Mehr Sicherheit für das Auto der Zukunft – wie werden Fahrerassistenzsysteme entwickelt?
München, 30. März 2023
Automatisiertes Fahren: Wir hören seit Jahren von Fortschritten und Rückschlägen, von Fakten und Mythen. Bei acatech am Dienstag, das am 21. März in Kooperation mit vhs.wissen live stattfand, gab Christoph von Hugo (Daimler AG) einen Überblick über die fünf Stufen der Automatisierung – von nicht automatisierten bis fahrerlosen Fahrzeugen. Anhand von ausgewählten Beispielen vermittelte er den über 350 Teilnehmenden der virtuellen Veranstaltung den aktuellen Stand der Technik und gab einen Ausblick auf künftige Möglichkeiten.
Die Mobilität der Zukunft müsse sich anpassen, viel resilienter sein und veränderte Lebenswelten abbilden, sagte der neu gewählte acatech Präsident Thomas Weber in seiner Begrüßung. Umwelt- und klimapolitische Ziele müssten im Fokus bleiben und die Möglichkeiten der Digitalisierung zur Lösung von Zukunftsfragen genutzt werden. Das Mobilitätssystem der Zukunft müsse bedarfsgerecht, nachhaltig und sicher sein – ohne dass dabei Wohlstand und Innovationsfähigkeit aus dem Blick geraten.
Die größte Motivation, die Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen und dem Automatisiertes Fahren voranzutreiben, sei, den Straßenverkehr sicherer zu machen, sagte Christoph von Hugo, Head of Active Safety bei der Daimler AG, zum Auftakt seines Vortrags. Darüber hinaus biete eine steigende Automatisierung die Chance auf erhöhten Komfort, eine effizientere Nutzung der persönlichen Zeit, nachhaltigere Verkehrsflüsse und langfristig eine Transformation der Mobilität.
Der Weg zum Automatisierten Fahren: Evolution statt Revolution
Der Weg zum Automatisierten Fahren habe eine lange Historie und sei keine Revolution, sondern eine Evolution, sagte Christoph von Hugo. Der Ursprung der passiven Fahrzeugsicherheit liege in den 1950er-Jahren mit der Erfindung der Knautschzone am Auto. Die aktive Sicherheit, die dabei helfen soll, dass Unfälle erst gar nicht entstehen, machte einen großen Schritt vorwärts mit dem “Antilock Braking System” (ABS) Ende der 1970er Jahre. In den 1990er Jahren gab es dann die ersten elektronischen Assistenzsysteme. Seitdem habe die Innovationgeschwindigkeit aufgrund der technischen Möglichkeiten stetig zugenommen. Wichtig sei jedoch, bei aller Ambition nichts zu überstürzen, sondern die Systeme immer mit Blick auf Sicherheit, Beherrschbarkeit und Kundennutzen einzuführen. Der Mensch stehe stets im Mittelpunkt der Entwicklung.
Grundsätzlich gehe es bei allen Systemen nicht um die Bevormundung des Fahrers, sondern um seine Unterstützung – daher auch der Begriff Fahrerassistenzsysteme. So werde bei den Sicherheitssystemen, wie beispielsweise dem Aktiven Brems-Assistent, immer versucht, den Fahrer zu befähigen, die Aufgabe des Fahrens bestmöglich zu erledigen. Über eine entsprechende Eskalationsstrategie werde der Fahrer oder die Fahrerin daher rechtzeitig vor kritischen Situationen gewarnt, bevor im nächsten Schritt das System selbst eingreife.
Die Automatisierungslevel im Überblick
Anschließend ging Christoph von Hugo die von der Society of Automotive Engineers (SAE) definierten sechs Level auf dem Weg zum autonomen Fahren ein. Bei Level 0 liegt keine Automation vor, Level 1 wird als „assistiert“ bezeichnet, dann nimmt der Grad der Automatisierung stetig zu – bis man bei Level 5 per Definition vollautomatisiert, also „fahrerlos“ unterwegs ist.
In Level 1 unterstützen die Fahrerassistenzsysteme (z.B. mit Hilfe von Radar- und Kamerasensoren) über einen längeren Zeitraum entweder in Längs- oder in Querrichtung, der Fahrer oder die Fahrerin ist weiterhin vollumfänglich in der Verantwortung. Zu den Level 1 Assistenzsystemen zählt z.B. der Aktive Abstands-Assistent und der Verkehrszeichen-Assistent. Letzterer kann Tempolimits, Überholverbots- und Stoppschilder erkennen und gegebenenfalls warnen, wenn der Fahrer zu schnell auf eine rote Ampel zufährt. Aufmerksamkeits-Assistenten sorgen für akustische und optische Warnungen bei zunehmenden Anzeichen von Müdigkeit oder Unaufmerksamkeit. Durch die Car-to-X-Kommunikation wiederum werden durch einen Informationsaustausch mit anderen Fahrzeugen Gefahrenstellen frühzeitig, beispielsweise auch hinter Kurven und Kuppen, gemeldet. Moderne Scheinwerfersysteme führen darüber hinaus nicht nur zur Verbesserung der Ausleuchtung der Straße, sondern können sogar unterstützende Symbole auf die Straße projizieren.
