Wer sind wir? – Vom Wandel der Technik und der Zukunft des Menschen
München, 31. Januar 2022
Führen Digitalisierung und Biotechnologie dazu, dass die Technik zunehmend zum Subjekt und der Mensch selbst dabei immer mehr zum Objekt wird? Bei acatech am Dienstag am 25. Januar gingen Experten aus diesen Feldern und aus den Reflexionswissenschaften der Frage nach, wie die Technik, die wir schaffen, unser Selbstverständnis und unser Menschenbild prägt.
“Wer einen Hammer hat, für den sieht die ganze Welt aus wie ein Nagel. Technik, die uns zur Nutzung einlädt, verändert uns.” So führte Moderator Armin Grunwald vom Karlsruher Institut für Technologie in die Veranstaltung ‚Wer sind wir? – Vom Wandel der Technik und der Zukunft des Menschen‘ ein, die in Kooperation mit der Katholischen Akademie in Bayern stattfand. Beginnen wir im Zeitalter der Digitalisierung, uns selbst als datenverarbeitenden, biologische Maschinen zu betrachten? Wie verträgt sich solch ein Bild mit Ideen von Freiheit und Autonomie? Mit diesen Fragen eröffnete Armin Grunwald das Feld für die Referentinnen und Referenten, die die Forschungsfelder der Robotik und der Biotechnologien in jeweils einem Tandem aus technikwissenschaftlicher und geisteswissenschaftlicher Perspektive beleuchteten.
Technologie zwischen Golem und Marssonde
Sami Haddadin vom Lehrstuhl für Robotik und Systemintelligenz an der TU München und Gründungsdirektor des Munich Institute of Robotics and Machine Intelligence (MIRMI) forscht auf den Gebieten der Robotik, künstlichen Intelligenz (KI) und der motorischen Intelligenz des Menschen. In seinem Impulsvortrag unterbreitete er dem Publikum die These, dass die großen Herausforderungen unserer Zeit nur durch den flächendeckenden Einsatz disruptiver Technologien gemeistert werden könnten. Dafür sei gesellschaftlich ein chancenorientierter Blick auf Technologie notwendig, der Raum für verantwortungsvollen und bewussten Umgang mit Risiken schaffe. Diese müsse sowohl symbiotisch mit Mensch und Umwelt agieren, als auch dem Streben nach Erkenntnis dienen. Durchbrüche in der Sensorik seien dabei ein Schritt, den Handlungsspielraum des Menschen von seiner körperlichen Ausdehnung zu entkoppeln und räumlich aufzuheben. Dies eröffne nie dagewesene Handlungsspielräume, sowohl in praktischen Bereichen wie der Prothetik oder Chirurgie, als auch in der Forschung, zum Beispiel im Weltraum oder in der Tiefsee.
Olivia Mitscherlich-Schönherr, Dozentin für philosophische Anthropologie an der Münchner Hochschule für Philosophie, antwortete auf diesen Vortrag aus geisteswissenschaftlicher Perspektive: Technologien seien keine wertneutralen Werkzeuge, die ihre Bedeutung für das menschliche Leben erst durch ihre Nutzung gewinnen. Vielmehr seien Technologien von den Menschenbildern und den ethischen Vorstellungen über ein gutes Leben ihrer Macherinnen und Macher durchdrungen. Technischer Fortschritt könne neuartige Formen menschlichen Lebens – etwa neue Therapieformen – ermöglichen. Er berge aber auch Risiken. Technologien, die unter Marktbedingungen beauftragt, entwickelt und flächendeckend genutzt werden, können bestimmte Lebensformen dominant werden lassen und alternative Lebensformen verdrängen.
Die Diskussion mit dem Publikum drehte sich um die Fragen, inwiefern Künstliche Intelligenz uns dabei helfen kann, uns selbst besser zu verstehen, und wie groß der Umbruch durch die Digitalisierung im Kontext der Menschheitsgeschichte wirklich ist. Im Prinzip sei die digitale Revolution nicht dramatischer als die neolithische oder industrielle Revolution, argumentierte Wolfgang König. Dem setzte Sami Haddadin entgegen, dass die Veränderungen vielleicht nicht größer, aber doch die Zeitspanne des Wandels deutlich kompakter sei. Grund hierfür sei laut Sami Haddadin vor allem die Infrastruktur für Wissen, die das Internet darstelle. Die individuelle Wahrnehmung von Schnelllebigkeit und konstanter Disruption bliebe dabei dennoch eine Illusion, die die inkrementelle Natur des wissenschaftlichen Fortschritts ignoriere. Für Mitscherlich-Schönherr ist diese verzerrte Wahrnehmung vor allem auf unsere Art des Wirtschaftens zurückzuführen.
Der Mensch als Schöpfer und Designer
Den zweiten Teil des Abends eröffnete Anke Becker, die Mikrobiologie an der Philipps-Universität Marburg lehrt und Direktorin des Zentrums für Synthetische Mikrobiologie (SYNMIKRO) ist. Mit ihrem Team entwickelt sie synthetisch-biologische Verfahren zur Genomeditierung von Bakterien und forscht zu Design und Konstruktion von Plattform-Mikroorganismen. In ihrem Impulsvortrag stellte sie die Potenziale von Biotechnologien im Bereich der Gesundheit, Industrie, Landwirtschaft und Umwelt vor. Biotechnologien stellten immer einen Eingriff in komplexe Gesamtsysteme dar. Anke Becker betonte, dass der Einsatz dieser Technologien daher immer im Hinblick auf ihren Einfluss auf das gesamte Ökosystem betrachtet werden müsste. Dabei müsse auch die Nicht-Nutzung einer Technologie eine Handlungsoption darstellen.
İlhan İlkılıç, Dekan der Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften an der Türkisch-Deutschen Universität Istanbul, forscht im Bereich der interkulturellen Bioethik und Medizinethik, ethische Fragen am Lebensende und Lebensanfang sowie KI-Ethik in der Medizin. Er betonte, dass technologische und auch medizinische Praktiken immer im Kontext eines bestimmten Menschenbilds betrachtet werden müssten. Beispielsweise sei die Hirntod-These in der Medizin abhängig von der Idee, dass unser Menschsein im Bewusstsein verortet sei, das mit der Einstellung von Hirnaktivitäten verloren gehe. Es sei wichtig zu verstehen, dass Menschenbilder kulturell bedingt und daher sehr unterschiedlich seien. Ein Import von Algorithmen sei daher grundsätzlich auch ein Import von Werten.
Die anschließende Diskussion thematisierte, welches Wertesystem Biotechnologien zugrunde liegen sollte. Die entscheidende Frage in diesem Zusammenhang sollte also gar nicht lauten „Wer sind wir?“, sondern viel mehr: „Wer wollen wir denn sein?“
Expertinnen und Experten im Interview mit acatech:
Ist Technik die Zukunft der menschlichen Natur?
Veröffentlicht am 24.2.2022
Dauer: 6 Minuten 50 Sekunden