Digitale Souveränität: acatech IMPULS entwirft Schichtenmodell als Handlungsrahmen für die EU
Berlin/München, 25. März 2021
Es sei an der Zeit, dass die EU ihre digitale Souveränität stärkt, schrieben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Amtskolleginnen kürzlich in einem offenen Brief. Doch wie lässt sich das komplexe Ziel in konkrete Handlung übersetzen? Der heute erschienene IMPULS „Digitale Souveränität“ von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften schafft den Rahmen: Ein neues Schichtenmodell unterscheidet acht Ebenen digitaler Souveränität, anhand derer sich punktgenaue Handlungsoptionen ergeben.
Die Corona-Krise hat wie unter einem Brennglas den Nutzen digitaler Anwendungen verdeutlicht. Sie hat aber auch gezeigt, wie wichtig digitale Souveränität wird: Plattformen für Online-Meetings ermöglichen den Kontakt auf Abstand, werfen aber auch Datenschutzfragen auf. Digitale Unterrichtsangebote sind gefragter denn je, doch auch hier gibt es Streitpunkte im Hinblick auf die Zuverlässigkeit und den Schutz der Privatsphäre. Der Austausch von medizinischen Daten in Echtzeit ist wichtiger denn je, doch immer noch werden viele Informationen mit Papier, Stift, Drucker und Faxgerät ausgetauscht. Quer durch alle Anwendungsbereiche dominieren Plattform- und Cloud-Anbieter außerhalb der EU.
„Digitale Souveränität ist nicht nur eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch der politischen Selbstbestimmtheit der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten“, schreiben die Herausgeber des nun vorliegenden acatech IMPULSES „Digitale Souveränität“: Karl-Heinz Streibich, Henning Kagermann und Katrin Suder. „Die Idee einer Digitalen Souveränität europäischer Prägung zielt auf eine Digitalisierung, die Wahlfreiheit lässt, die europäischen Rechts- und Wertevorstellungen folgt, die sich der Welt öffnet und fairen Wettbewerb fördert.“
Die Autorengruppe spricht sich in ihrem Impuls klar gegen Protektionismus aus. Das wichtigste Element digitaler Souveränität sei Gestaltungsfreiheit. Eine freie Gesellschaft mitsamt ihrer öffentlichen Einrichtungen, Organisationen und Unternehmen müsse frei wählen können, welche digitalen Technologien, Dienste oder Anbieter sie nutzt. Wo diese Wahlfreiheit in Frage steht oder fehlt, müsse sie behauptet werden.
Schichtenmodell: Was ist der Status Quo, was muss getan werden?
Die wichtigsten Hebel zur Behauptung digitaler Souveränität sind dem Impulspapier zufolge Investitionen (am besten in die jeweils nächste Generation digitaler Technologie), das Aufbrechen von Lock-in-Effekten (also der Bindung an ein digitales Angebot durch Hürden beim Anbieterwechsel) und europäisches Wachstum in strategisch wichtigen Bereichen. Für die genaue Analyse von Stärken, Schwächen und sinnvollen Handlungsmöglichkeiten entwirft das Impuls-Papier ein Schichtenmodell mit acht Ebenen: Ausgehend von zugrundeliegenden Rohmaterialien und Komponenten über Kommunikationsinfrastrukturen und Cloud-Plattformen, bis hin zu europäischen Datenräumen, Softwaretechnologien und dem rahmengebenden europäischen Rechts- und Wertesystem.
Für jede dieser acht Schichten analysiert der acatech IMPULS exemplarisch kritische Bereiche. Eine der Schichten sind die Komponenten digitaler Geräte und Infrastrukturen. Politischer Handlungsbedarf bestehe auf dieser Ebene vor allem im Bereich Mikrochips. Der Grad an Abhängigkeiten von Wirtschaftsräumen jenseits der EU sei hoch. Daraus ergeben sich Verwundbarkeiten, die im ersten Quartal des Jahres 2021 durch eine konkrete Mangelsituation in zahlreichen Branchen deutlich sichtbar wurden.
Auf Ebene der Datenräume konstatiert die Expertengruppe: Im B2C-Bereich (Angebote für Privatnutzer) dominieren bereits digitale Plattformen aus den USA und China. Innerhalb der B2C-Datenräume gehe es um europäische Regulationshoheit (im Sinne eines europäischen Digital Service Acts als Antwort auf den US Cloud Act) sowie Governance-Hoheit, also die Durchsetzung europäischer DSVGO-Standards gegenüber Anbietern außerhalb der EU. Bei den Datenräumen im gewerblichen und öffentlichen Bereich (B2B) sei der Wettbewerb dagegen noch offen. Ihr Aufbau muss dem Impuls-Papier zufolge daher politisch begleitet und gefördert werden. Ausgangspunkte seien die Gaia-X Initiative und die International Data Spaces (IDS). Beispielgebend könne der Datenraum Mobilität werden, den acatech gemeinsam mit der Bundesregierung sowie privaten und öffentlichen Mobilitätsanbieter derzeit aufbaut.
Karl-Heinz Streibich: „Handlungsfelder digitaler Souveränität strategisch und konzertiert angehen“
Die Autorengruppe konstatiert: Sollte es digitalen außereuropäischen Hyperscalern gelingen, neben ihrer Dominanz in den Konsumentenplattformen auch in den industriellen Datenräumen eine vorherrschende Position zu erlangen, hätte dies gravierende wirtschaftliche Konsequenzen und würde die Spielräume digitaler Souveränität empfindlich einschränken. Die Ausgangsposition ist nach den Worten von Karl-Heinz Streibich besser als oft behauptet: „Wenn Deutschland und die Europäische Union die Handlungsfelder digitaler Souveränität strategisch und konzertiert angehen, haben wir gute Chancen auf einen selbstbestimmten Weg in die Digitalisierung. Denn in der anstehenden Phase der Digitalisierung fällt es industriell geprägten Unternehmen leichter, sich zu digitalisieren, als dass es Digitalunternehmen gelingt, industrielle Wertschöpfung nachzuvollziehen.“