Wasserstoff
Wasserstoff ist euch vielleicht noch vage aus den ersten Chemiestunden in Erinnerung. Verbrennt man ihn, wird Energie freigesetzt. Der Vorteil: Statt umweltschädlicher Gase entsteht dabei nur Wasser. Klimafreundlich hergestellt kann er helfen, fossilen Energieträgern wie Kohle und Erdgas ein für alle Mal den Rücken zu kehren und Industrie, Verkehr und Energieversorgung endlich nachhaltig zu gestalten.
Doch wie funktioniert das und welche Technologien gibt es bereits? Wo soll der Wasserstoff herkommen? Was ist in Zukunft vorstellbar und was muss noch passieren? Eure Neugierde ist geweckt und ihr wartet schon lange auf einen faktenbasierten und dennoch leicht verständlichen Überblick zum Thema Wasserstoff? Dann seid ihr hier genau richtig!
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Der acatech HORIZONTE Podcast
„Late Night Tech“ ist ein Podcast für alle, die Lust haben auf gute Gespräche rund um Wissenschaft, Technik und Community Insider. Faktenbasiert und ganz entspannt sprechen Christina Müller-Markus und Dr. Sandra Fendl vom acatech HORIZONTE-Team mit renommierten Experten und Expertinnen über aktuelle Themen.
Übrigens…
Antworten auf Fragen, die die acatech HORIZONTE Wasserstoff so nicht stellt, gibt es im HORIZONTE logbuch.
Was ist Wasserstoff?
Willkommen in der faszinierenden Welt des Wasserstoffs. Warum sprechen alle darüber? Betrifft mich das überhaupt als normale*r Bürger*in? Welches Potenzial hat Wasserstoff für Umwelt und Klima?
Woher kommt der ganze Hype um das Thema Wasserstoff? Wissenschaftler*innen und Politiker*innen aus aller Welt zerbrechen sich in letzter Zeit den Kopf darüber, die Medien berichten davon und die Wirtschaft will ihn so rasch wie möglich herstellen und nutzen. Dabei gibt es das Element Wasserstoff schon sehr lange; es ist sogar älter als die Geschichte der Menschheit! Wasserstoff wird heute heiß diskutiert, immer mehr Länder überlegen sich eigene Wasserstoffstrategien, denn er spielt eine bedeutende Rolle für unsere Zukunft. So einfach ist das aber nicht, wir befinden uns erst am Anfang. Noch sind viele Fragen zu klären. Das folgende Schaubild zeigt, was wir meinen, wenn wir über Wasserstoff sprechen:
Was ist mit Wasserstoff heute schon möglich? Wo wollen wir hin?
Egal, ob als Rohstoff für die Industrie, als Energiespeicher oder im Verkehr: Am klimafreundlichen Wasserstoff kommen wir nicht vorbei. Was ist heute technisch möglich? Wo liegen die Hürden und wo wollen wir hin?
Die Energiewende ist eigentlich keine schwierige Aufgabe. Wir machen uns bloß das Leben schwer, weil wir alles im Detail planen möchten. Wir können aber nicht so lange forschen, bis wir alles verstehen, wir haben beim Smartphone auch nicht beim iPhone X angefangen. Wir müssen einfach anfangen.
Prof. Dr. Robert Schlögl, Präsident Alexander von Humboldt-Stiftung
Wasserstoff in der Industrie
In der Industrie kommt Wasserstoff als Rohstoff zum Einsatz, um etwa Stahl, Zement, Düngemittel für die Landwirtschaft, Kunststoffe oder Klebstoffe für Elektrogeräte herzustellen. Dafür setzt die Industrie meistens grauen Wasserstoff aus Erdgas ein, wobei klimaschädliches CO2 entsteht. Wollen wir die Klimaziele erreichen, kommen wir am klimafreundlichen Wasserstoff nicht vorbei. Dazu müssen wir einen großen Teil unserer Industrie, die noch von fossilen Energien wie Kohle oder Erdgas abhängt, komplett auf den Kopf stellen.
