Bayern denkt Zukunft – Die Hackathons
Wie möchten junge Erwachsene aus Bayern zukünftig wohnen, arbeiten, sich bewegen und ernähren? Wie soll ihre Region in zirka zehn Jahren aussehen? Im Rahmen des Projekts Bayern denkt Zukunft waren 48 junge Erwachsene in drei virtuellen Regional-Hackathons eingeladen, im beliebten Onlinespiel Minecraft ihre Gedanken zu visualisieren, wie sie die gesellschaftlichen Herausforderungen der nächsten Jahre bewältigen würden. Startpunkt war die sprichwörtliche grüne Wiese, zehn Fragen und möglichst wenig zusätzliche Informationen, um das Denken der Teilnehmenden nicht zu beeinflussen. Das Ergebnis: spannende Einblicke, wie junge Erwachsene öffentliche Diskussionen zu Themen wie Naturschutz, erneuerbare Energien, Ernährung oder Mobilität wahrnehmen und daraus ihre eigenen, durchaus überraschenden Zukunftsvisionen entwickeln.
Gaming gibt Jugendlichen eine Stimme im Zukunftsdialog
Dialog muss vor allem eines sein: Inkludierend! Er muss so viele, diverse Menschen wie möglich aus Bayern umfassen. Junge Menschen, alte Menschen, aus ländlichen und urbanen Regionen, mit unterschiedlicher kultureller und sozialer Herkunft.
Die Meinung von jungen Erwachsenen wird in aktuellen Diskussions- und Entscheidungsprozessen wenig berücksichtigt – obwohl sie am meisten Zukunft vor sich haben. Das liegt nicht nur am Wahlrecht ab 18 Jahren. Jungen Erwachsenen fehlen oft im wahrsten Sinne des Wortes die Worte. Deshalb hat #BayernDenktZukunft einen anderen Weg gesucht, sie am Dialog zur Gestaltung der Zukunft ihrer Region einzubinden – und im Online-Spiel Microsoft Minecraft und dem Hackathon-Format gefunden.
Was sind eigentlich Hackathons?
Der Begriff Hackathon stammt aus dem Englischen und ist eine Kombination der Wörter “Hack” und “Marathon” und beschreibt ein Veranstaltungsformat, in dem sich üblicherweise Software-Entwickler:innen mit Kolleg:innen aus anderen Bereichen wie Grafikdesigner:innen, UI-Expert:innen und Projektmanager:innen treffen, um in sehr kurzer Zeit kollaborativ und funktionsübergreifend eine Aufgabe in der Software-Entwicklung zu lösen.
Das Format ähnelt den sogenannten Design-Sprints (siehe Design Thinking) und kann für jegliche Aufgabenstellung angewendet werden, an deren Ende ein konkretes Ergebnis, ein Produkt oder eine Dienstleistung o.ä. stehen soll. Bekannte Beispiele sind die deutschlandweiten „WirVsVirus“ oder „WirFuerSchule“ Hackathons.
Gaming war das Kommunikationstool der Wahl, das es jungen Menschen ermöglichen sollte, sich in diese Diskussion einzubringen, sich eine Meinung zu bilden und sich in ihrer eigenen „Sprache“ an Innovationsprozessen zu beteiligen.
Wie wollen sie in der Region leben? Wie wollen sie arbeiten und wohnen? Wo und wie begegnen sich Stadt und Land? Wie kann Zusammenhalt funktionieren? Wo sehen sie Chancen für regionale Innovation, wo Herausforderungen?
Hackathons zeigen Bayern in 10 Jahren aus der Sicht von Jugendlichen und jungen Erwachsenen
Viele Lösungen der jungen Teilnehmenden für die anstehenden Herausforderungen sorgten bei den Erwachsenen im Projektteam von acatech und GameLab erst einmal für Fragezeichen. Ihre Erklärungen bei den Ergebnispräsentationen waren oft umso überraschender und ließen ein tiefes Verständnis für Themen wie Umwelt- und Klimaschutz, gesellschaftlichen Zusammenhalt, und technologische Innovationen erkennen – und trotz vieler verschiedener Ideen auch viele Gemeinsamkeiten unter den Jugendlichen.
Wohnen wird nachhaltiger
Gebaut wird platzsparend in Wabenform, klimaschonend nach oben oder energiesparend nach unten – ein ganzer Sportplatz passt ins unterirdische Einkaufszentrum. Auffallend: die Grenzen zwischen ländlicher und urbaner Welt sind in den Augen der Jugendlichen fließend. Die Ideen reichen von “Hobbit-Häusern” über platzsparende wabenförmig angelegte Wohnanlagen bis hin zu Wohntürmen, die ihren Bewohnern Platz für den Obst- und Gemüseanbau geben. Ein Dach ohne Garten und Solarzellen? Wir haben vergeblich danach gesucht – auch auf dem Land! Die Häuser der jungen Erwachsenen vereinen Natur mit Wohnraum: Dachpflanzen sorgen für ein schöneres Siedlungsbild, versorgen Bewohner mit frischer Luft und kühlen die Wohnung an heißen Sommertagen – so der Gedanke.
Mehr Mobilität für alle
Doch nicht nur Wohnräume wurden nachhaltiger konzipiert. Ebenso wünschten sich die Teilnehmenden zukunftsorientierte Mobilitätskonzepte und innovative ÖPNV Systeme, die jeden inkludieren. Wie fragen Sie sich? Ganz einfach! Kurze Wege zum nächsten Verkehrsmittel! Lange Strecken, um Regionen zu verbinden, werden mit Magnetschwebebahnen überbrückt. Drohnen transportieren Güter. In Siedlungen bewegen Fahrräder, Busse oder Seilbahnen Menschen – der ÖPNV ist nahezu kostenlos. Autos kommen nur im Sharing-Modell und mit alternativen Antrieben sehr dosiert vor, während Tankstellen Spinnweben ansetzen. Die Teilnehmenden scheinen eine klare Meinung zu haben: Kollektive Mobilität hat Vorrang vor individueller Mobilität. Übrigens: Über dieses Thema haben wir bereits vor einiger Zeit mit Zukunftsforscher Stephan Rammler gesprochen.
