Experteninterview mit Roman Beck, IT University of Copenhagen
12. September 2018
Die Blockchain-Technologie ist stark gehyped, aber ebenso umstritten. Was macht sie aus? Welche Chancen bietet sie? Welche Missverständnisse gibt es? Und wie kann eine Blockchain-Strategie der Bundesregierung aussehen? Antworten gibt Roman Beck, Mitglied der Blockchain Projektgruppe der acatech HORIZONTE.
1. Wie sind Sie mit dem Thema Blockchain in Berührung gekommen?
Ich beschäftige mich schon lange mit wissensintensiven digitalen Dienstleistungen und deren Austausch in Netzen. Derartig komplexe interorganisationale Systeme leiden seit jeher darunter, dass Verantwortlichkeiten und Anreize nicht immer klar erkennbar, nicht durchsetzbar oder aber ungleich verteilt sind.
Für ein Doktorandenseminar Mitte 2014 haben wir dann Bitcoin als Beispiel für komplexe Systeme näher untersucht und angefangen, an einem Anwendungsbeispiel auf der Ethereum Blockchain zu arbeiten noch bevor diese veröffentlicht wurde. Unser erster Prototyp sollte die Selbstbedienung an den Kaffeespendern in einem Studentencafé mittels Blockchain umsetzen. Dabei wurde ein System, das bis zu diesem Zeitpunkt vollkommen vertrauensbasiert funktionierte, in ein System umgewandelt, das nicht mehr auf Vertrauen bauen muss. Natürlich war das total „over-engineered“, jedoch besaß diese Anwendung schon alle Elemente, die auch in anderen Transaktionen vorkommen und wichtig sind.
Ich habe danach 2016 die erste Blockchain Summer School in Kopenhagen organisiert und kurze Zeit später für die Harvard-Universität einen Teaching Case zu Blockchain geschrieben. Im Anschluss an die erste Blockchain Summer School war das Interesse immens, sodass der nächste logische Schritt die Gründung des European Blockchain Centers war. Seitdem sind die Aufgaben stetig gewachsen, so schreibe ich an einem weiteren Teaching Cases für Harvard, arbeite für die EU-Kommission an Blockchain-Projekten sowie intensiv an Blockchain-Standards für Dänemark bei der ISO.
2. Was fasziniert Sie an der Technologie?
Durch die Blockchain scheint nun endlich ein altes Versprechen des Internets Wirklichkeit zu werden: Die Umsetzung und Durchsetzung elektronisch sicherer und transparenter Geschäftslogiken und vereinbarter Bedingungen über Ländergrenzen hinweg. Auch wenn ich meinen Handelspartner gar nicht kenne, kann ich sicher sein, dass die vereinbarte Transaktion eingehalten wird oder eben keine Zahlung erfolgt.
Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es noch eine ganze Menge faszinierender unbeantworteter Fragen: Wie steht es um die Performanz und Skalierbarkeit solcher Systeme? Wie sieht die organisationale Steuerung dezentraler Systeme aus? Wie ist Governance und Compliance in den Systemen verankert? Welche Blockchain-Lösung passt zu welchem Problem? Und vieles mehr.
Bei all den noch offenen Fragen ist jedoch meines Erachtens schon jetzt ziemlich klar, dass Blockchain – wie auch das Internet – Teil der digitalen Ökonomie der Zukunft sein wird. Daher ist es auch so wichtig, sich jetzt mit den verschiedenen Blockchain-Anwendungen intensiv auseinanderzusetzen.
3. Welche Chancen bietet die Blockchain?
Da gibt es so viele – wo soll man da anfangen? Überall dort, wo die Internet-Ökonomie immer noch von Unsicherheiten und Unwägbarkeiten geprägt ist, wird die Blockchain-Ökonomie Eindeutigkeit und Transparenz liefern.
Wir werden proaktive digitale Systeme sehen und nicht mehr nur reaktive, von Menschen initiierte. Einige Beispiele: Unsere Kühlschränke werden sicher und nachvollziehbar Milch nachbestellen, ohne dass wir diese Bestellung selbst anstoßen müssen. Wir werden autonome Systeme beispielsweise im Bereich Transport nutzen, die sich sicher, nachvollziehbar und zweifelsfrei austauschen und so Verkehrsströme koordinieren. Es werden sich nicht nur neue Geschäftsmodelle, sondern ganz neue ökonomische Spielregeln ergeben, in denen nicht mehr zwingend einige wenige große Internetunternehmen den Markt beherrschen, sondern diese im Wettbewerb mit dezentralen Alternativen stehen.
