acatech HORIZONTE trifft Interaktionsdesign: Der Nachhaltigkeitsfinder
München, 2. Dezember 2019
Fleisch zu Discounterpreisen, vielerorts um das wirtschaftliche Überleben kämpfende Landwirte, Rückgang der Artenvielfalt, … In der heutigen Landwirtschaft gibt es an vielen Stellen ungelöste Probleme und Zielkonflikte. Wie können diese Konflikte zwischen Gesellschaft, Politik und Landwirtschaft veranschaulicht und bestenfalls gelöst werden? Diese Frage stellen sich die acatech HORIZONTE und mit ihnen zwei Interaktionsdesigner, die Zielkonflikte und mögliche Lösungswege haptisch erlebbar werden lassen.
Im Dezember publiziert acatech die dritte Ausgabe der Publikationsreihe acatech HORIZONTE. Diesmal geht es um das Thema nachhaltige Landwirtschaft. Die Ausgabe will unter anderem ein Bewusstsein dafür schaffen, dass nachhaltige Landwirtschaft nicht nur „gut für die Umwelt“ bedeutet, sondern drei gleichwertige Dimensionen hat: Sie muss gesellschaftlich akzeptiert/sozial verträglich, ökologisch ausgewogen und ökonomisch tragfähig sein. Erst, wenn die Biodiversität und andere Umweltziele während des Lebensmittelanbaus gewahrt wurden, für Landwirte langfristig ein angemessener Lebensunterhalt gesichert ist und die Art der Produktion auch die Zustimmung der Gesellschaft findet, gilt die Maxime der Nachhaltigen Landwirtschaft als erfüllt. Das ist zwar grundsätzlich möglich, geht meist jedoch nicht ohne Kompromisse. Aufgrund von Interessens- und Zielkonflikten zwischen den Akteuren besteht in der allgemeinen Wahrnehmung aktuell kein Gleichgewicht zwischen den Dimensionen.
Konsum von preisgünstigem Fleisch – ein Zielkonflikt
Fleisch wird von der Bevölkerung nach wie vor in recht hohen Mengen und zu günstigen Preisen konsumiert. Die Produktion von Fleisch ist jedoch verbunden mit einem hohen Ressourcenbedarf an Flächen, Wasser und Nährstoffen. Sie führt zu Gülle und schädlichen Emissionen wie Methan. Der Wunsch nach günstigen Marktpreisen kollidiert zudem mit Fragen des Tierwohls, die Gewinnspannen der Landwirte sind ebenfalls gering. Diese Konsequenzen liegen aber eigentlich nicht im Interesse der Gesellschaft.
Mit der steigenden räumlichen Distanz zwischen der Landwirtschaft und einem Großteil der Bevölkerung in den Städten wächst auch die emotionale Distanz. Das Verständnis füreinander sinkt.
Alexandra Heimisch-Röcker, acatech
Häufig kennen Konsumenten die Hintergründe der angebotenen Produkte nicht genügend, um wirklich nachhaltig zu konsumieren. Dieser Effekt wird verstärkt durch die zunehmende räumliche Distanz zwischen Stadt- und Landbevölkerung. Um die Probleme zu lösen und die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit abzuwägen, bedarf es eines konstruktiven Dialogs, der zu einem strategiegeleiteten Handeln aller Akteure führt. Erst so können die aktuellen und zukünftigen Bedürfnisse kommuniziert und Lösungen gefunden werden.
Der Nachhaltigkeitsfinder – Zielkonflikte erlebbar machen
Um einen Weg zu finden, den Balanceakt in der Entscheidungsfindung zwischen den Akteuren für jede und jeden haptisch erfahrbar zu machen, tat sich acatech mit dem Designer-Kollektiv Gosia Lehmann und Valerian Blos zusammen. Herausgekommen ist dabei das Diskussionsobjekt „Der Nachhaltigkeitsfinder“.
Wie aber wurde sich seitens des Kollektivs der Aufgabenstellung angenähert? „Dem Themenkomplex Landwirtschaft wurde in den letzten Jahren enorme Aufmerksamkeit aus allen Richtungen zuteil. Bei Streitthemen wie zum Beispiel Klimawandel, GMO (Genetisch veränderte Organismen) oder Tierwohl scheiden sich die Geister. Wir haben nach einer anschaulichen Metapher gesucht, die sich als Gestaltungsprinzip nutzen lässt und diese Problematik spielerisch auflösen kann. Die Idee, die Entscheidungsfindung als Balanceakt darzustellen, war daher für uns schnell einleuchtend“, so die Designer.
