Industrie 4.0, Smart Services, Lernende Systeme: Digitalisierung nutzen und im Sinne des Menschen gestalten
Digital & Selbstlernend
Industrie 4.0, Smart Services, Lernende Systeme: Digitalisierung nutzen und im Sinne des Menschen gestalten
Die Digitalisierung ist ein Megatrend unserer Zeit – und dennoch kein neuer Trend. So wurde das Mooresche Gesetz, das besagt, dass sich die Prozessorleistung alle anderthalb Jahre verdoppelt, bereits 1965 formuliert. Für einige markiert dieses Jahr deshalb den Anfang einer erneuten, einer dritten industriellen Revolution – mit der die Digitalisierung ihren Anfang nahm.
Der dritten industriellen Revolution ist mittlerweile eine vierte gefolgt: Seit einigen Jahren wird in diesem Zusammenhang von der „Industrie 4.0“ gesprochen – ein Konzept, das einst als Idee von acatech entworfen wurde und sich heute zu einem internationalen Markenzeichen entwickelt hat. Das Konzept beschreibt die zweite Welle der Digitalisierung und lässt sich mit den Schlagwörtern smart, hypervernetzt und autonom auf den Punkt bringen: Autos, Züge, Schiffe, Flugzeuge, Maschinen, Container, Verkehrsinfrastrukturen – überall werden mit Hilfe von Sensoren Daten erhoben, die wiederum automatisch weitergeleitet und ausgewertet werden. Das „Internet der Dinge“ breitet sich aus.
Der Begriff ‚Industrie 4.0‘ wurde einst in einem acatech Büro
zum ersten Mal in den Mund genommen. Heute ist er international bekannt – selbst in China schreibt man Industrie 4.0 übrigens mit „ie“! Mit dem Industrie 4.0 Maturity Index hat acatech ein Instrument entwickelt, das Unternehmen den Weg in die digitale Zukunft weisen soll.
Dieter Spath
Smart Services made in Germany
In rasantem Tempo verändert das Internet der Dinge unsere Arbeits- und Lebenswelt – und setzt neue Spielregeln für die Wirtschaft. Klassische angebotsgetriebene Geschäftsmodelle haben ausgedient. Die Zukunft gehört Plattformmärkten, die dem Nutzer auf seine individuellen Präferenzen zugeschnittene Produkte und Dienstleistungen (Smart Services) zum Preis eines Massenprodukts anbieten: Webseiten, auf denen nicht nur die passende Urlaubsunterkunft, sondern auch gleich noch der Flughafentransfer oder eine Exkursion gebucht werden können, zeigen auf, wie Kunden und Anbieter im digitalen Zeitalter zusammenfinden können.
Um auf die Potenziale von Plattformmärkten hinzuweisen, hat acatech das Thema bereits 2014 auf die innovationspolitische Agenda der Bundesregierung gehoben und ein Zukunftsprojekt „Smart Service Welt“ empfohlen. Ein Jahr später waren die Smart Services Gegenstand des Innovationsdialogs mit der Bundesregierung. Zur Hannover Messe 2017 erschien schließlich ein Wegweiser, der anhand von Praxisbeispielen deutlich macht, wie Unternehmen die Transformation zum Anbieter von Smart Services gestalten können. Die Nachfolgepublikation „Smart Service Welt 2018“ wurde zur CEBIT 2018 vorgestellt. Um theoretische Grundlagen, branchenübergreifendes Orientierungswissen und Praxisbeispiele zu digitalen Geschäftsmodellen und der Plattformökonomie zu vermitteln, startete acatech im Jahr 2018 zudem den MOOC „Smart Service Welt“, der in Deutsch und Englisch kostenlos abgerufen werden konnte.
Daten sind für Smart Services grundlegend – das gilt auch für Autonome und Lernende Systeme, die auf Künstlicher Intelligenz (KI) basieren und in den letzten Jahren immer häufiger zum Einsatz kommen. Experten prognostizieren, dass KI bis 2030 für eine zusätzliche Wertschöpfung in Höhe von über 1 500 Mrd. Dollar sorgen wird. acatech hat daher schon vor einiger Zeit im Hightech-Forum der Bundesregierung ein Zukunftsprojekt zum Thema KI angeregt und den Abschlussbericht „Fachforum Autonome Systeme“ 2017 auf der CEBIT an die Bundeskanzlerin Angela Merkel übergeben.
Anwendung findet KI in intelligenten, selbstfahrenden Autos, um den Verkehr sicherer zu machen; in smarten Gebäuden, die mehr Sicherheit, Komfort und Entlastung bieten sollen und darüber hinaus weniger Energie benötigen. Auch in der medizinischen Diagnostik wird sie genutzt:
Auf KI basierende medizinische Messgeräte wie MRTs und CTs können bei der Aufnahme von einem gebrochenen Schlüsselbein gleichzeitig verlässliche Hinweise geben, ob es andere potentielle Erkrankungen im Umfeld gibt, ohne Verzögerung und ohne Zusatzkosten.
acatech Präsident Karl-Heinz Streibich
Bei der Plattform Lernende Systeme laufen die Fäden zusammen
Die 2017 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) auf Anregung von acatech gegründete Plattform Lernende Systeme bündelt die in Deutschland vorhandene Expertise zu Künstlicher Intelligenz. Sie versteht sich als ein Ort des Austauschs und der Kooperation und vereint rund 200 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. In sieben thematischen Arbeitsgruppen erarbeiten sie konkrete Anwendungsszenarien für Lernende Systeme. Sie diskutieren Geschäftsmodelle, Qualifizierungsbedarfe, die Interaktion zwischen Mensch und Maschine sowie rechtliche, ethische und sicherheitsbezogene Fragen. Aus ihren Erkenntnissen leiten sie Empfehlungen und Roadmaps ab.
Lernende Systeme sind nur eine weitere Spielart der Digitalisierung, die in den kommenden Jahren enorme Auswirkungen auf unser Leben haben wird. Die Digitalisierung wird also ein Megatrend bleiben – acatech möchte Politik und Gesellschaft beraten, diesen Trend zu verstehen und für sich zu nutzen.
Über Daten und Souveränität
Künstliche Intelligenz bestimmt das Geschäft in der nächsten Phase der Digitalisierung. Um KI-basierte Geschäftsmodelle oder Services zu entwickeln, benötigen Firmen große Datenmengen aus verschiedenen Quellen.
Amerikanische B2C-Plattformen wie Google, Facebook oder Amazon können diese großen Mengen an Daten sammeln und verwerten – auch in Europa. Sie sind auch deshalb die Gewinner der ersten Halbzeit der Digitalisierung. „Diese nachteilige Situation müssen wir überwinden: dass bei uns vieles verboten und überreguliert ist, während die globalen digitalen Champions mit unseren Daten Dinge tun, auf die wir wenig Einfluss haben“, forderte deshalb acatech Präsident Karl-Heinz Streibich kürzlich in einem Gastbeitrag in der NZZ.
acatech unterstützt deshalb auf dem Weg hin zu einer europäischen Datensouveränität folgende Initiativen:
Gaia-X: Die Initiative zielt auf digitale Souveränität bei Cloud-Infrastrukturen und für die Plattformökonomie. Gaia-X fokussiert auf den Aufbau einer leistungs- und wettbewerbsfähigen, sicheren und vertrauenswürdigen Dateninfrastruktur für Europa. Am Aufbau sollten europäische und weltweite Unternehmen zusammenwirken – nach europäischen Regeln. acatech Präsident Karl-Heinz Streibich hat sich Gaia-X in einem LinkedIn-Gastbeitrag näher gewidmet.
European Public Sphere: Die Initiative fordert eine Infrastruktur für digitale öffentliche Dienste in Bereichen wie Bildung, Medien und Verwaltung. Eine Projektgruppe um Henning Kagermann und Ulrich Wilhelm hat die Idee eines solchen digitalen Ökosystems, das europäischen Werten wie Offenheit und Vielfalt folgt, vor kurzem ausformuliert. Hier gehts zur Pressemitteilung.