen Faszination und Verteufelung changiert seit jeher die Chemie. Ähnlich ist es heute bei der künstlichen Intelligenz. Dem Faustischen in Chemie und KI ging die Veranstaltung am Karolinenplatz nach.
Goethes Faust entstand in der Frühzeit der Industrialisierung. Die Dampfmaschinen ermöglichten ungeahnte Produktivitätssteigerungen, warfen aber auch soziale und Umweltfragen auf. Goethes Faust beleuchtet das Spannungsfeld zwischen Naturerkenntnis, Weltverbesserung, Macht und Ohnmacht, das die von Wissenschaft und Technologien geprägte moderne Welt kennzeichnet. Heute bricht das vierte industrielle Zeitalter an, während künstliche Intelligenz in immer mehr Lebensbereiche einzieht. „Zwischen Chemie und KI“ bewegte sich die Diskussion deshalb bei acatech am Dienstag.
Roland Fischer, Inhaber des Lehrstuhls für Anorganische und Metallorganische Chemie der TU München, stellte „Faustisches im Chemie-Labor“ vor. Er spannte den Bogen von der künstlichen Natur bis zu natürlichen Künsten rund um Chemie und Energie. Mit seinem Famulus Tobias Kubo (ebenfalls TU München) experimentierte er mit chemischen Oszillationen. Ja, für manche wurde ein Homunkulus sichtbar. Jeder trage seinen Homunkulus mit sich herum, meinte Roland Fischer mit Blick auf die allgegenwärtigen Smartphones. Vieles, was früher Magie war, sei heute dank moderner Technik machbar – die wiederum auf Chemie und Werkstoffen beruhe.
Klaus Mainzer, acatech Mitglied und ehemaliger Ordinarius für Philosophie und Wissenschaftstheorie an der TU München, fragte, wie viel Faust in Technik stecke und wieviel Technik in Faust: Niemand wisse, was im Inneren der neuronalen Netze geschieht. In seinem Vortrag „KI, Faust und wir“ stellte er auch die Gretchen-Frage neu: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“ Mit Blick auf die künstliche Intelligenz stellte er fest, dass sie sich nicht mit der Vorstellung einer allumfassenden Intelligenz verbinden lasse. Seine Arbeitsdefinition für künstliche Intelligenz lautet: „Ein System heißt intelligent, wenn es möglichst schwierige Probleme möglichst effizient und möglichst unabhängig lösen kann.“ Demnach gäbe es nicht DIE Intelligenz, sondern nur Grade von Intelligenz. Diese würden sowohl von der Selbstständigkeit eines Systems, das Probleme löst, als auch von der Effizienz seiner Problemlösungsverfahren abhängen.
Der Wissenschaftskabarettist und promovierte Chemiker Jaromir Konecny stellte in zwei Einlagen Zweideutigkeiten von Sprache anhand automatischer Übersetzungen von Goethes Faust vor. Darüber hinaus stellte er aktuelle Bezüge von Faust zu Naturwissenschaft und Technik her.
Im Folgenden finden Sie einen der beiden Beiträge von Jaromir Konecny:
„Bist du Faustianer?“,
fragte mich eine Frau nach dem Science Slam im Lustspielhaus. „Ich bin Helena!“, fügte sie hinzu. Ihre Gretchenfrage hatte mich stutzen lassen: Wer waren Faustianer? Fausts Fans? Doch nicht nur deswegen starrte ich sie an:
Mein männlicher Sexismus hatte sie sofort auf sehr wenige Merkmale reduziert, dagegen kann ich wirklich nichts tun, der Mann in mir muss die Frau immer auf ihr Aussehen reduzieren. Frauen machen’s sicher anders als wir Männer, einer Frau ist es wurscht, wie ein Mann ausschaut, dem sie begegnet. Ich will aber unseren männlichen Makel zugeben, den Goethe noch lebte, und so stehe ich jetzt dazu und sage, was mich an Helena berauschte: Sie sah verdammt intellektuell aus!
„Mein schönes Fräulein, darf ich‘s wagen,
meinen Arm und Geleit Euch anzutragen?“,
hätte Faust unzeitgemäß gesagt, doch ich fragte stattdessen: „Wer sind denn Faustianer?“ Ich hatte mir ja auch nicht ihre Ablehnung antun wollen:
Bin weder Fräulein, weder schön,
kann ungeleitet nach Hause gehen!
„Du hast keine Ahnung?“, seufzte sie, holte ein mephistophelisch größenwahnsinniges Smartphone aus ihrer roten Krokodilleder-Tasche und kicherte:
„Besser ein großes Smartphone als eine dicke Lesebrille!“
Helena mit Humor: Langsam brachte sie mein neuronales Netz zum Glühen: Aber, Helena? … Aussichtslose Liebe! Fegefeuer in den Hirnzellen!
Sie tippte auf den Bildschirm und las vor:
„Faustianer sind faustische Magier, die in ihrem Streben nach größerer Macht bereit sind, den Pakt mit dem Teufel einzugehen. Sie bedienen sich der Schwarzen Magie und wenden diverse verzerrte Praktiken an, von Beherrschungsmagie und geistiger Manipulation über Nekromantie bis hin zu Blutmagie …“
Sie zeigte mir den Bildschirm: „Siehst du? Da steht’s schwarz auf weiß! Im Wikipedia!“
„Schwarz auf Blau“, sagte ich, damit sie sofort sah, dass sie ohne einen technisch und naturwissenschaftlich gebildeten Mann wie mich nicht leben konnte: „Du sollst eine Blaulichtfilter-App installieren. Das blaue Licht deines Smartphones verhindert die Bildung des Schlafhormons Melatonin und stört deinen Schlaf.“
„Ist doch wurscht!“, sagte sie.
