Sicherheit
Sicherheit ist ein Grundbedürfnis, über das wir uns oft erst dann Gedanken machen, wenn wir uns bedroht fühlen. In einer Welt voller neuer Technologien, fortschreitender Digitalisierung und globaler Krisen wird das Thema immer drängender – nicht nur in der Politik, sondern auch in unserem alltäglichen Leben. Ob im Straßenverkehr, bei der Ernährung, am Arbeitsplatz oder in der Außenpolitik: Sicherheit betrifft uns auf vielen Ebenen. Doch was bedeutet „sicher“ eigentlich? Wie lässt sich ein Thema, bei dem das subjektive Empfinden eine so große Rolle spielt, wissenschaftlich und rational erfassen? Welche Lebensbereiche sind betroffen, und in welcher Weise? Vor allem: Wie können wir Sicherheit auf allen Ebenen auch in Zukunft gewährleisten? All diese Fragen wirft die neue acatech HORIZONTE Sicherheit auf – und sorgt für spannende Einblicke in dieses bedeutende Thema.
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Der acatech HORIZONTE Podcast
„Late Night Tech“ ist ein Podcast für alle, die Lust haben auf gute Gespräche rund um Wissenschaft, Technik und Community Insider. Faktenbasiert und ganz entspannt sprechen Christina Müller-Markus und Dr. Sandra Fendl vom acatech HORIZONTE-Team mit renommierten Experten und Expertinnen über aktuelle Themen.
Übrigens…
Antworten auf Fragen, die die acatech HORIZONTE Wasserstoff so nicht stellt, gibt es im HORIZONTE logbuch.
Was ist Sicherheit?
Sicher ist sicher – diesen Spruch kennt ihr bestimmt. Aber was heißt das eigentlich … „sicher“? Sicherheit ist ein menschliches Grundbedürfnis. Wir wollen sicher sein, sei es zuhause in den eigenen vier Wänden, in der Arbeit oder wenn wir uns von A nach B bewegen. Sicherheit lässt sich also als Zustand definieren, in dem wir – so gut es geht – vor Gefahr oder Schaden geschützt sind.
In der heutigen Welt, die von raschen Veränderungen und vielfältigen Herausforderungen geprägt ist, stellt sich die Frage: Sind wir überhaupt noch sicher? In dieser Ausgabe von acatech HORIZONTE widmen wir uns dieser Frage. Wir beleuchten die aktuellen Herausforderungen für unsere Sicherheit und fragen uns, wie wir diesen begegnen können. Denn Sicherheit ist ein Zustand, den es zu bewahren und zu stärken gilt.
Taucht mit uns ein in die vielschichtige Welt der Sicherheit und entdeckt, wie sie in einem sich wandelnden Umfeld definiert, geschützt und neu erfunden wird, und auch, was jeder und jede für die Sicherheit tun kann!
Sicherheit und Gefahrenabwehr betrifft jeden von uns in allen Geschäfts- und Lebensbereichen. Folglich sind wir alle für Sicherheit und Gefahrenabwehr verantwortlich.
Kirsten Raapke, Executive Vice President Europe bei TÜV Rheinland Group
Es ist schwierig, Sicherheit eindeutig zu definieren. Was braucht eine Person, um sich sicher zu fühlen? Wie viel Risiko ist sie bereit einzugehen? Das entscheiden in vielen Bereichen jede und jeder für sich selbst. Fallschirmspringen, waghalsige Klettertouren oder Tiefseetauchen sind eben nicht für alle! Viele Menschen plagt die Flugangst, dabei ist die Wahrscheinlichkeit viel höher, bei einem Autounfall zu verunglücken. Wir bewerten Sicherheit und Risiko nicht immer nur rational, sondern oft emotional und subjektiv.
