Die Kultur der Reparatur
München, 17. November 2020
Was tun, wenn etwas kaputt geht? Der Physiker Wolfgang M. Heckl sprach am 10. November im Rahmen von acatech am Dienstag, das in Kooperation mit vhs.wissen live stattfand, über das Glück der Reparaturerfahrung, die Reparatur als Naturprinzip. Er plädierte für ein Ende der maßlosen Wachstums- und Wegwerfgesellschaft, indem Menschen wieder lernen Dinge zu reparieren. Das Reparieren gehöre zu den Kulturtechniken der Menschheit und sei eine Fähigkeit, um die es schade wäre, wenn sie verloren ginge.
„Nur was Du selbst zerlegt hast, hast Du verstanden“
Vor hundert Jahren sei niemand auf die Idee gekommen etwas nicht zu reparieren, inzwischen werfen die meisten Menschen leichtfertig alles weg und kaufen sich neue Geräte, so acatech Mitglied Wolfgang M. Heckl, Generaldirektor des Deutschen Museums. Er selbst habe als Sechsjähriger das Radio seiner Eltern aufgeschraubt, um herauszufinden wie es funktioniert und bis heute sei er ein leidenschaftlicher Bastler geblieben. Er begründet seine Bastelleidenschaft damit, dass es ihn glücklich mache, wenn er verstehen könne wie etwas funktioniert, indem er hineinschaue. Umso mehr freue er sich über den neuen Trend „wieder selbst Hand anzulegen“, der 2009 aus den Niederlanden in Form von Repair Cafés einen neuen Schub bekommen habe. Die Gründerin des ersten Repair Cafés wollte damit ein Zeichen setzen gegen unsere Überfluss- und Wegwerfgesellschaft, in der kaum noch jemand in der Lage ist, Elektrogeräte zu reparieren. Damit seien Repair Cafés laut Wolfgang M. Heckl, neben Orten für Tüftler und Menschen, die sich keinen Kundendienst leisten können, auch der Ausgangspunkt einer Bewegung, die auf die Endlichkeit der Ressourcen dieser Erde aufmerksam machen will und unseren verschwenderischen Umgang damit anprangert. Ein Ort des sozialen Austausches über die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen.
„Wegwerfen bedeutet, ich habe Ressourcen und Energie verschwendet“
Die Natur solle als Vorbild für Recyclingkonzepte dienen, denn deren Stoffkreisläufe seien ein perfektes Recycling, bei dem nichts ungenutzt verloren gehe und nichts verschwendet werde, sagte Wolfgang Heckl. Molekulares Recycling ziele zum Beispiel darauf ab, Plastikabfall in seine molekulare Form zurückzuführen und als Ausgangsmaterial für neue Kunststoffmaterialien zu nutzen. Schließlich recycelt auch die Natur alle natürlichen Polymere auf molekularem Niveau. Doch Mülltrennung und Recycling allein sei nicht die Lösung, viel wichtiger sei es Müll zu vermeiden und die Wegwerfmentalität zu bekämpfen, betonte Wolfgang Heckl. Dafür könne man beispielsweise verpackungsfrei einkaufen, beim Einkauf auf Naturkosmetik und Naturfasern achten, oder nutzlos gewordene Stoffe oder Materialien upcyclen und damit zu qualitativ hochwertigeren Stoffen oder Endprodukten machen – der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Doch auch die Industrie müsse in die Pflicht genommen und durch ökonomische Anreize zu einem bewussteren und umsichtigen Umgang mit Ressourcen gebracht werden. Qualität und Nachhaltigkeit sollten an erster Stelle stehen, die Produkte müssten schon so geplant und konstruiert werden, dass sie langlebig und reparierbar seien. Auch im Bereich der Gesetzgebung muss es in Zukunft das Recht auf mehrwertsteuerbefreite Reparatur und die Verpflichtung zur Ersatzteilversorgung, zum Beispiel auch in Form von Bauplänen für moderne 3D Druckverfahren geben.
„Reparieren gehört zu den Kulturtechniken der Menschheit“
Reparieren helfe nicht nur bei der Müllvermeidung, sondern führe darüber hinaus zu einem Glücksgefühl, weil man die Technik verstanden hat, in der Lage ist diese wieder in Stand zu setzen und damit ein Zeichen gegen die unreflektierte Wegwerfmentalität, übermäßigen Konsum und Verbrauch von natürlichen Ressourcen der Erde setzen kann. Der Grundstein für dieses Glücksgefühl werde im Kindesalter gelegt, indem werken und basteln, anylytisches Durchdringen von logischen Iterationsketten bei der Reparatur und somit der Beginn für ein gesamtheitliches Weltverständnis auf dem Bildungsplan stehe. Nur so können die Natrurwissenschaftler und Ingenieure der Zukunft hervorgebracht werden, die die Gesellschaft so nötig braucht, um die Herausforderungen der Zukunft zu bestehen.