Effizienter Umgang mit natürlichen Ressourcen
Woher kommt die Energie, die wir für die Mobilitätswende und Wohnen brauchen? Auch dazu haben sich die Jugendlichen Gedanken gemacht – und einmal mehr im Laufe der Hackathons bewiesen, dass sie wissenschaftliche, wie auch gesellschaftliche Diskussionen genau verfolgen. Gleich zwei Teams hofften auf einen schnellen Durchbruch bei der Kernfusion als deutlich weniger gefährliche Alternative zur Kernspaltung. Denn viele waren sich nicht sicher, ob erneuerbare Energien ausreichen würden, um den Bedarf zu decken. Diese waren dann auch omnipräsent in allen Welten, angefangen bei Solarenergie, über Wasserkraft bis hin zu Windenergie. Windräder waren in allen Welten eine Selbstverständlichkeit. „Erwachsene sehen darin eine Verschandelung der Landschaft. Ich denke mir jedes Mal, wenn ich es sehe: das ist saubere Energie und rettet die Umwelt!“. Ein Perspektivwechsel wie dieser könnte in vielen aktuellen Diskussionen den Weg weisen.
Ressourcenverbrauch ist nicht nur bei den Themen Mobilität oder Wohnen ein wichtiger Faktor bei der Zukunftsgestaltung für die Jugendlichen. Woher kommen unsere Nahrungsmittel in Zukunft und wie werden sie produziert? Das Problem der Wasserknappheit beim Getreideanbau lösen die jungen Visonäre beispielsweise, indem sie einen „Weizenstadion“ mit geschlossenem Wasserkreislauf bauen. Gemüse und Getreide wachsen aber auch platz- und ressourcenschonen in Farming-Towers, und Selbstversorgung in der lokalen Gemeinschaft steht hoch im Kurs – damit die Transportwege kurz bleiben.
Das Essen der Zukunft – Fleisch, vegetarisch oder vegan?
Setzen die Jugendlichen aber komplett auf Indoor-Farming? Trotz innovativer Alternativen wird es für sie immer noch ein Bayern mit Ackerbau und Viehzucht unter freiem Himmel geben. Allerdings würden ihre Vorstellungen, wie sich die Menschen künftig ernähren, möglicherweise zu Anpassungen führen. Fleisch wird zwar in den Vorstellungen der Jugendlichen auch künftig noch auf den Teller kommen, aber alle Teams waren sich einig, dass die Menschen viel weniger davon essen und es viel mehr Vegetarier geben würde. Statt in Massenhaltung dahinzuvegetieren, bekommen Kühen, Schweine und Hühner in ihren Zukünften reichlich Platz und Pflege.
Neben den nachhaltigen Ernährungsideen warben die jungen Erwachsenen für verpackungsfreie Supermärkte und kluge Einrichtungen wie Metzgereien unter der Erde, da dort weniger Kühlenergie verbraucht würde. Für die Bestäubung der Nutzpflanzen in der Stadt platzierten sie Bienenstöcke nicht nur auf Dächern. Bienen waren quasi omnipräsent in allen Minecraft-Welten. Das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ in Bayern hat offenbar einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen und zeigt, dass Jugendliche politische Diskussionen sehr genau beobachten und ihre eigenen Schlüsse ziehen.
Gaming erweitert den #BayernDenktZukunft Dialog
Das große Engagement der Teilnehmenden, die sich jenseits des Hackathon-Programms teilweise bis tief in die Nacht austauschten und gemeinsam mit sehr viel Liebe zum Detail an ihrer Welt bauten, zeigt eindrucksvoll: Jugendliche wollen nach ihrer Meinung gefragt werden und beteiligen sich gerne an Gestaltungs- und Meinungsbildungsprozessen.
Martina Schraudner, Projektleiterin für Bayern denkt Zukunft bei acatech und Fraunhofer CeRRI, zeigt sich begeistert über die Ergebnisse: „Jugendliche haben einen unverstellten, losgelösten Zugang zu Zukunft und beschreiben, was alles möglich sein kann. Ob es tatsächlich möglich ist, ist erstmal nicht wichtig.“ Ihre Herangehensweise an Herausforderungen bereichere jede Diskussion und könne sogar Lösungswege in festgefahrenen Diskussionen „unter Erwachsenen“ aufzeigen.
Deshalb verschwanden die Hackathon-Ergebnisse – die Ideen der Teilnehmenden, aber auch die Erkenntnisse aus den Gesprächen – auch nicht in der Schublade. Sie wurden im weiteren Verlauf von #BayernDenktZukunft in die Diskussionen mit Vertretern aus regionaler Politik, Wirtschaft und Verwaltung integriert. Damit haben die Hackathons eine weitere zentrale Zielsetzung erreicht: den Teilnehmenden die Möglichkeit zu bieten, sich aktiv an der Weichenstellung für eine Zukunftsgestaltung nach ihren Wünschen zu beteiligen. Alles, was es dazu braucht, sind Kommunikationskanäle, die Jugendliche und junge Erwachsene in ihrer Welt abholen, die sie verstehen und in der sie in ihrer Sprache sprechen können – und Games können einer dieser Kanäle sein.
Mehr zum Projekt Bayern denkt Zukunft finden Sie hier.