Allgegenwärtiges Risiko und das Fehlen von Sicherheit sind jedoch nicht gleichzusetzen mit Gefahr. Risiko ist nicht nur negativ, es kann auch eine Chance sein. Es heißt nicht ohne Grund: „No risk, no fun!”. Risiko kann zu etwas unerwartet Gutem führen, wenn wir uns darauf einlassen. Eine Investition in die Entwicklung einer neuen fortschrittlichen Technologie kann riskant sein, da noch unklar ist, ob sich die Technologie durchsetzen wird. Andererseits können dadurch Innovationen und Fortschritt entstehen. Freiheit kann Unsicherheit mit sich bringen, birgt aber immer auch Chancen. Mehr Mut zum Risiko, sollte das Motto sein.
Ein Risiko ist die Möglichkeit, dass etwas geschieht, das man nicht beeinflussen kann. In Deutschland ist das eher negativ besetzt, aber man kann auch Chance sagen. Das ist im Prinzip das Gleiche.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister a.D., Vorsitzender der Deutschen Telekom Stiftung und Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages
Wo ist Sicherheit relevant?
Ob im Straßenverkehr, im digitalen Raum oder auch in der Außenpolitik – Sicherheit erstreckt sich über viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Zudem ist Sicherheit auf privater, auf öffentlicher und internationaler Ebene ein wichtiger Aspekt. Diese verschiedenen Sicherheitsbereiche sind eng miteinander verbunden und lassen sich nicht vollständig voneinander trennen. Da verliert man schon mal den Überblick. Deshalb stellen wir Bereiche vor, in denen Sicherheit eine zentrale Rolle spielt.
In der digitalen Welt
Welche Gefahren verbergen sich in der digitalen Welt und wie können wir damit am besten umgehen? Warum ist Cybersicherheit zuhause, in der Stadt oder auf dem Land, innerhalb des eigenen Staates und weltweit essenziell? Maßnahmen der Cybersicherheit spielen im digitalen Kontext in all diesen Bereichen eine Rolle.
In der digitalen Welt leben viele Leute mit offener Tür und merken es nicht.
Prof. Dr. Jörn Müller-Quade, Leiter der Forschungsgruppe „Kryptographie und Sicherheit“ am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Direktor am Forschungszentrum Informatik (FZI), Karlsruhe
Zuhause
Zuhause, in den eigenen vier Wänden, fühlen wir uns sicher. Wir haben ein Dach über dem Kopf, sind geschützt vor Wind und Wetter, können uns etwas zu essen machen, im Winter die Heizung aufdrehen und solange duschen, wie wir wollen. Total selbstverständlich, oder? Aber wer kümmert sich darum, dass das alles reibungslos funktioniert? Was braucht es für eine sichere Energie-, Wasser- und Lebensmittelversorgung? Und wo stehen wir als Privatpersonen selbst in der Verantwortung?
Akzeptanz und Wertschätzung für hochwertige nachhaltige Lebensmittel in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft sind zentral.
Prof. Dr. Andrea Büttner, Geschäftsführende Institutsleiterin des Fraunhofer-Instituts für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV)
In der Region
Wir möchten auch sicher sein, wenn wir draußen sind, in der Arbeit, beim Joggen im Park oder beim Arzt. Wir verlassen unsere Wohnung und sind in der Region unterwegs. Wir radeln in die Arbeit und fahren in den Urlaub. Dabei nutzen wir Autos, öffentliche Züge und Busse, gehen auf Straßen, fahren über Brücken und durch Tunnel. Im Bereich Mobilität sind viele Faktoren zu beachten, damit wir sicher unterwegs sind. Hier geht es nicht nur um das Funktionieren der Transportmittel, sondern auch um die Sicherheit der beförderten Menschen. Sicherheit ist hier oberstes Gebot.