Produktion umstellen
Die Stahlbranche, die noch größtenteils Kohle verwendet und deshalb einen besonders großen Hebel hat, hat die Potenziale von klimafreundlichem Wasserstoff erkannt: Sie arbeitet auf Hochtouren daran, ihr Produktionsmodell umzustellen und Europa fit für die grüne Zukunft zu machen. Die Schaubilder geben einen Überblick.
Öl und Gas müssen im Boden bleiben. Aber das wird schwierig, solange damit noch viel Geld zu verdienen ist. Je früher wir also loslegen, desto eher wird Wasserstoff wettbewerbsfähig und fossile Energien weniger profitabel.
Prof. Dr. Christoph M. Schmidt, Präsident RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung
Mit Wasserstoff Energie speichern und transportieren
Beim Speichern von grünem Strom in Batterien stoßen wir an unsere Grenzen. Möchten wir die Klimaziele erreichen, bräuchten wir sehr viele, sehr große Batterien mit vielen verschiedenen Rohstoffen aus aller Welt. Das wäre nicht bezahlbar und würde sich negativ auf die Umwelt auswirken.
Unabhängig werden von fossilen Energien
Wasserstoff bietet uns die Möglichkeit, Strom zwischenzuspeichern, zu transportieren und später wieder in Strom umzuwandeln. Wasserstoff kann überall auf der Welt produziert werden und macht uns unabhängiger von den wenigen Regionen mit fossilen Energien.
Wasserstoff für die Welternährung
Seit tausenden von Jahren werden Ackerböden gedüngt. In der heutigen Zeit reicht dafür Gülle und Mist nicht mehr aus und wir müssen große Mengen an synthetischem Dünger herstellen, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren.
Wasserstoff in der Düngerherstellung
Der dafür benötigte Ammoniak – eine chemische Verbindung aus Wasserstoff und Stickstoff – wird seit dem 20. Jahrhundert meist mithilfe von Wasserstoff aus Erdgas oder Kohle hergestellt – damit pusten wir sehr viel CO2 in die Atmosphäre! Klimafreundlicher Wasserstoff ist für uns also unabdingbar, um den für die Düngung nötigen Ammoniak zukünftig möglichst klimafreundlich herzustellen.
Klimafreundliche Mobilität: Wasserstoff und Strom im Tandem
Verkehr hinterlässt einen erheblichen CO2-Fußabdruck. Batterien in E-Autos sind eine Lösung, um emissionsfrei zu fahren. Aufgrund der benötigten Größe der Batterien sind sie aber z.B. für den Schiffs- oder Flugverkehr keine praktikable Lösung.
Wasserstoff als Alternative zu Batterien
Hier kommt der Wasserstoff ins Spiel: Er kann Strom aus erneuerbaren Energien speichern und im Schiff oder Flugzeug aus Wasserstoff wieder Strom machen. Aus dem Auspuff kommen keine klimaschädlichen Abgase, sondern praktisch nur Wasser.
Fazit: Nur durch eine Kombination aus Batterien und Wasserstoff können wir die Mobilität nachhaltiger gestalten und die Klimaziele erreichen.
Sozial gerechte Energiewende für alle?
Wie können wir den Klimawandel bekämpfen und die Energiewende sozial gerecht gestalten, also so, dass die Lebensbedingungen und Chancen für alle Menschen in der Gesellschaft annähernd gleich sind? Im besten Fall werden dabei die Perspektiven und die unterschiedlichen Voraussetzungen aller Menschen einbezogen. Relevante Unterschiede können sich entlang vieler Dimensionen ergeben. Beispiele sind Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Alter, Religion, Behinderung oder sexuelle Orientierung. Im Kontext von Klimawandel, Energie und Wasserstoff spricht beispielsweise die EU-Kommission direkt die Gleichberechtigung von Frauen an, indem sie in ihrem Europäischen Green Deal die unterschiedlichen Lebensverhältnisse von Männern und Frauen berücksichtigt.