„Leise bist du nur umfangen,
Schlaf ist Schale, wirf sie fort!“
Boah! Sogar Faust 2, das sperrige Stück! Hier stand sie: Helena meiner Träume. Vor lauter Verlegenheit zeigte ich Idiot auf den Bildschirm und korrigierte sie: „Das ist Shadowiki!“
„Ja!“, sagte sie. „Wiki! Wikipedia also!“
„Das ist doch kein Wikipedia!“, sagte ich. „Shadowiki ist das Online-Lexikon des Rollenspiels Shadowrun. Faustianer sind nur eine Rolle im Spiel, keine echten Magier!“
„Heinrich! Mir graut’s vor dir!“, zitierte sie wieder Faust. Es sollte wie ein Scherz klingen, doch sie drehte sich um und zeigte mir den Rücken.
Oh, Helena! Verlass mich nicht! „Sicher gibt‘s Faustianer auch im wirklichen Leben“, rief ich.
Sie drehte sich wieder zu mir und lächelte: „Das habe ich gemeint. Du hast dich ja gerade auf der Bühne bei Science Slam als Faustianer geoutet! Du willst doch auch den Dämon beschwören!“
„Hä?“
„Na, künstliche Intelligenz! Davon bist du doch so begeistert. Die Entwicklung der künstlichen Intelligenz ist aber das Beschwören eines Dämons.“
Krass! Ist in sie Elon Musk gefahren? Der PayPal-, SpaceX- und Teslagründer findet künstliche Intelligenz gefährlicher als Nordkorea und vergleicht ihre Entwicklung mit der Beschwörung eines Dämons – mit einem faustischen Pakt! Ohne zu berücksichtigen, dass Faust nur dank seinem Streben nach Wissen in den Himmel kam.
Keine Frage, ich musste sie von der schiefen Bahn der Technikverachtung abbringen: „Künstliche neuronale Netze sind eine große Chance für die Menschheit“, sagte ich. „Sie können uns helfen, Krankheiten zu besiegen und die Umweltzerstörung abzuwenden.“
Sie lachte laut, freundlich klang‘s aber nicht: „Ja, ja! Ich verstehe! Du willst die Welt retten. … Blödsinn!
Du bist ein Teil von jener Kraft,
die stets das Gute will, und stets das Böse schafft!
Künstliche Intelligenz muss sofort verboten werden!“
„Wie denn?“, fragte ich. „Sogar ich kann künstliche neuronale Netze programmieren. Mit Python!“
„Mit einer Schlange?“, fragte sie und setzte mit einem weiteren Faust-Zitat fort:
„Folg nur dem alten Spruch und meiner Muhme, der Schlange,
Dir wird gewiß einmal bei deiner Gottähnlichkeit bange!“
„Ich bin doch nicht Gott!“, rief ich. „Ich bin Chemiker! Und auch die heutigen Künstliche-Intelligenz-Programme sind nicht gottähnlich! Sogar viel blöder als wir Menschen sind sie, und schon die menschliche Blödheit ist schwer zu toppen!
Die Programme sind doch so, wie Menschen sie programmieren und nach welchen Regeln sie trainieren lassen!“ … Ach! Wie habe ich mich bei Helena nur so bescheuert anstellen können? Rechtfertigungen statt Humor.
„Zwar weißt du viel, doch möchts‘t du alles wissen!“, rief sie.
„Wir können doch nicht jeden Computer auf der Welt überwachen!“, sagte ich. „Wenn wir nicht forschen, forschen andere weiter. Was machen wir, wenn Kim Jong-un eine allgemeine künstliche Intelligenz entwickelt und wir keine Ahnung davon haben, aha? “
„Kim Jong-un kann doch nicht programmieren!“, brüllte sie. „Ich kenne mich mit Faust aus, du Homunculus, du!“ Das stimmte, leider! Wieder drehte sie sich um und lief endgültig davon.
„Verweile doch! Du bist so schön!“, wollte ich ihr nachrufen, egal ob zeitgemäß oder unzeitgemäß. Doch schon war sie weg, mir den Abschlussmonolog überlassend:
„Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor!“
Wieder mal zeigte sich also, dass Goethe in seinem Faust weit in die Zukunft sah – bis in unsere Gegenwart -, und dass Faust als Parabel auf die globalisierte und beschleunigte Welt gesehen werden könne, in der die Umwelt ausgebeutet werde, die Menschen ihr ganzes Glück im Konsum suchen würden, immer schneller unzufrieden seien und unaufhörlich auf die Zukunft spekulieren würden, wie der Goethe-Forscher Michael Jaeger sagt.
Doch wieder mal zeigte sich auch: wenn in unserer Gegenwart etwas schief geht, wie meine Begegnung mit Helena, der Frau aus meinen Künstliche-Intelligenz-Träumen, können’s auch nicht Goethe und Faust und nicht einmal Mephisto richten.