Die digitale Vermessung des Fußballs
![ZDF-Fernsehexpertin Kathrin Lehmann (Sportbusiness Campus), Moderator Tim Frohwein (acatech Geschäftsstelle), Alexander Altenhofen (DFL Digital Sports), Boris Otto (Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik ISST Dortmund) und acatech Präsident Jan Wörner [oben links nach unten rechts]. (Foto: Shutterstock/janews)](https://www.acatech.de/wp-content/uploads/2023/02/News-Foto-aaD-Fussball_1000x700.jpg)
München, 10. Februar 2023
Die Auswertung und wirtschaftliche Nutzung von Daten – auch Datenökonomie genannt – verändert den Fußball. Seit 2020 setzt beispielsweise die Deutsche Fußball Liga (DFL) auf Cloud-Computing-Services, um Leistungsdaten von Bundesliga-Spielern in Echtzeit zu erfassen und zu analysieren. Was sind die Folgen für Trainerinnen und Trainer sowie Spielerinnen und Spieler? Welchen Mehrwert haben die Daten für Fans und Zuschauende? Diese und andere Fragen diskutierten ZDF-Fernsehexpertin Kathrin Lehmann, Datenökonom Boris Otto und DFL-Manager Alexander Altenhofen bei acatech am Dienstag am 7. Februar.
Mit einem Ausflug in die Vergangenheit eröffnete acatech Präsident Jan Wörner die zweite Ausgabe von acatech am Dienstag im Jahr 2023: Der Mythos “Wembley-Tor”, das vorentscheidende Tor im WM-Finalspiel von 1966 zwischen England und Deutschland, hätte nie entstehen können, wenn es damals schon die Torlinientechnologie gegeben hätte – und außerdem hätte Deutschland heute einen WM-Titel mehr, stellte er augenzwinkernd eine These auf.
Unzweifelhaft hat sich der Fußball – die in Deutschland und in der Welt beliebteste Sportart – dank digitaler Technologien seitdem stark gewandelt. Dabei gehen die heutigen technischen Möglichkeiten weit über das punktgenaue Messen von Torlinienüberschreitungen oder Abseitspositionen hinaus. In seinem einführenden Vortrag ging Boris Otto, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Software- und Systemtechnik ISST Dortmund, auf verschiedene Felder der Datenökonomie ein, die auch für den Fußball Relevanz haben. Da sind beispielsweise die Fortschritte im Bereich der Sensorik, die dafür verantwortlich sind, dass immer mehr Profispielerinnen und -spieler mit Messwesten auf dem Fußballplatz unterwegs sind. Diese sammeln Daten über Körperfunktionen und Bewegungen – in riesigen Mengen. Auswerten kann man diese und andere im Fußball erhobene Daten immer besser: Dank der Fortschritte im Bereich des maschinellen Lernens – Stichwort: ChatGPT – hätten die Profivereine immer bessere Möglichkeiten, aus den Daten die richtigen Schlüsse zu ziehen, so Boris Otto. Ein weiteres interessantes Feld tue sich gerade mit dem sogenannten Metaverse auf: Die virtuelle Welt biete für die Proficlubs diverse Chancen für die Umsetzung neuer Geschäftsmodelle, beispielsweise im Bereich des E-Sport.
Die Deutsche Fußball Liga (DFL), der Zusammenschluss der in der 1. und 2. Bundesliga vertretenen Profivereine, ist auf vielen der von Boris Otto umrissenen Feldern bereits aktiv: Wie Alexander Altenhofen, Director Product & Technology bei DFL Digital Sports, in der Diskussion deutlich machte, nutzt der Ligaverband die Datenökonomie insbesondere, um das Fanerlebnis zu “hyperpersonalisieren”. So kann jeder Fan – egal, ob im Stadion oder vor dem Fernseher – sich über entsprechende DFL-Apps die Zusatzinformationen holen, die er oder sie braucht. Als Beispiel nannte er eine Augmented Reality-Anwendung, mit der es Stadionbesuchern möglich ist, per Smartphone-Kamera Spieler auf dem Feld anzusteuern – während einem dabei auf dem Display Leistungsdaten, wie zum Beispiel die Laufgeschwindigkeit, in Echtzeit angezeigt werden. Die geringen Latenzzeiten der 5G-Technologie machen es möglich.
Dass die zunehmende Vermessung des Fußballs nicht immer nur positive Effekte hat, stellte ZDF-Fernsehexpertin und Ex-Fußballprofi Kathrin Lehmann heraus. Insgesamt verändere die Datenökonomie den Fußball in Richtung American Football, wo der Erfolg von einstudierten Spielzügen abhängt und nicht von individuellen Entscheidungen. Darüber hinaus liefen die Spielerinnen und Spieler zunehmend Gefahr, vor lauter digitaler Selbstbeobachtung das Gefühl für den eigenen Körper und die eigenen Spielfähigkeiten zu verlieren – nach dem Motto: nur wenn mir die Messinstrumente bestimmte Werte anzeigen, habe ich auch ein gutes Spiel gemacht. Es gelte, verantwortungsbewusst mit Daten umzugehen und diese immer auch qualitativ zu bewerten.
Nach der abschließenden Diskussion mit dem Publikum, bei der nochmal tiefer auf das Thema E-Sport eingegangen wurde, wagten die drei Gäste noch einen Ausblick in die Zukunft: Gefragt nach dem Fußball im EM-Jahr 2032 schilderte Alexander Altenhofen seine Vision eines virtuellen Stadionerlebnisses: Mit der Virtual-Reality-Brille auf den Augen werde sich das EM-Finale dann womöglich live im Stadion verfolgen lassen – während man eigentlich zusammen mit Freunden im heimischen Wohnzimmer sitzt. Boris Otto prognostizierte, dass der viel kritisierte Super-League-Ansatz – eine Liga, in der nur die besten europäischen Teams gegeneinander antreten – bis dahin verwirklicht sein könnte. Und in dieser Liga würden dann wahrscheinlich nur durchoptimierte Spieler mit Knöpfen im Ohr auflaufen, ergänzte Kathrin Lehmann. Einig waren sich jedenfalls alle drei: Die Digitalisierung und die damit verbundene Datenschöpfung werden den Fußball definitiv weiter verändern.