Energiearmut
Denn Frauen und Männer sind von den Maßnahmen gegen den Klimawandel nicht in gleichem Maße betroffen. So weisen Frauen ein höheres Risiko auf, unter Energiearmut zu leiden. Denn Frauen haben öfter Schwierigkeiten, die Rechnungen für ihre Energiekosten wie Strom oder Gas zu bezahlen, vor allem weil sie häufig immer noch weniger verdienen als Männer. Mit steigenden Energiepreisen aufgrund des Krieges in der Ukraine (Stand September 2022) und der Umstellung auf erneuerbare Energien, die derzeit teurer sind als fossile, wird dieser Gendergap noch größer. Es ist richtig, dass die Politik bei der Umstellung auf eine Wasserstoffwirtschaft diese Ungleichheiten verantwortungsvoll mitdenkt.
Wer gestaltet Energiepolitik?
Der Gendergap bei der Energiearmut ist aber bei Weitem nicht alles: In den Führungsetagen von Energiekonzernen sitzen vornehmlich Männer. Weltweit leiten Männer 94 Prozent der Minister*innenposten, die für nationale Energiepolitik zuständig sind. Nur vier Länder der Europäischen Union hatten 2019 Energieministerinnen.
Gut, dass die EU das schon auf dem Schirm hat. Insbesondere hat sie eine Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter entwickelt und mit konkreten Maßnahmen unterlegt, die sie bis 2025 umsetzen will.
Wasserstoff ja, aber woher und wohin? Der globale Blick
Viele Länder haben die Potenziale von Wasserstoff für Umwelt und Industrie längst erkannt. Woher soll aber der Wasserstoff kommen und wer bekommt diesen zuerst, bis genug für alle da ist?
Um die Klimaziele zu erreichen, müssen alle Regionen und Länder weltweit ihren CO2-Fußabdruck reduzieren. Europa und Deutschland werden klimafreundlichen Wasserstoff aus anderen Regionen importieren müssen, da sie nicht genug selbst produzieren können. Die Suche nach Wasserstoff erfordert, dass wir mit Regionen mit viel Sonne, Wind und freien Flächen wie Australien, Afrika oder Südamerika zusammenarbeiten. Dabei ist es wichtig, auf gerechte Umwelt- und Arbeitsbedingungen zu achten. Wenn wir es richtig anpacken, können wir aus Europa Spitzentechnologie und Know-how exportieren und klimafreundlichen Wasserstoff importieren, während im globalen Süden Jobs und Wohlstand entstehen. Somit macht Wasserstoff uns auch unabhängiger von den wenigen Ländern, die auf Vorkommen von Erdgas und Erdöl sitzen.
Wie verteilen wir den Wasserstoff? Dort, wo am meisten CO2 eingespart wird, oder dort, wo der beste Preis bezahlt wird? Die Frage ist, was hilft dem Planeten am schnellsten?
Martina Merz, CEO Thyssen Krupp AG
Wo liegt also das Problem, warum funktioniert das alles noch nicht? Trotz der theoretisch unendlichen Verfügbarkeit von Wind und Sonne haben wir noch keine ausreichende Wasserstoff-Infrastruktur. Diese müssen wir aufbauen, um Wasserstoff herstellen, speichern und transportieren zu können. Dabei dürfen wir es im Vergleich zu Ländern wie Australien, Japan, Südkorea oder China nicht verpassen, auf den Zug aufzuspringen. Die Frage, wer in Zukunft Zugang zum Wasserstoff hat und davon profitiert, ist noch offen. Daher sind internationale Kooperation und ein fairer Anteil für alle bei diesem geostrategischen Thema von großer Bedeutung.
Was sollte beim Thema Wasserstoff noch passieren?
Was können Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft noch tun, um baldmöglichst in die Wasserstoffwelt zu starten? Wir geben einige Denkanstöße.