Wie funktioniert der Nachhaltigkeitsfinder?
Die Aufgabenstellung des Ausstellungsobjektes an die Teilnehmenden lautet nun, ein Gleichgewicht zwischen allen Akteuren in einem exemplarischen Konfliktszenario herzustellen. So soll die Komplexität der Konflikte deutlich gemacht, aber auch Lösungen aufgezeigt werden. Landwirte, Konsumenten und die Politik sollen gleichberechtigt zu Wort kommen und sich an einem, wortwörtlich, runden Tisch versammeln.
Das runde Spielfeld ist auf einer Halbkugel angebracht und reagiert daher sehr empfindlich auf Gewichtsänderungen. Zu Beginn wird eine Figur mittig platziert. Diese symbolisiert einen Zielkonflikt und hat wiederum ein eigenes Initialgewicht, welches das Spielfeld aus der Balance bringt. Jetzt müssen die Teilnehmer gemeinsam Argumente wählen und platzieren – bis das Gleichgewicht wiederhergestellt ist. Durch Platzieren der Argumente auf dem Spielfeld, verschiebt sich die Balance in jeweils eine Richtung und muss von der Gegenseite ausbalanciert werden. So lässt sich spielerisch ein „Goldener Weg“ finden und eine Strategie entdecken, die alle Seiten gleichberechtigt zu Wort kommen lässt. In einem Dialog entscheiden Teilnehmer gemeinsam, wie schwer das jeweilige Argument gewichtet werden soll. Es kommt daher auf Fingerspitzengefühl und lösungsorientiertes Denken im Dialog mit den anderen Teilnehmern an.
Den Teilnehmern soll dabei vor allem eines bewusst werden: Jeder entlang der Wertschöpfungskette, also Landwirtschaft-Betreibende, Agrarindustrie, Handel und Lebensmittelindustrie sowie Verbraucherinnen und Verbraucher trägt Verantwortung bei der Umsetzung einer nachhaltigen Landwirtschaft. Nicht zuletzt sind auch Politik und zivilgesellschaftliche Akteure wie Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutz- sowie Nichtregierungsorganisationen (NGOs) gefordert.
Ansehen und Ausprobieren
Das erste Mal angesehen und ausprobiert werden kann „Der Nachhaltigkeitsfinder“ auf dem acatech HORIZONTE – Nachhaltige Landwirtschaft Veröffentlichungsevent am 03. Dezember 2019 in München sowie am 20. Januar 2020 auf der Farm & Food 4.0 in Berlin. In der Zwischenzeit wird das Ausstellungsobjekt in der acatech Geschäftsstelle am Karolinenplatz 4, 80333 in München der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Über das Desginer-Kollektiv: Gosia Lehmann und Valerian Blos
Seit 2016 arbeiten Gosia Lehmann und Valerian Blos gemeinsam als Kollektiv mit den Schwerpunkten Interaktionsdesign, Ausstellungsgestaltung und spekulativen Szenarien. Hier setzen sie sich, meist spielerisch, mit aktuellen Konflikten in den Grauzonen zwischen Forschung, Design und Gesellschaft auseinander.
Gosia Lehmann studierte am Central Saint Martin College London sowie an der Universität der Künste Berlin Visuelle Kommunikation. Ihre Schwerpunkte sind experimentelle Drucktechniken, Illustration sowie Performances mit Radio und Audiovisuelle Medien.
Valerian Blos arbeitet außerdem als Mentor und Workshop-Spezialist in der Kunst und Technologie Vermittlung für Kinder und Jugendliche — zum Beispiel für die „Staatliche Museen zu Berlin“. Er studierte Visuelle Kommunikation (M.A.) an der Universität der Künste mit Schwerpunkt New Media.
acatech dankt dem Designer-Kollektiv Gosia Lehmann und Valerian Blos sowie der Konstrukteurin Chen Hsiang Fu herzlich für die wertvolle Zusammenarbeit.