Experteninterview mit Hauke Stars, Deutsche Börse AG
1. Oktober 2018
Die Blockchain-Technologie ist stark gehyped, aber ebenso umstritten. Was macht sie aus? Welche Chancen bietet sie? Welche Missverständnisse gibt es? Und wie kann eine Blockchain-Strategie der Bundesregierung aussehen? Antworten gibt Hauke Stars, Mitglied der Blockchain Projektgruppe der acatech HORIZONTE.
1. Wie sind Sie mit dem Thema Blockchain in Berührung gekommen?
Als studierte Informatikerin und Ingenieurin verfolge ich grundsätzlich Innovationen im IT-Bereich. So bin ich nicht etwa über den Bitcoin-Hype zum Thema Blockchain gekommen, sondern aus Interesse an der Technologie. Diese gibt ein besonderes, ein disruptives und transformatives Wertversprechen.
Die Blockchain eröffnet Möglichkeiten, Geschäftsprozesse effizienter abzubilden, bestehende Geschäftsmodelle zu verbessern und sogar neue Geschäftsmodelle aufzubauen. Was mich besonders fasziniert, wird dabei durch die Formeln „Technology Leads Business“ und „Blockchain als Enabler“ sehr gut ausgedrückt.
2. Was fasziniert Sie noch an der Technologie?
Die Blockchain-Technologie wird Prozesse vereinfachen und beschleunigen, sie wird Geschäftsmodelle verändern und neue Geschäftsfelder schaffen. Die Analyse der acatech wird dazu beitragen, dass wir diese neue Technologie besser verstehen, um sie in den Dienst von Fortschritt und Wachstum zu stellen.
Auf der Blockchain werden allen Teilnehmenden Daten in gleicher Weise zu Verfügung gestellt. Dabei wird die Echtheit der Daten über kryptographische Algorithmen gewährleistet. Außerdem sind die Daten, wenn sie einmal in der Blockchain gespeichert sind, unveränderbar. Damit erlaubt die Blockchain, Geschäftslogiken zu implementieren, in denen die Teilnehmenden direkt miteinander, ohne einen vermittelnden Dritten interagieren. Im Fachjargon heißt das „Peer-to-Peer“.
Durch die Verteilung der Daten sind diese allen Nutzerinnen und Nutzern zugänglich und es können z.B. verteilte Prozesse zwischen verschiedenen Akteuren realisiert werden. Da alle Akteure mit demselben Datenbestand arbeiten, entfallen dann automatisch die heute unerlässlichen Datenabgleiche über System- und Firmengrenzen hinweg, was natürlich die Effizienz im Allgemeinen erhöht.
Die Unveränderbarkeit der Daten und die durch kryptographische Verfahren gewährleistete Echtheit der gespeicherten Information hat vielleicht die größte Auswirkung auf unsere Geschäftswelt und unsere Gesellschaft: es kann das Internet-der-Werte entstehen.
Während im Internet nämlich bisher nur Daten und Informationen getauscht werden, wird es künftig möglich sein, digitalisierte Werte auszutauschen. So könnte man in diesem Konzept zum Beispiel Immobilien auf der Blockchain digital repräsentieren und sie direkt – ohne Einschaltung von Maklern – verkaufen. Andere Anwendungsfälle sind die „digitale Identität“ oder auch digitale Grundbücher.
Allerdings sollte man nie vergessen, dass ein derartiger Wandel sich nicht allein auf Grund des technologischen Fortschritts erzielen lassen wird. Denn die regulatorischen und gesetzgeberischen Rahmenbedingungen müssen sich entsprechend mitentwickeln.
3. Welche Chancen bietet die Blockchain für den Finanzsektor?
Die soeben erwähnten Eigenschaften der Blockchain lassen sich natürlich auf Anwendungen im Finanzsektor übertragen. Lassen Sie mich das am besten an Hand eines Beispiels aus meinem beruflichen Umfeld schildern: Bei der Deutschen Börse haben wir Mitte 2015 begonnen, uns strukturiert mit dem Thema Blockchain zu befassen. In einer Arbeitsgruppe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus allen Geschäftseinheiten haben wir ein gemeinsames Verständnis zu „Blockchain als Technologie“ hergestellt. Im Anschluss daran wurde eine Liste von ca. 20 Anwendungsfällen für Blockchain zusammengestellt, die für die Gruppe Deutsche Börse von Relevanz sein könnten. Aus diesen sind drei Projekte hervorgegangen, mit denen wir uns zurzeit beschäftigen. Diese decken das gesamte Spektrum von reinen Effizienzsteigerungen bis hin zu potenziell neuen Geschäftsmodellen ab.
