HORIZONTE nachgefragt! im Gespräch mit Viola Bronsema
Dr. Viola Bronsema, Geschäftsführerin Bio Deutschland, erklärt im Interview, warum Corona ein Glücksfall für die Biotechnologie war und was es braucht, damit sich Erfolgsgeschichten wie die von BioNTech wiederholen lassen.
Eine informelle Umfrage im Bekanntenkreis ergibt: Niemand weiß so recht, was Biotechnologie ist. Warum sollte sich die Gesellschaft viel mehr damit beschäftigen?
Ich denke, dass das Verständnis, was Biotechnologie ist, in den letzten zwei Jahren aufgrund der Pandemie gewachsen ist, zumindest, was den Einsatz für unsere Gesundheit angeht. Aber es gibt tatsächlich noch sehr viele Anwendungsbereiche, die der Allgemeinheit kaum oder gar nicht bekannt sind. Das müssen wir ändern. Darum habe ich sehr gern an der aktuellen „Horizonte“-Ausgabe der acatech mitgearbeitet. Denn auch in diesem Heft zeigt sich: Die Biotechnologie ist eine wichtige Schlüsseltechnologie nicht nur für Gesundheit, sondern auch für Landwirtschaft und Ernährung, industrielle Produktion oder Umwelt- und Klimaschutz. Das Potenzial der Biotechnologie ist riesig, wir müssen es nun auch nutzen.
Die Corona-Pandemie hat ein Schlaglicht auf das Potenzial der Biotechnologie in der Medizin geworfen. Was musste alles zusammenkommen, damit es gelingen konnte, in sehr kurzer Zeit Tests und Impfstoffe zu entwickeln und zur Verfügung zu stellen?
Der Kampf gegen die Pandemie fußt u. a. auf dem Kreis der Unternehmerinnen und Unternehmer der medizinischen Biotechnologie hierzulande. Sie bilden seit gut 30 Jahren in Deutschland das Bindeglied zwischen Wissenschaft und Pharmaindustrie. Sie haben meist selbst in der Forschung gearbeitet. Um ihre Entdeckungen dann in die Anwendung zu bringen und den Patientinnen und Patienten zugänglich zu machen, haben sie Start-ups gegründet und ihre Forschung und Entwicklung stetig vorangetrieben. Durch die Pandemie sind sie endlich verdient ins Scheinwerferlicht gerückt, und sie zeigen, was sie können. So leisten biotechnologische Innovationen schnell einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Corona-Infektionen. Die Verantwortlichen in den Unternehmen haben beherzt gehandelt, wie man z. B. an der Entscheidung von BioNTech sieht, alles auf die „Impfstoff“-Karte zu setzen, großartig kooperiert und ihr gesamtes Knowhow auf das eine Ziel gerichtet, die Pandemie einzudämmen.
Die Herausforderungen waren vielfältig. Zum einen waren da Probleme, vor die alle Betriebe gestellt wurden. Lockdown, „home office“, geschlossene Kitas und Schulen, unterbrochene Lieferketten. Ein forschendes und produzierendes Biotech-Unternehmen kann natürlich nicht alle seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Arbeiten nach Hause schicken. Andere Herausforderungen betrafen die Planbarkeit. Wie viele Tests werden in Zukunft benötigt, wie viel Rohstoffe und Reagenzien müssen vorrätig sein, um verlässlich liefern zu können? Wie stabil sind die Lieferketten, wer kann in schnell, in großem Maßstab in die Produktion einsteigen? Impfstoff- und Therapie-Entwickler hatten sofort einen sehr hohen Kapitalbedarf, der mal mehr mal weniger gut und schnell erfüllt werden konnte. Auch die Bürokratie ist immer ein Hindernis, besonders, wenn es schnell gehen muss. Allerdings haben hier die Behörden sehr gut und schnell mit den Unternehmen noch gangbaren Lösungen gesucht. Auch die Durchführung von klinischen Prüfungen mitten in einer Pandemie mit wechselnden bzw. wandernden Infektions-Hotspots war nicht einfach.
Was ist Ihre Einschätzung: Haben die Akteure aus der Erfahrung gelernt? Lässt sich dieser „Erfolg“ wiederholen?
Wir haben die Erfolgsgeschichte von BioNTech genutzt, um aufzuzeigen, wo wichtige Wegmarken waren, die für viele andere Biotechnologie-Unternehmen auch von Bedeutung sein können. So z. B. eine gute Gründungs- und Clusterförderung oder ausreichend Venture Kapital, um zu wachsen. Wenn wir basierend auf dieser Geschichte die Rahmenbedingungen für innovative Biotech-Unternehmen entsprechend anpassen, gehe ich davon aus, dass wir noch weitere solche Erfolgsgeschichte sehen werden.
Biotechnologie kann uns in vielen Bereichen heute schon helfen, zentrale Herausforderungen zu lösen. Woran hakt es, dass wir nicht mehr Erfolgsgeschichten wie den Corona-Impfstoff sehen?
Diese Frage schließt sich aus den Lehren der BioNTech-Story an. Wir brauchen z. B. mehr Werbung für Unternehmertum, guten Zugang zu Gründungskapital, ganz allgemein einen professionellen und wertgeschätzten Technologietransfer an Hochschulen und Forschungseinrichtungen, eine gutes Kapitalmarktökosystem mit Incentivierungen für Investoren und Privatanleger und natürlich hilft auch die Wertschätzung durch die Öffentlichkeit.
Biotechnologie kann zwar viele Herausforderungen der Menschheit lösen helfen – einige Methoden bzw. Technologien wie die Gentechnik sind aber teilweise sehr umstritten. Wie erreichen wir dennoch Fortschritte?
Ganz wichtig ist natürlich die Einbeziehung aller Akteure in unserer Gesellschaft. Wir müssen nicht nur immer wieder erklären, was wir warum machen. Es muss gelingen, das Potenzial der Technologie darzustellen ohne etwaige Unsicherheiten oder Wissenslücken zu verschweigen. Es geht dabei um einen vertrauensvollen Dialog und die Berücksichtigung der Prioritäten in unserer Gesellschaft. Grundsätzlich ist auch eine solide biologische Grundbildung ein gutes Fundament, um mögliche diffuse Ängste vor unbekannten Prozessen zu nehmen. Wenn die Vorteile einer Technologie deutlich werden, wie jetzt bei Corona-Tests oder Impfstoffen, dann steigt damit ganz automatisch die Akzeptanz.
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