HORIZONTE nachgefragt! im Gespräch mit Christian Schiller
HORIZONTE nachgefragt!
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Es braucht Standards und massive Investitionen in die Recyclingtechnologien nach ökologischen Gesichtspunkten! Diese Recyclingrevolution wird nur dann nach marktwirtschaftlichen Prinzipien gelingen, wenn es auch die Nachfrageseite wirklich ernst meint mit dem Einsatz von Rezyklaten.“
Christian Schiller, Gründer und Geschäftsführer cirplus GmbH
Recycling – die Umweltschutzidee findet eigentlich breite Unterstützung. Warum ist daraus nicht schon längst eine Mega-Industrie geworden?
Mehr als 90% der jährlich verarbeiteten Kunststoffe bestehen aus Neuware (erdölbasierte Kunststoffe), weniger als 10% sind recycelte Kunststoffe. Offensichtlich hat es Altware gegenüber Neuware schwer.
Warum? Neuware ist 20%-30% billiger im Einkauf verglichen mit hochwertigen Kunststoff-Rezyklaten. Der Markt für recycelte Kunststoffe steht in direkter Konkurrenz zur petrochemischen Industrie und befindet sich in einem Teufelskreis: recycelte Kunststoffe sind weniger wettbewerbsfähig, damit fehlen Investitionen in Kapazitäten und Forschung, was wiederum Effizienzgewinne und Kostensenkungen erschwert.
Trotz gewissenhafter Mülltrennung der VerbraucherInnen wird der größte Teil des Altplastiks verbrannt. Sind wir beim Recycling noch in der Steinzeit?
Ja, die Branche leidet schon seit langem unter Investitionsstau, eben weil die Nachfrage in der Vergangenheit gering war bzw. stark schwankte. Wir haben es als Folge mit einem fragmentierten Markt zu tun, der den Zugang zu konstanter Quantität und gleichbleibender Qualität erschwert. Und eben: Es ist unbestreitbar, dass die Recyclingindustrie modernisiert und Kapazitäten erweitert werden müssen, um der steigenden Nachfrage nach hochwertigen Kunststoff-Rezyklaten gerecht zu werden. Dieser Wandel kann jedoch nur dann funktionieren, wenn die Nachfrageseite es auch wirklich ernst meint mit dem höheren Rezyklateinsatz.
Wie kann Plastikrecycling zum Standard werden?
Um Rezyklate als Material der Wahl zu etablieren, braucht es ein Mix aus verschiedenen Maßnahmen:
- Standardisierung: Die umfassende Dokumentation von Materialeigenschaften ist bei Rezyklaten schwieriger und kostspieliger als bei Neuware. Um den Einsatz von recycelten Kunststoffen zu erhöhen, sind solche Standards unabdingbar. Deshalb haben wir von cirplus die DIN SPEC 91446 zur Klassifizierung von Kunststoffrezyklaten nach Datentiefe entwickelt, um die Lücken in der Normungslandschaft zu schließen.
- Digitalisierung & Transparenz: Die Digitalisierung der Branche steckt noch in den Kinderschuhen, ist aber der Schlüssel für eine bessere Koordination, Kooperation und Transparenz zwischen den verschiedenen Kernakteuren entlang der Wertschöpfungskette. So können Transaktionskosten gesenkt werden und Stoffströme über Handelsplattformen nachvollziehbar charakterisiert werden nach post-consumer bzw. post-industrial Material.
- Gesetzgebung & Quoten: Wo Marktmechanismen weiterhin versagen, muss der Gesetzgeber regulierend eingreifen, z.B. durch die Besteuerung nach Umweltbelastung (Verschmutzung & CO2-Emissionen) bzw. Belohnung des jeweils ökologisch sinnvollsten Recyclingverfahrens. Auch die Einführung einer produkt- oder polymerspezifischen Mindestrezyklatquote muss geprüft werden. Bei all diesen Überlegungen ist aber wichtig, dass man Investitionen in F&E nicht abwürgt und nicht Unmögliches von den Verarbeitern verlangt. Und schließlich muss unbedingt vermieden werden, dass es zu ökologisch fragwürdigen Ausweichbewegungen in andere Materialien kommt aufgrund einer Besteuerung ohne sinnvolle Lenkungswirkung.
- Forschung & Investitionen: Steuerliche Anreize für Forschungs- und Entwicklungsausgaben in hochwertige Recyclingtechnologien sind ein weiterer Hebel zum Schließen des Kunststoffkreislaufes.
19.05.2021
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