Eine Koppelung von Längs- und Querführung, also aktiver Abstandshaltung und aktiver Lenkunterstützung findet man in Automatisierungslevel 2. Der „Aktive Abstands-Assistent“ wird dann erweitert mit dem „Aktiven Lenk-Assistenten“: Dieser Assistent unterstützt bei der Spurführung, lenkt also leicht mit, vorausgesetzt die Hände sind am Lenkrad. Auf Basis verschiedener Sensordaten, die auf einem zentralen Steuergerät verarbeitet werden, werden unter anderem der Antriebsstrang und die Lenkung angesteuert und der Fahrer oder die Fahrerin bestmöglich unterstützt, um den Komfort sowie die Sicherheit zu erhöhen. Durch intelligente Nutzung von Kartendaten kann dabei auch die Geschwindigkeit vorausschauend vor Kurven, Kreuzungen, oder Kreisverkehren angepasst werden. Der Aktive Spurwechsel-Assistent unterstützt beim Spurwechsel, um zum Beispiel beim Auflaufen auf einen langsameren Verkehrsteilnehmenden ein Überholmanöver einzuleiten. Ebenfalls zu den Level 2-Systemen zählt der Remote Park Assistent, bei dem der Fahrer mittels einer App den Parkvorgang des Autos von außen steuern kann.
Auf Level 3 wird der Fahrer erstmals in gewissen Situationen, zum Beispiel bei stockendem Autobahnverkehr, von der Fahraufgabe entlastet. Damit dies funktioniert, ist unter anderem ein LiDAR (ein Laserscanner, der den Bereich vor dem Fahrzeug erfasst und damit die Daten von Radarsensoren und Kameras ergänzt) notwendig. Darüber hinaus kommen hier ein Nässesensor am Radkasten, eine hochgenaue Positionierungstechnologie und eine redundante Systemarchitektur bei Lenkung, Bremse und Bordnetz zum Einsatz.
Wenn Level 3 aktiv ist, kann sich der Fahrer oder die Fahrerin bestimmten Nebentätigkeiten zuwenden, zum Beispiel während der Fahrt arbeiten, im Internet surfen oder Filme anschauen, während das Fahrzeug den umgebenden Verkehr überwacht. Er oder sie darf allerdings nicht schlafen, sondern muss wahrnehmungsbereit sein und bei Bedarf unverzüglich die Fahraufgabe übernehmen. Dieses hochautomatisierte Fahren ist derzeit nur auf Autobahnen mit einem Vorausfahrer bei bis zu 60 km/h und bei gut erkennbarer Fahrbahnmarkierung möglich, um bei dieser nun erstmals in Serienfahrzeugen verfügbaren Technologie höchstmögliche Sicherheit zu gewährleisten. Bei Dunkelheit oder widrigen Wetterverhältnissen ist sie derzeit noch nicht anwendbar.
Auf Level 4 steigt der Komplexitätsgrad nochmal deutlich an: hier darf sich ein Fahrzeug erstmals räumlich limitiert unter genau definierten Umständen ohne Fahrer bewegen. Das aktuell einzige Serienprodukt für private Kunden ist ein integriertes Parksystem, das in speziell ausgestatteten Parkhäusern zum Einsatzkommen kann und das es dem Fahrer oder der Fahrerin ermöglicht, das Fahrzeug in einer „Drop-off-Zone“ abzugeben und es hier auch später wieder zu übernehmen. Das Fahrzeug parkt auf Anforderung fahrerlos ein.
Der höchste Grad der Automatisierung ist bei Level 5 erreicht: Hier ist das Fahrzeug in der Lage, in allen Verkehrssituationen fahrerlos zurecht zu kommen. Manche Personen charakterisieren das Level mit dem Begriff der Robotaxis. Level 5 bezieht sich auf den Bereich des Autonomen Fahrens, in dem es in den letzten Jahren große Fortschritte gab.
Insgesamt würden sich höhere Automatisierungsgrade im Straßenverkehr mehr und mehr durchsetzen, so Christoph von Hugo. Mit den Assistenzsystemen des Automatisierungslevels 3 lasse sich schon heute die Zeit im Autobahnstau besser nutzen. Diese und andere Vorteile würden der Technik des Automatisierten Fahrens letztlich zum Durchbruch verhelfen.
Vortragsfolien „acatech am Dienstag: Mehr Sicherheit für das Auto der Zukunft“