Quantentechnologien
Der Quantencomputer ersetzt in einigen Jahren den „herkömmlichen“ PC, der im Wohnzimmer steht? So wird es nicht kommen, auch wenn sich manche fantastische Schlagzeile so anhören mag. Um die zweite Generation der Quantentechnologien, zu denen der Quantencomputer gehört, ranken sich viele Mythen. Auch deshalb, weil die Grundlagen dieser Technologie – die Quanten und deren Manipulation – kaum ferner von unserer Alltagswelt liegen könnten. Diese Ausgabe der acatech HORIZONTE will darüber aufklären, wie die Quantentechnologien in Grundzügen funktionieren, was momentan technisch möglich ist, wo die Potenziale der Technologien liegen. Die Erwartungen sind hoch: Mit ihrer Hilfe soll es in einigen Jahren möglich sein, Probleme zu lösen, für die aktuelle „Superrechner“ Tausende von Jahren brauchen würden. Auch abhörsichere Kommunikation, präzise Vorhersagen von Naturkatastrophen und eine akkurate Messung von Gehirnaktivitäten sind mögliche Anwendungsfälle. Wie weit Forschung und Entwicklung sind, wo die kommerzielle Nutzung unmittelbar bevor steht und wo sie noch in weiter Ferne ist, beantwortet die acatech HORIZONTE Quantentechnologien.
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Der acatech HORIZONTE Podcast
„Late Night Tech“ ist ein Podcast für alle, die Lust haben auf gute Gespräche rund um Wissenschaft, Technik und Community Insider. Faktenbasiert und ganz entspannt sprechen Christina Müller-Markus und Dr. Sandra Fendl vom acatech HORIZONTE-Team mit renommierten Experten und Expertinnen über aktuelle Themen.
Übrigens…
Antworten auf Fragen, die die acatech HORIZONTE Quantentechnologien so nicht stellt, finden Sie im HORIZONTE logbuch. Andreas Tünnermann, Institutsleiter des Fraunhofer IOF, verrät Ihnen zum Beispiel, ob wir uns dank der Quantenteleportation endlich an den Urlaubsstrand beamen können.
acatech HORIZONTE Quantentechnologien
– auf einen Blick
In 12 Botschaften, die wir im Rahmen dieser Publikation aufgreifen, erklären wir, warum Quantentechnologien ein wichtiges Zukunftsthema und damit ein acatech HORIZONTE Thema sind.
Eine kurze Geschichte der Quantenphysik
Der Grundstein der Quantentechnologien wurde schon vor über 100 Jahren gelegt. Das sind die wichtigsten Meilensteine für die Entwicklung der Quantentechnologien, wie wir sie heute kennen:
Grundlagen der Quantenphysik
Photon, Atom, Molekül – Wichtige Begriffe aus der Quantenphysik
Quanten sind – vereinfacht gesagt – winzig kleine Energiepäckchen, die im Nanokosmos wirken. Der Nanokosmos ist die Welt des Allerkleinsten. Die Energiepäckchen, aus denen auch unser sichtbares Licht besteht, werden „Lichtquanten“ oder „Photonen“ genannt. Was aber unterscheidet sie eigentlich von Atomen oder Molekülen? Für die Beschreibung von Vorgängen im Nanokosmos gibt es neben dem Quant noch eine ganze Reihe von unterschiedlichen Begriffen. Das folgende Schaubild soll dabei helfen, die unterschiedlichen Begriffe kurz genauer zu erklären.
Das Zwei-Zustands-System
Quantenobjekte und Quanten interagieren in einem Atom in sogenannten Quantensystemen. Quantenobjekte können hier zwischen zwei verschiedenen Energiezuständen hin- und herspringen. Daher auch der Name: Das Zwei-Zustands-System.
Kopf oder Zahl?
Zwischen der klassischen Physik und der Quantenphysik gibt es ganz entscheidende Unterschiede. Es gibt einige Effekte in der Quantenwelt, die es so in unserer wahrnehmbaren Welt nicht gibt. Die Antwort auf die Frage “Kopf oder Zahl?” ist deshalb nicht so einfach. Anhand der Wette zwischen Quentin und Alice erklärt dieses Video drei zentrale Unterschiede.
Die drei zentralen Quantenphänomene erklärt auch das folgende Schaubild.
Quantentechnologien der ersten Generation
Stehen wir am Anfang einer Quantenepoche? Durch vielversprechende neue Quantentechnologien wie dem Quantencomputer, werden ältere Technologien, zu denen beispielsweise der Laser oder die Atomuhr gehören, ex post zur “ersten Quantenrevolution”. Ein Überblick über die wichtigsten Etappenziele der Quantentechnologien der ersten Generation.
Quantentechnologien der zweiten Generation
Im Unterschied zu Quantentechnologien der ersten Generation sind wir dank technischem Fortschritt heute in der Lage, einzelne Quantensysteme kontrolliert zu manipulieren – mit dem Ziel, bahnbrechende innovative Technologien zu entwickeln. Die folgenden Punkte geben einen Einblick in Funktionsweisen und Potenziale der Quantentechnologien der zweiten Generation.
1. Quantencomputer: Wie funktioniert er eigentlich?
In den Medien wird der Quantencomputer gerne als „Supercomputer“ der Zukunft dargestellt. Hier wird das Funktionsprinzip beispielhaft anhand eines Quantencomputers, der supraleitende Qubits verwendet, erklärt. Das ist einer der möglichen Ansätze, um Quantencomputer zu realisieren.
2. Klassischer Computer vs Quantencomputer
Im Vergleich zu klassischen Computern, die immer nur eine Berechnung nach der anderen durchführen können, ermöglichen Quantensysteme durch ihre besonderen Eigenschaften die Verarbeitung mehrerer paralleler Rechenoperationen. Hier liegt das große Potenzial der Quantencomputer: Sie können bestimmte Rechenaufgaben, für die es die passenden Quantenalgorithmen gibt, in extrem kurzer Zeit lösen. Das folgende Schaubild zeigt die großen Unterschiede zwischen den beiden Arten der Computer.
Die Metrologie ist die Wissenschaft des Messens, Sensoren sind diejenigen Geräte, mit denen relevante Messgrößen, wie zum Beispiel Temperatur oder Beschleunigung, im Alltag tatsächlich erfasst werden können. Auch für die Bildgebung braucht es einen Sensor, meistens einen optischen Sensor in Form eines Kamerachips. Setzt man ein „Quanten-“ vor die Begriffe, also „Quantenmetrologie“, „Quantensensorik“ und „Quantenbildgebung„, bedeutet das, dass die Prozesse des Messens und Erfassens jeweils mithilfe von Quanten geschehen und deshalb sehr genau sind.
3. Quantenmetrologie, das SI-System und die optische Atomuhr
Die Quantenmetrologie erforscht, wie Quanteneffekte genutzt werden können, um Messungen noch genauer zu machen als bisher. Das Wissen um den Aufbau und die Eigenschaften eines Quantensystems revolutionierte die Genauigkeit von Messungen und ermöglichte die Festlegung von Naturkonstanten wie der Lichtgeschwindigkeit – und damit den Aufbau eines universellen Einheitensystems, dem sogenannten „SI-System“(vom französischen „Système International d’Unités“).
Das SI-System – die Währungsunion der Physiker
Das SI-System beschreibt einheitlich alle physikalischen Einheiten durch sieben Basisgrößen: Sekunde für die Zeit, Meter für die Länge, Kilogramm für die Masse, Ampere für die Stromstärke, Kelvin für die Temperatur, Mol für die Stoffmenge und Candela für die Lichtstärke. Aus diesen sieben Basisgrößen lassen sich alle anderen physikalischen Größen ableiten, zum Beispiel die Geschwindigkeit eines Objekts, die sich aus Meter pro Sekunde zusammensetzt
Jede der sieben Basisgrößen basiert auf Naturkonstanten und ist damit eindeutig und präzise festgelegt. Erst 2019 wurde die vollständige Definition aller Basisgrößen durch Naturkonstanten umgesetzt. So können heute auch alle elektrischen Einheiten – also Spannung, Stromstärke und Widerstand – über Quanteneffekte miteinander verbunden werden und bilden damit einen Teil des Systems. Nicht von ungefähr kommt deshalb die Einschätzung, das SI-System sei so etwas wie die Währungsunion der Physiker.
Die Optische Atomuhr
Atomuhren sind die genauesten Uhren der Welt. Ohne es zu wissen, benutzen wir sie tagtäglich, denn sie sind die Grundlage präziser Standortbestimmungen durch die Navigationssysteme GPS oder Galileo (GNSS). Rund 400 Atomuhren weltweit erzeugen gemeinsam die international verbindliche Zeit, und jeder kann sie in seiner Funkuhr einfach abrufen. Auch wenn die Atomuhr nicht so aussieht wie die gewöhnliche Armband-oder Standuhr, funktioniert sie nach dem gleichen Prinzip: Sie misst Zeitintervalle. Was bei der Standuhr die Frequenz eines schwingenden Pendels ist, entspricht in der Atomuhr der Übergangsfrequenz, wenn ein Elektron in einen anderen Zustand springt. Hätten seit Beginn des Universums (vor 13,7 Milliarden Jahren) optische Atomuhren mit dem Ticken begonnen, würden sie seitdem nur eine Sekunde falsch gehen.