Im Land
Private Sicherheit ist nicht ohne öffentliche, militärische Sicherheit zu haben.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister a.D., Vorsitzender der Deutschen Telekom Stiftung und Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages
Was bedeutet innere Sicherheit, also die Sicherheit innerhalb eines Landes? Wir beleuchten das am Beispiel Deutschland. Im klassischen Sinne steht innere Sicherheit für öffentliche Sicherheit, also den Schutz der Bevölkerung, des Gemeinwesens und der Verfassung. Dabei spielen zum Beispiel der Katastrophenschutz, der Schutz vor Terrorismus, die wirtschaftliche Sicherheit und Resilienz und zuverlässige rechtliche Rahmen für den Umgang mit neuen Technologien eine wichtige Rolle.
Nach außen
Natürlich hören die Sicherheitsbestrebungen eines Staates nicht an den Landesgrenzen auf. Ihr habt bestimmt schon den Begriff äußere Sicherheit gehört – aber was bedeutet das genau? Wahrscheinlich denkt ihr an militärische Verteidigung. Bei der äußeren Sicherheit geht es tatsächlich zunächst um die Verteidigung gegenüber externen Angriffen auf ein Land. Das können Kriegshandlungen sein, aber auch politisch motivierte Cyberattacken auf kritische Infrastrukturen. Aktuell befinden wir uns in einer geopolitisch angespannten Lage. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat die Sicherheits- und Außenpolitik Deutschlands verändert. Bundeskanzler Scholz sprach sogar von einer Zeitenwende.
Internationale Kooperation für eine sichere Welt – Der globale Blick
In der heutigen globalisierten Welt ist alles miteinander verflochten. So können auch scheinbar weit entfernte Krisen spürbare Auswirkungen bei uns haben. Um international Frieden, Sicherheit und Stabilität zu schaffen, ist Kooperation unabdingbar.
Was sollte jetzt noch passieren?
Sicherheit lässt sich in unserer zunehmend vernetzten Welt nicht nur durch kurzfristige, reaktive Maßnahmen gewährleisten. Sicherheit ist breit, langfristig und systemisch zu denken. Dabei sollten wir technische und militärische Aspekte ebenso berücksichtigen wie Umwelt-, Klima- und gesellschaftliche Risiken. Entscheidend ist, auf Prävention zu setzen und die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) unserer Systeme zu stärken. Dieser ganzheitliche Ansatz ist der Schlüssel zur Sicherheit in unserer globalisierten, komplexen Welt.
Außerdem ist Sicherheit ein gemeinsames Anliegen. Was können Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft tun, um fair und nachhaltig Sicherheit in allen Lebensbereichen und auf allen Ebenen zu stärken?
Wissenschaft
Die Wissenschaft sollte nicht nur Wissen schaffen, sondern dieses auch möglichst verständlich kommunizieren und erklären. Nur dann kann eine gut informierte Bevölkerung vernunftgeleitet mit Risiken umgehen und sich aufgrund der eigenen Kompetenzen bei der Einordnung von und dem Umgang mit Risiken sicher fühlen.
Politik
Die Politik sollte offen kommunizieren, dass wir uns in einer Zeit des Wandels befinden. Veränderungen sind unvermeidlich. Gleichzeitig ist es wichtig zu wissen, dass die Regierung kontinuierlich daran arbeitet, Sicherheit zu gewährleisten. Politische Entscheidungsträger und -trägerinnen sollten wissenschaftliche Erkenntnisse, Technologien und deren Transfer nutzen, um eine nachhaltige Transformation voranzutreiben.
Gesellschaft
Wir alle, als Teil der Gesellschaft, tragen eine wichtige Verantwortung für die Sicherheit – egal ob zuhause, bei der Arbeit oder anderswo. Unsere Entscheidungen und unser Verhalten können sich auf andere Menschen und ihre Sicherheit auswirken. Wir müssen uns selbst mit Sicherheitsthemen auseinandersetzen, Informationen sammeln und unsere eigenen Meinungen bilden. Als aufgeklärte Gesellschaft, die über Sicherheitsfragen informiert ist, können wir so aktiv unsere Demokratie mitgestalten.