Markt und Staat auf dem Weg zur Wasserstoffwirtschaft
Die meisten Wasserstoffprojekte werden außerhalb Europas umgesetzt, da dort mehr Rohstoffe, freie Flächen, Wind und Sonne vorhanden sind. Wenn Europa nicht schnell genug ist, könnte es wichtige Industriezweige verlieren, da Unternehmen in Regionen mit klimafreundlichem Wasserstoff und Rohstoffen wie Eisenerz Stahl und andere Produkte vor Ort produzieren könnten, anstatt diese aus Europa zu importieren.
Wertschöpfung in Europa halten
Die europäische Industrie ist sich dessen bewusst und noch ist Europa ein technologischer Spitzenreiter etwa im Bereich der Elektrolyse. Aber es gibt Herausforderungen bei der Umsetzung von Wasserstoffprojekten in Europa, wie begrenzte Flächen für erneuerbare Energien, wenige Rohstoffe und eine strenge Regulatorik. Europäische Politiker*innen haben jedoch bereits Schritte unternommen, um die Regeln für grünen Wasserstoff zu vereinfachen und die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Herstellerfirmen zu erhalten. Es ist wichtig, dass bedeutende Teile der Wertschöpfung in Europa bleiben und europäische Firmen weiterhin führend im Technologie-Know-how sind.
Hinter dem Wasserstoff-Thema verbirgt sich die größte Business Opportunity des Jahrhunderts – ich schätze, das ist so viel wie bislang Öl und Gas zusammen.
Prof. Dr. Robert Schlögl, Präsident Alexander von Humboldt-Stiftung
Wissenschaft kommunizieren
Forschung ist wichtig, um Fortschritt in Bereichen wie Klimaforschung und Energietechnologien zu erzielen. Wissenschaftler*innen auf der ganzen Welt forschen an effizienteren Elektrolysetechnologien, Rohstoffen, Speicherung und Transport von Wasserstoff. Somit produziert Wissenschaft Wissen und schafft die Basis für Innovationen und technologischen Fortschritt.
Akzeptanz schaffen durch Kommunikation
Es ist wichtig, dass die Wissenschaftskommunikation das produzierte Wissen einfach und verständlich darstellt, damit es von Politik, Industrie und der Gesellschaft genutzt werden kann. Nur wenn die Bevölkerung eine neue Technologie versteht, akzeptiert und ihr vertraut, kann die Energiewende erfolgreich sein. Wissenschaftskommunikation leistet einen Beitrag zur Demokratie, in der alle Menschen informiert sind und auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse gemeinsam Entscheidungen über unsere Zukunft treffen.
Klimaneutraler Wohlstand für die Gesellschaft
Als Bürger*innen einer Demokratie haben wir das Recht und das Privileg, uns jederzeit zu informieren, eine eigene Meinung zu bilden und unsere Stimme bei Wahlen abzugeben. Um die Energiewende und Klimaziele zu erreichen, müssen wir global denken und alle einbeziehen, damit nicht nur einige Länder auf klimafreundlichen Wasserstoff setzen, während anderswo weiterhin schädliche fossile Brennstoffe genutzt werden. Wasserstoff bietet eine Chance für saubere Luft, einen gesunden Planeten, mehr Lebensqualität, und eine gerechtere Verteilung von Wohlstand – sozusagen klimaneutraler Wohlstand für alle.
Mitglieder der Projektgruppe
- Philip Green
Australischer Botschafter in Deutschland - Nikolas Iwan
H2 MOBILITY Deutschland GmbH & Co. KG - Prof. Dr.-Ing. Karsten Lemmer
Vorstandsmitglied DLR, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt - Dr. Wiebke Lüke
Founder & Managing Director WEW GmbH, Water Electrolysis Work - Martina Merz
CEO Thyssen Krupp AG - Prof. Dr. Robert Schlögl (Projektgruppenleiter)
Präsident Alexander von Humboldt-Stiftung - Prof. Dr. Christoph Schmidt
Präsident RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung
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