4. Quantensensorik
Die Quantensensorik nutzt die hohe Empfindlichkeit von Quantensystemen auf kleinste Einflüsse wie elektrische oder magnetische Störungen. Diese Empfindlichkeit, die bei der Entwicklung von Quantencomputern, die aus vielen Qubits bestehen, eine große Herausforderung darstellt, ist für die Quantensensorik ein Segen, denn sie erlaubt in Kombination mit anderen Faktoren die Entwicklung von Sensoren mit bisher nie dagewesener Messgenauigkeit.
5. Klassische vs Quantenbasierte Bildgebung
Ohne Bildgebung blieben viele Fragen unbeantwortet. Egal ob es um das Diagnostizieren von Krankheiten und Knochenbrüchen oder das Verhalten von Bakterien geht, die dabei helfen, neue Medikamente zu entwickeln: Beobachtungen mit bloßem Auge ließen keinerlei zuverlässige Schlüsse zu. Bildgebungsverfahren wie hochauflösende Mikroskope oder MRT eröffneten neue Welten und gaben uns ein neues und vor allem besseres Verständnis von unserer Umwelt. Das Schaubild zeigt die Funktionsweise der klassischen Bildgebung.
Bei der STED-Mikroskopie werden relativ hohe Laserintensitäten benötigt, die zum einen den Zellen schaden und zum anderen den Fluoreszenzfarbstoff ausbleichen können. Hier setzt die quantenbasierte Bildgebung (englisch: „Quantum Enhanced Imaging“) an, deren Ziel es ist, in den kommenden Jahren eine weitere, neue Ära der Bildgebungsverfahren einzuläuten. Durch Nutzung von Quanteneffekten könnte es in naher Zukunft möglich sein, Bilder zu erzeugen, die selbst mit modernsten Mikroskopen nicht generiert werden können
Die Quantessenz
Dass Potenziale vorhanden sind, grundsätzlich einen Quantenmehrwert zu schaffen, ist unumstritten. Die Gefahr, dass die aktuelle Begeisterung als Hype verpufft, weil die Erwartungen – vor allem an den Quantencomputer – zu hoch sind, besteht jedoch ebenso. Gefragt ist ein realistisches Erwartungsmanagement von Kommunikatoren aller Bereiche – von den Medien über Politik, Industrie bis hin zur Wissenschaft:
- Es bedarf Geduld und Durchhaltevermögen. Es wird noch länger dauern, bis die neuen Quantenanwendungen kommen und im Vergleich zu heutigen Technologien einen echten Mehrwert bieten.
- Niemand sollte enttäuscht sein, wenn in der nahen bis mittleren Zukunft nicht in jedem Haushalt ein Quantencomputer oder ein Quantensensor zu finden sein wird. Bis auf die Atomuhr, die es tatsächlich auch fürs Wohnzimmer gibt, werden die Quantentechnologien für Privatpersonen im Alltag unsichtbar bleiben – aber dennoch als Teil von Geräten und Dienstleistungen allen zugutekommen!
- Mehr Agilität und Risikobereitschaft sind manchmal von Vorteil, wenn es um große Quantensprünge – also das, was man in der Alltagssprache darunter versteht – geht. Oft machen wir uns das Leben selbst schwer, wenn es um Anträge, Vergaben, Förderprojekte und Entscheidungen geht, und überlassen damit das Feld der schnelleren internationalen Konkurrenz.
Mitglieder der Projektgruppe
- Prof. Dr. Stefanie Barz
Institut für Funktionelle Materie und Quantentechnologien, Leitung Quantum Information & Technology, Universität Stuttgart - Dr. Astrid Elbe
Managing Director, Intel Labs Europe, Intel Deutschland GmbH - Dr. Markus Gräfe
Head of Quantum-Enhanced Imaging Group, Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik/ Co-Founder, Quantum Optics Jena GmbH - Prof. Dr. Stefan Kück
EURAMET TC-PR Chair, Leiter der Abteilung Optik, Physikalisch-Technische Bundesanstalt - Dr. Thomas Pöppelmann
Senior Staff Engineer, Infineon Technologies AG - Dr. Heike Riel
IBM Fellow, Department Head Science & Technology, IBM Research - Dr. Thomas Strohm
Koordinator und Senior Research Scientist für Quantentechnologien, Robert Bosch GmbH - Dr. Michael Totzeck
Fellow, Corporate Research and Technology, Carl Zeiss AG - Prof. Dr. Andreas Tünnermann
Institutsleiter Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik/ acatech - Prof. Dr. Dr. h. c. Joachim Ullrich
Präsident Physikalisch-Technische Bundesanstalt/ acatech - Prof. Dr. Artur Zrenner
Department Physik, Universität Paderborn/ acatech, Projektgruppenleiter
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Weiterführende Informationen
acatech am Dienstag: Quantentechnologien – zwischen Forschungsförderung und Wertschöpfung
acatech IMPULS „Innovationspotenziale der Quantentechnologien der zweiten Generation
acatech HORIZONTE logbuch: Expertenmeinungen zu den HORIZONTE Themen