Wirtschaft
Auf staatlicher Ebene ist es wichtig, die deutsche Wirtschaft gegenüber einer Vielzahl von Krisen widerstandsfähig (resilient) zu gestalten. Dazu gehört, dass wir stabile Lieferketten haben. Um dieses Ziel zu erreichen, sollten wir unsere Lieferketten zu mehrdimensionalen Liefernetzen weiterentwickeln, die in Zeiten von Krisen widerstandsfähiger sind. Lieferketten und Partnerschaften sollten wir künftig in ihrer gesamten Komplexität betrachten, anstatt uns allein auf kurzfristige wirtschaftliche Vorteile wie den niedrigsten Preis zu konzentrieren.
Quelle: Johann-Dietrich Wörner, Christoph M. Schmidt (Hrsg.): Sicherheit, Resilienz, Nachhaltigkeit (acatech Impuls), München 2022.
Sicherheit für alle?
Das Thema Sicherheit war bisher sehr stark männerdominiert. Frauen haben ein anderes Verhältnis zum Thema Schmerz und Risikoakzeptanz. Das Thema Gender ist wichtig, weil wir nur damit die Kultur der Risikoakzeptanz verbessern können.
Prof. Dr. Dr. Dr. Konrad Bergmeister, Leiter des Instituts für Konstruktiven Ingenieurbau an der Universität für Bodenkultur, Wien
Ist Sicherheit gerecht verteilt? Kommt allen Menschen das gleiche Maß an Sicherheit zugute? Unsere Gesellschaft ist divers. Sie besteht aus Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen, Erfahrungen und Bedürfnissen. Um sozial ausgewogen zu sein und so alle Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen zu schützen, müssen Sicherheitsmaßnahmen diese Vielfalt berücksichtigen. Dies erfordert eine faire Verteilung von Sicherheitsressourcen, die beachtet, was verschiedene Gruppen unterschiedlichen Alters, Geschlechts oder Kultur benötigen, um an einer sicheren Welt mit völliger Chancengleichheit teilzuhaben.
Aber was bedeutet das in der Praxis? Ein Beispiel für soziale Ungerechtigkeit in Bezug auf Sicherheit finden wir im Gesundheitsbereich: Der „Gender Health Gap” bezeichnet die Tatsache, dass die Medizin hauptsächlich auf männliche Patienten ausgerichtet ist. Frauen sind häufiger von Fehldiagnosen, falscher Medikation oder schädlichen Nebenwirkungen betroffen, weil sie andere Symptome als Männer aufweisen, zum Beispiel beim Herzinfarkt. Der Grund: Medikamente und viele Krankheiten sind bei Frauen nicht ausreichend erforscht. Es braucht also mehr geschlechterspezifische Forschung und Medikamententests, die sogenannte Gendermedizin, um die Gesundheitsversorgung für alle sicherer und effektiver zu machen.
Quelle: Stiens, Theresa; Klöckner, Jürgen: Wieso die Medizin Frauen oft falsch behandelt, 2023.
Mitglieder der Projektgruppe
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- Carlos Arglebe
Head of Cybersecurity bei Siemens Healthineers - Prof. Dr. Dr. Dr. Konrad Bergmeister
Leiter des Instituts für Konstruktiven Ingenieurbau an der Universität für Bodenkultur, Wien - Dr. Pia Fuhrhop
Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin - Dr. Thomas de Maizière
Bundesminister a.D., Vorsitzender der Deutschen Telekom Stiftung und Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages - Prof. Dr. Jörn Müller-Quade
Leiter der Forschungsgruppe „Kryptographie und Sicherheit“ am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Direktor am Forschungszentrum Informatik (FZI), Karlsruhe - Kirsten Raapke
Executive Vice President Europe bei TÜV Rheinland Group - Prof. Dr. Christoph M. Schmidt
RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung - Dr. Anne Wiese
Leiterin des Zentralbereichs (Global Real Estate and Services) bei Munich Re