Das erste Projekt ist ein Forschungsprojekt mit der Bundesbank zum Thema Abwicklung und Kapitalmaßnahmen. Dabei geht es um die Steigerung von Effizienzen im Nachhandelsprozess, also den Kernprozessen unseres Zentralverwahrers Clearstream.
Beim zweiten Projekt „LA Ledger“ geht es um den Transfer von Wertpapier-Sicherheiten über Grenzen hinweg. Dies ist eine Weiterentwicklung unserer Dienstleistungen rund um die Besicherung.
Das dritte Projekt nennen wir „Collateralized Coin“. Diese Initiative hat das Versetzen von Geschäftsbankengeld auf der Blockchain zum Ziel. Damit ließen sich Geschäftsmodelle auf der Blockchain verwirklichen, bei denen Zahlungen eine Rolle spielen, also zum Beispiel DvP, Margin Management oder Collateral Management.
Neben diesen Möglichkeiten, die auf unserem „klassischen Geschäftsmodell“ beruhen, sind aber auch die Entwicklungen rund um „Crypto-Tokens“, also Kryptowährungen und Tokenized Assets, sehr interessant – trotz aller Hindernisse und noch bestehender rechtlicher und regulatorischer Unsicherheiten.
Denn mit den Kryptowährungen hat sich im Laufe der letzten zwei Jahre quasi eine neue Assetklasse ausgebildet. Seit letztem Jahr haben sich im Umfeld der „public blockchains“ bzw. der Kryptowährungen die ICOs, also „Initial Coin Offerings“ etabliert. Im Verlauf von ICOs emittieren Firmen die sogenannten Tokens auf einer öffentlichen Blockchain. Diese Tokens können entweder eine Kryptowährung sein, sie können aber auch einen Unternehmensanteil repräsentieren. Oder sie können einen Zugang zu digitalen Dienstleistungen bieten, die typischerweise auch auf der Blockchain bereitgestellt werden. Die Tokens können dann beim ICO gekauft und im Weiteren gehandelt werden.
Gegenwärtig sind ICOs dem Crowdfunding sehr ähnlich. So besteht bei vielen ICOs die Gefahr, dass Anlegerinnen und Anleger leer ausgehen. Denn Startups veröffentlichen oft nur ein Whitepaper, in dem sie ihre Geschäftsidee darlegen, ohne Sicherheiten zu stellen. Manchmal ist sogar noch gar kein Produkt vorhanden.
Wir gehen jedoch davon aus, dass im Laufe der näheren Zukunft ein klarer Rechtsrahmen sowie ein entsprechender regulatorischer Rahmen geschaffen wird.
4. Welches typische Missverständnis begegnet Ihnen in Gesprächen rund um das Thema?
Die Blockchain-Technologie wird häufig mit Bitcoin gleichgesetzt. Entsprechend werden auch die Nachteile und Probleme von Bitcoin in Diskussionen automatisch auf jedwede Anwendung der Technologie übertragen, zum Beispiel der hohe Energieverbrauch des Miningprozesses bei Bitcoin. Dieser spielt jedoch in Blockchain-Anwendungen im Firmenumfeld überhaupt keine Rolle.
Ähnlich einzustufen ist die Aussage „Blockchain-Applikationen sind mit Kryptowährungen gleichzusetzen“. Öffentliche Blockchains benötigen Anreizmechanismen, damit sie überhaupt ohne eigenen Betreiber auskommen. Deshalb benötigt man Kryptowährungen. Allerdings kann man auf diesen Blockchains auch Applikationen erstellen, die wiederum selbst ohne Kryptowährungen auskommen. Blockchains, die – wie die meisten gegenwärtig geplanten Anwendungen in der Finanzindustrie – einen „klassischen“ Betreiber haben, kommen ganz ohne Kryptowährungen aus.
