acatech am Dienstag: Brauchen wir Kunstfleisch?
München, 11. Dezember 2018
Leidende Tiere in Ställen und Schlachthöfen, die Rodung von Wäldern, enormer Wasserverbrauch und Ausstoß von Treibhausgasen – übermäßiger Fleischkonsum hat negative Folgen für Mensch, Tier und Umwelt. Wenn jeder Einzelne weniger Fleisch- und Wurst essen würde, wäre das ein direkter Beitrag zum Tier- und Umweltschutz. Darin stimmten Gisela Sengl, Abgeordnete der Grünen im Bayerischen Landtag, der Lebensmitteltechniker Peter Eisner sowie Marc-Denis Weitze aus der acatech Geschäftsstelle am 11. Dezember bei acatech am Dienstag in München überein.
Die Art und Weise, wie wir essen, sei eine der zentralen Fragen unserer Zeit, sagte Gisela Sengl, ernährungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bayerischen Landtag. Denn Essen berühre Gesellschaft, Gesundheit, Kultur, Wirtschaft und Umwelt gleichermaßen. Beispielsweise stünden derzeit rund die Hälfte der globalen Treibhausgasemissionen in Verbindung mit der Lebensmittelproduktion, davon wiederum 70 Prozent direkt mit der Erzeugung tierischer Produkte.
„Grundsätzliches Umdenken statt Kunstfleisch“
Schon heute essen die Menschen in Industrienationen dreimal so viel Fleisch wie noch vor 45 Jahren. Es sei wichtig, dass jeder Einzelne umdenke und weniger Fleisch und Wurstwaren esse, appellierte Gisela Sengl. Künstlichem Fleisch aus dem Labor begegnete sie skeptisch. Die Ernährungskrise könne man lösen, ohne auf künstliches Fleisch zurückgreifen zu müssen, sagte sie. Dem Fleisch aus der Petrischale gestand sie dennoch einen Vorteil zu: dass es den Wünschen und Bedürfnissen der Verbraucher bezüglich des Fettgehaltes, der Zusatzstoffe und der Konsistenz angepasst werden könne.
Positiv stimmten die Landtagsabgeordnete Umfragen unter Konsumenten: So seien laut einer Umfrage des Bundeslandwirtschaftsministeriums 90 Prozent bereit, zugunsten des Tierwohles höhere Lebensmittelpreise zu bezahlen. Bessere Standards, Transparenz und einen schonenden Umgang mit Ressourcen in der Lebensmittelproduktion forderte jeweils mehr als ein Drittel der Befragten ein. Laut Sengl möchten immer mehr Menschen sich und ihre Familien bewusst, gesund und nachhaltig, mit Produkten aus der Region und aus ökologischem Anbau, versorgen. Allerdings thematisierte sie auch die Kluft zwischen Wünschen, Wissen und Handeln.
Wenig Flächenverbrauch und Treibhausgase
Marc-Denis Weitze, Leiter Technikkommunikation in der acatech Geschäftsstelle, erläuterte den biotechnologischen Herstellungsprozess des Kunstfleisches: Einem lebenden Tier werden Muskelstammzellen entnommen. Im Labor vermehren sich diese Zellen in einer Nährlösung aus Zucker, Aminosäuren, Mineralstoffen und Vitaminen; gefüttert mit Kälberserum wachsen weitere Stammzellen heran. In Bioreaktoren bilden sich, wenn alles funktioniert, Muskelfasern aus. Weil aus einer einzigen Muskelzelle Unmengen an Zellen wachsen können, müssten für das Schnitzel oder den Burger künftig keine Tiere mehr geschlachtet werden. Moralisch unbedenklich ist die Fleischalternative derzeit aber keineswegs: für das Wachstumsserum müssen noch Tiere getötet werden. Dir Forschung arbeitet an Alternativen; marktreif ist der Burger aus der Petrischale längst noch nicht.
Dazu schneide das Kunstfleisch in puncto Energiebilanz nicht so positiv ab wie noch vor ein paar Jahren ermittelt, sagte Marc-Denis Weitze. Auch die Zahlen zum Wasserverbrauch mussten nach oben korrigiert werden. Positive Aspekte der Kunstfleischproduktion seien, dass weniger Fläche verbraucht und deutlich weniger Treibhausgase ausgestoßen werden als in der Fleischproduktion. Der Chemiker sprach sich dafür aus, die Laborerzeugung weiter zu verbessern. Sie habe global betrachtet erhebliches Marktpotenzial und eröffne faszinierende Möglichkeiten, den Geschmack und die Textur zu gestalten.
Pflanzliche Proteine als Alternative zu Fleisch
„Brauchen wir wirklich Kunstfleisch?“ diese Frage stellte Peter Eisner, stellvertretender Leiter des Fraunhofer-Instituts für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV. Als Alternative präsentierte er stattdessen eine ganzheitliche Nutzung von Agrarrohstoffen und den vermehrten Einsatz von Pflanzenproteinen. Mit den zehn energiereichsten Agrarprodukten hätten sich 2013 bereits 15 Milliarden Menschen mit ausreichend Kalorien versorgen können. Jedoch würden viele Pflanzen und Früchte oder deren Bestandteile entsorgt, weil sie den Anforderungen der Märkte nicht genügten. Ziel müsse es laut Eisner sein, alle Bestandteile von Pflanzen hochwertig für die menschliche Ernährung nutzbar zu machen.
Der Verfahrenstechniker erläuterte, dass tierische Proteine aus pflanzlichen Proteinen „nachgebaut“ werden können. So hat er gemeinsam mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Proteine aus Lupinenstauden hergestellt, die beispielsweise die Basis für fleischähnliche Nahrung oder pflanzlichen Joghurt bilden können. Die pflanzlichen Stoffe ermöglichten nicht nur eine ausgewogenere Ernährung, sondern benötigten deutlich weniger Anbaufläche als die gleiche Menge tierischer Nahrung. Verbraucher würden die Produkte jedoch nur nachfragen, wenn deren Genuss mit dem der Tiererzeugnisse vergleichbar sei, sagte Peter Eisner. Deswegen plädierte er dafür, verstärkt in die Aromaforschung zu investieren.
Martina Schraudner, acatech Vorstand, moderierte die Veranstaltung.