Die Blockchain ermöglicht uns, uns von einzelnen Unternehmen, die interagieren, hin zu vielen Unternehmern zu bewegen, in denen wir alle dezentral teilhaben können. Im Englischen spreche ich oft von einem Übergang von „the nature of the firm“ zu „the nature of human enterprises“, in denen wir alle als Prosumenten interagieren.
Distributed-Ledger-Technologien werden zukünftig das interorganisationale Betriebssystem bzw. Rückgrat für die Industrie 4.0 bilden. Deutschland hat erheblichen Aufholbedarf in der Entwicklung dieser Schlüsseltechnologie. acatech liefert hierfür mit der acatech Horizonte zu Blockchain einen wichtigen Aufklärungsbeitrag in Politik und Wirtschaft.
4. Welches typische Missverständnis begegnet Ihnen in Gesprächen rund um das Thema?
Leider existieren immer noch sehr viele Missverständnisse und Wissenslücken, die es schnellstens zu beseitigen gilt. Angefangen bei dem Glauben, dass es sich bei Blockchain immer um Kryptowährung handelt. Außerdem muss darüber aufgeklärt werden, dass es nicht die eine Blockchain-Technologie gibt, sondern eine ständig wachsende Gruppe von Distributed Ledger Technologies. Nicht alle sind dabei so energiehungrig wie es häufig pauschal behauptet wird. Nicht zuletzt höre ich häufig das Argument, dass Blockchain-Anwendungen mit dem Einzug von Quantencomputern unzeitgemäß werden. Das ist schlicht falsch. Ich erlebe häufig bei Veranstaltungen zu Blockchain, dass die Diskussion auf Bitcoin verkürzt wird. Leider passiert das in Deutschland häufiger, wohingegen in Dänemark und in anderen Ländern die Diskussion bereits weiter fortgeschritten ist. Hier besteht dringender Aufholbedarf.
5. Was sollte die angekündigte Blockchain-Strategie der Bundesregierung unbedingt enthalten?
Mich würde zunächst interessieren, wie das am 10. April in Brüssel abgeschlossene Übereinkommen mit 21 weiteren europäischen Staaten zum Aufbau einer gemeinsamen Blockchain-Infrastruktur inhaltlich mit Leben gefüllt wird. Werden wir hier einen mutigen Digitalisierungsschritt nach vorne erleben, der den Titel Digitalisierungs- und Blockchain-Strategie für Deutschland auch wirklich verdient?
Fest steht: Deutschland ist bei der Digitalisierung noch nicht so weit wie andere Länder. Das lässt sich zum Teil auch an der medialen Berichterstattung erkennen. Digitalisierung wird häufig als bedrohlich beschrieben. Sie raubt uns unsere Privatsphäre oder macht uns verwundbar für Datendiebstahl und Cyber-Angriffe. Dies sind valide Einwände. Allerdings geraten so die Potenziale und Möglichkeiten für Gesellschaft und Wirtschaft oft in den Hintergrund. Gerade Blockchain bietet die Möglichkeit, Bürgern und Verbrauchern gleichermaßen wieder die Kontrolle über ihre Daten und digitalen Profile zurückzugeben. Leider greift die „German Angst“ schon vorher, sodass es gar nicht erst zu den notwendigen Projekten kommt, um die Systeme zu testen.
Eine Blockchain-Strategie muss daher im Grunde eine Digitalisierungsstrategie sein, die einen positiven Aufbruch in der gesamten Gesellschaft erzeugt. Wir brauchen dringend einen digitalen „Marshall-Plan“ für ein digitales Wirtschaftswunder. Um nichts weniger geht es, wenn wir den Anschluss international nicht weiter verlieren wollen und Deutschland als digitale Industrienation erhalten wollen.
Roman Beck ist Professor an der IT University of Copenhagen und Leiter des European Blockchain Centers sowie Mitglied der acatech HORIZONTE Projektgruppe Blockchain.
Die Beiträge im HORIZONTE logbuch geben die Meinungen und Experteneinschätzungen der Autorinnen und Autoren wieder und nicht Positionen von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften.