Bayern denkt Zukunft – Co-Working-Spaces als Innovationstreiber für ländliche Regionen
Zwei Jahre Corona hinterlassen Spuren – auch in der Arbeitswelt. Der Digitalisierung zum Trotz war es vor der Pandemie für Arbeitnehmer oft noch ein Kampf, aus dem Home Office arbeiten zu dürfen, sind heute viele Argumente der Arbeitgeber längst widerlegt und flexible Arbeitszeiten und -orte – dort wo es möglich ist – nicht mehr die Ausnahmen, sondern die Regel. Selbst in Arbeitsumfeldern, die auf den ersten Blick keine Flexibilität zulassen, gibt es Möglichkeiten. DB Fernverkehr ermöglicht den Beschäftigten im Schichtdienst beispielweise eine individuelle Gestaltung der Dienstpläne.
Können sich die Bayer:innen heute eine Rückkehr ins Büro vorstellen? Die Ergebnisse der Studie Bayern denkt Zukunft: Stadt.Land.Chancen – Ergebnisse der Befragung in Bayern sind recht eindeutig:
Auch hoffen 87,2 Prozent aller Befragten, dass sie durch neue Arbeitsformen weniger pendeln müssen.
Die Arbeit im Home Office ist aber für viele dennoch keine erstrebenswerte Dauerlösung: 62,4 Prozent der Befragten bereitet es Sorgen, wenn sich Wohn- und Arbeitsort immer mehr vermischen. Wie also schaffen Arbeitgeber und Arbeitnehmer den Spagat? Eine Lösung bieten Co-Working Spaces.
„Neues Arbeiten“ als Chance für ländliche Regionen
Kennt man den „Schreibtisch on demand“ bislang hauptsächliche aus dem hippen, urbanen Umfeld, steigt die Nachfrage jetzt auch auf dem Land. Warum das so ist, was neues Arbeiten im Kern bedeutet, welche weitreichenden Chancen sich dadurch für Gemeinden und Kommunen ergeben, und wie man ganz konkret einen Co-Working Space aufbaut, diskutierten im Februar 2022 Expert:innen aus Wissenschaft, Unternehmen und der Praxis mit Teilnehmer:innen aus zwei Regionen in Niederbayern und Unterfranken in zwei regionalspezifischen Inspirationswerkstätten das Thema „Neues Arbeiten – Chance für Regionen abseits der Metropolen“. Die Diskussion zeigte, dass das Thema Co-Working die Entscheider:innen aus Kommunalpolitik- und Verwaltung sowie regionalen Wirtschaft bereits seit längerem beschäftigt und bereits erste Projektideen im Raum standen, zu denen es konkrete Fragen gab.
Co-Working Spaces als Orte der Innovation
Katharina Hochfeld (Fraunhofer CeRRI) beleuchtete aus wissenschaftlicher Perspektive das Potenzial von Co-Working-Spaces als Orte der Innovation, die sich zu Keimzellen für ländliche Innovationsökosysteme entwickeln können – von passender Infrastruktur über Kollaborationsstrategien der beteiligten Organisationen bis hin zu den persönlichen Einstellungen der Menschen. Neben einem attraktiven Ort spielen also auch Kultur und Werte eine entscheidende Rolle beim Thema Neues Arbeiten.
Datev e.V. während der Pandemie gelernt, dass effiziente Zusammenarbeit auch digital und virtuell möglich ist. Wie Rainer Schubert berichtete, hat das Unternehmen deshalb die Zeit auch dazu genutzt, das historische Pendelverhalten seiner Mitarbeiter:innen zu analysieren und sie nach ihrem präferierten Arbeitsortmodell für die Zukunft zu fragen. Die langen Pendelwege und eine Präferenz für ein hybrides Arbeitsplatzmodell – beides spiegelt sich in der Bayern denkt Zukunft-Studie wider – haben dazu geführt, dass das Unternehmen künftig auf Co-Working Spaces in den Landkreisen rund um Nürnberg setzen will. Spannend für die Teilnehmenden der Inspirationswerkstatt: Auch andere große Arbeitgeber in der Region stellten ähnliche Überlegungen – stießen aber wie Datev auf eine ländliche Co-Working Wüste.
Eine steigende Nachfrage von Unternehmensseite und das aktuell geringe Angebot – Rainer Schubert zeigte sich überzeugt, dass es keinen passenderen Zeitpunkt für Kommunen geben wird, in den Markt einzusteigen … und von den Entwicklungsmöglichkeiten zu profitieren, die weit über das Befüllen von Leerstand im Ort hinausgehen.