Außerdem wird die Blockchain oft als Allheilmittel gesehen. Entsprechend wird für eine Vielzahl von Problemen Blockchain als Lösung vorgesehen, auch wenn sie für das entsprechende Problem nicht die beste Lösung ist.
5. Was sollte die angekündigte Blockchain-Strategie der Bundesregierung unbedingt enthalten?
Aus meiner Sicht sollte die Blockchain-Strategie der Bundesregierung in die Digitalisierungsstrategie bzw. die Strategie für Industrie 4.0 eingebunden werden. Denn Blockchain ist nur eine der innovativen Technologien, von denen man erwartet, essentiell für die Digitalisierung der Gesellschaft zu sein. Andere Technologien wie zum Beispiel künstliche Intelligenz und Quanten-Computing haben ebenfalls ein hohes Transformationspotenzial.
Mit der Strategie sollte eine rechtliche und regulatorische Klarheit hergestellt werden, sowohl bezüglich der Anwendung der Technologie als auch hinsichtlich der gesamten Situation der Kryptowährungen und Tokenized Real Assets. Hier sollte insbesondere die Regulierung von Tokens und ICOs angegangen werden. Derzeit besteht noch eine hohe regulatorische Unsicherheit und es befinden sich viele zweifelhafte Akteure auf dem Markt. Beides hemmt Blockchain-Investitionen in Deutschland, aber auch weltweit. Diese Unsicherheit führt dann zur Abwanderung von klugen Köpfen und Startups in Staaten mit weiter ausgearbeiteten Regulierungsrahmen.
Wir haben jetzt noch die Chance mit einer schnellen, investorenfreundlichen Regulierung Kapital, Fachkräfte und Startups nach Deutschland zu locken und dort zu halten.
Meine Handlungsempfehlung wäre deshalb, einen klaren Rechtsrahmen für ICOs und alle Arten von Tokens zu schaffen. Ziel ist, das Betrugsrisiko und die Möglichkeiten zur Steuerhinterziehung zu minimieren, nicht jedoch das wirtschaftliche Spekulationsrisiko aus diesen herauszunehmen.
Es ist außerdem wichtig, dass die Strategie nicht nur die international tätigen Unternehmen berücksichtigt, sondern auch den Mittelstand und die Bürgerinnen und Bürger. Vielleicht wäre es sinnvoll, im Rahmen der Blockchain-Strategie Leuchtturmprojekte wie beispielsweise die „digitale Identität“ anzustoßen. Diese Projekte können dann als Keimzellen für den Ausbau fortschrittlicher Projekte im Mittelstand wie auch in den international tätigen Unternehmen dienen.
Außerdem sollte die Intensivierung der Forschung und der Ausbau des Bildungswesens rund um Blockchain ein wesentliches Element der Strategie sein. Wir sehen derzeit generell einen deutlichen Fachkräftemangel. Und die existierenden Fachkräfte haben ihre Blockchain-Kompetenzen nicht auf formalen Bildungswegen erworben. Blockchain ist nämlich in der akademischen Forschung bislang nur schwach verankert.
Wir sollten deshalb außerakademische Entwicklercommunities stärken und den Wissenstransfer in die Wissenschaft hinein anregen. So können hochwertige, interdisziplinäre und breit verfügbare Lehrinhalte zum Thema Blockchain entwickelt werden.
Dazu benötigen wir niederschwellige, schnell bewilligte und kurzfristige Förderprogramme. Staatliche Förderung sollte insbesondere für Themen eingesetzt werden, die wenig Aufmerksamkeit in der Wirtschaft erhalten, beispielsweise zu Konsensmechanismen und Sicherheit in der Blockchain.
Hauke Stars ist Mitglied des Vorstands der Deutschen Börse AG. Sie ist acatech Senatorin und Mitglied der acatech HORIZONTE Projektgruppe Blockchain.
Die Beiträge im HORIZONTE logbuch geben die Meinungen und Experteneinschätzungen der Autorinnen und Autoren wieder und nicht Positionen von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften.