„Es geht um die Demokratie.“
Für die politische Debatte sind falsche Aussagen von Wissenschaftlern natürlich verheerend. Kann die Wissenschaft da aber nicht selbst als Korrektiv wirken? Das müsste sie ja im langfristigen Eigeninteresse und zur Erhaltung ihrer Glaubwürdigkeit.
Da bin ich leider skeptisch. Sie kann es vermutlich nicht in dem Maße, wie sie es tun müsste.
Zum einen ist die Wissenschaft immer noch stark nach innen orientiert, auch wenn sich das Schritt für Schritt ein wenig ändert, aber trotzdem hat man immer den Kollegen oder die Kollegin im Kopf. Zum anderen ist eine deutlich stärkere Orientierung nach außen eine eher neue Forderung. Natürlich gab es auch früher schon Pressestellen an den Universitäten oder Forschungsinstituten. Diese werden seit geraumer Zeit ja intensiv ausgebaut, hier wird viel investiert. Auch wenn man professionell arbeitet, geht es aber natürlich, wie erwähnt, immer auch um eine möglichst positive Darstellung der eigenen Institution. Selbstkritik lesen Sie fast nie
Die Öffentlichkeitsarbeit der Wissenschaftseinrichtungen kann daher einen kritischen Wissenschaftsjournalismus nicht ersetzen. Sie kann ihn mitunter flankieren. Aber die wirklich kritische Einordnung, auch unter Berücksichtigung gesellschaftspolitischer Diskurse, ist Aufgabe eines unabhängigen Journalismus. Da aber Wissenschaft heute in viele andere Felder hineinragt, müssten Wissenschaftsjournalisten auch in anderen Redaktionsbereichen, wie Wirtschaft, Politik, Außenbeziehungen – selbst im Sport – präsent sein. In Deutschland studieren 50 bis 60 Prozent der jungen Leute nach dem Abitur. Da ist es für mich unverständlich, dass in den großen Nachrichtenredaktionen keine Wissenschaftsjournalisten, also Journalisten mit einer entsprechenden Fachausbildung arbeiten. Wir brauchen viel stärker einen kritischen, hinterfragenden, einordnenden Journalismus, der nicht zwanghaft auf Quote und Auflage ausgerichtet ist. Dies gilt nicht nur für die konventionellen Medien, sondern auch für Social Media. Einen Lösungsansatz für dieses Kommunikations-Dilemma sehe ich in Entwicklungen wie dem Science Media Center, einer Art Wissenschaftsdatenbank von Journalisten für Journalisten.
Selbstverständlich sehe ich die zentrale Rolle des Journalismus beim Aufdecken von Missständen, auch wenn der Journalismus allein keine Macht hat. Erst wenn die Öffentlichkeit auch auf Ungerechtigkeiten und Fehlverhalten sensibilisiert ist und reagiert, entfaltet der Journalismus ja seine Wirkung. Meine Frage daher: Kann der Journalismus in dieser verflochtenen Situation wirklich die notwendige Korrektur bringen? Braucht es nicht auch Maßnahmen im Wissenschaftsbereich selber?
Es braucht sicher auch eine grundsätzliche Neujustierung unseres Wissenschaftssystems. Die DFG hat zwar erste Schritte gemacht, um Reputationsparameter mit weniger kontraproduktiver Wirkung einzuführen. Es gibt Diskussionen über die Grundfinanzierung der Universitäten und die Kommunikationsverantwortlichen haben sich Qualitätsrichtlinien gegeben. Aber das genügt alles nicht. Vor allem bei der Wissenschaftskommunikation muss fundamental neu gedacht werden, denn durch die Digitalisierung haben sich die Rahmenbedingungen komplett verändert. Wie für unsere interne Kommunikation im Bereich wissenschaftlicher Publikationen, wo es Qualitätskontrollen durch Peer Review gibt, brauchen wir adäquate Verfahren der Kommunikation nach außen. Hier sehe ich ein enormes Defizit. Es ist notwendig, Verfahren zu entwickeln, die Qualitätssicherung auch in der Außen-Kommunikation garantieren. Wissenschaft ist gerade in der Außendarstellung der unbedingten Redlichkeit verpflichtet. Es muss faktisch eine Art hippokratischer Eid für alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gelten!
Ohne eine differenzierte evidenzbasierte Kommunikation kann es den mündigen Bürger nicht geben. Aber nur der aufgeklärte und informierte Bürger, der sich eine eigene Meinung bilden kann, ist demokratiefähig. Am Ende steht damit die Demokratie als zentrale Basis der Verfasstheit unserer Gesellschaft in Frage. Es geht daher in der Tat um sehr viel – es geht um die Zukunft unserer demokratischen aufgeklärten Gesellschaft.