Lösungsansatz für Herausforderungen der ländlichen Entwicklung
Ländliche Regionen kämpfen nicht nur mit Leerstand, wie auch die Bayern denkt Zukunft-Studie zeigt:
Auch sind 72,4 Prozent der Befragten aus ländlichen Gebieten besorgt, dass es zukünftig weniger Kulturangebote in ihrem Wohnort geben wird.
Ob Belebung des Ortskerns, der lokalen Wirtschaft oder des Vereinslebens, die Herausforderungen sind vielfältig – und lassen sich unter anderem mit dem Aufbau eines Co-Working Spaces angehen, zeigen die langjährigen Erfahrungen von Hans-Peter Sander von der CoWorkLand Genossenschaft. Die Vorteile können von besseren Versorgungsangeboten, wie einem angeschlossenen Dorfladen und der damit verbundenen Bindung von Kaufkraft am Ort, bis hin zu innovativen Impulsen, die aus neuen Vernetzungsmöglichkeiten für Unternehmen entstehen, reichen. Die Bürger:innen profitieren sowohl als Einwohner:innen wie auch in ihrer Rolle als Arbeitnehmer:innen vom Engagement ihrer Gemeinden.
Der erfahrende Praktiker nutze seinen Erfahrungsschatz natürlich auch, um den Teilnehmenden praktische Tipps zu geben, wie sie das aktuelle Momentum nutzen und Projekte schnell und erfolgreich auf den Weg bringen können.
8 Faktoren für erfolgreiches Co-Working auf dem Land
Die Kernerkenntnisse des Abends lassen sich in acht Punkten zusammenfassen:
- Das Angebot an ländlichen Co-Working Spaces ist gering – eine Gelegenheit für Gemeinden, sich einen Startvorteil zu verschaffen und mit Unternehmen oder auch öffentlichen Verwaltungen (Land, Bezirk) zusammenzuarbeiten, die offen für neue Arbeitsplatzkonzepte für ihre Mitarbeitenden sind. Vorreiter in der Öffentlichen Verwaltung ist das Land Schleswig-Holstein.
- Co-Working Spaces bieten weit mehr Entwicklungspotenzial für ländliche Räume, als „nur“ Leerstände zu füllen: Arbeitsplatz für Start-ups, Innovationshub, Kaufkraftbindung am Ort, Belebung der Orte, Erhalt/Ausbau der Versorgungsinfrastruktur uvm.
- Das aktuelle Corona-Momentum muss jetzt genutzt werden. In einem Jahr kann ohne entsprechende Angebote das Pendel bereits wieder in die andere Richtung ausschlagen. Wird jetzt die Nachfrage befriedigt, wollen viele Menschen nicht mehr zurück in alte Arbeitsplatzmuster.
- Ein aktives Netzwerk steht am Anfang, erst dann folgt der Co-Working Space. Das sogenannte „Community First“ (Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Verbände, Betreiber, Verwaltung, örtliche Infrastruktur) sichert auch den wirtschaftlichen Erfolg. Übrigens: Co-Working Spaces können auch für Handwerker:innen attraktiv sein!
- Ausprobieren als Teil der Machbarkeitsanalyse: Pop-up Co-Working Spaces als schnelle und risikoarme Lösung, Potenziale auszuloten und eine Community aufzubauen.
- Hybride Konzepte sind in ländlichen Gebieten vielversprechend: Kombination mit Dorfladen, Gemeindehaus, Bank- oder Postfiliale etc.
- Auch Gemeinden und Verwaltungen können zum Erfolg beitragen, indem sie die Co-Working Spaces buchen.
- Ein Netzwerk aus mehreren Co-Working Spaces in der Region mit zentralen Abrechnungsmöglichkeiten hat es leichter, große Unternehmen wie Datev oder auch Behörden als Partner zu gewinnen.
Die Inspirationswerkstatt konnte am Ende ihrem Namen alle Ehre machen: Etliche Teilnehmende haben sich mit den Expert:innen vernetzt, um ihre Ideen in die Tat umzusetzen. Damit hat das Dialogformat eine zentrale Zielsetzung von Bayern denkt Zukunft erreicht: einen entscheidenden Impuls für regionale Innovation zu geben.
Weiterführende Informationen:
- Was Co-Working Spaces sind und wie sie im ländlichen Raum funktionieren können, untersucht eine Studie der Bertelsmann-Stiftung.
- Eine Broschüre des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft informiert über Aufbau und Betrieb eines ländlichen Co-Working Spaces.