Fusionsenergie – Chancen, Herausforderungen, Zeithorizonte
München, 25. Januar 2024
Kernfusion ist ein Menschheitstraum: Sie verspricht, die Energiequelle der Sonne nutzbar zu machen. Die technischen Herausforderungen sind immens – doch vor rund einem Jahr gelang es in den USA erstmals, ein Plasma zu zünden. Spätestens seitdem lautet die Frage weniger, ob der Menschheitstraum Kernfusion Realität werden kann, sondern wann und wie. Darüber sprachen am 16. Januar Fachleute und Interessierte bei acatech am Dienstag in einer online-Veranstaltung.
acatech Präsident Jan Wörner führte die rund 160 Gäste in seiner Begrüßung in die physikalischen und technischen Grundlagen der Fusion ein. Dabei gab er einen ersten Überblick über die beiden grundlegenden Ansätze, Kernfusion zu nutzen: Magnetfusion und Laserfusion. Expertinnen und Experten beleuchteten im Folgenden diese Ansätze im Detail.
Verschiedene Konzepte der Kernfusion
Sibylle Günter, wissenschaftliche Direktorin am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik und acatech Mitglied, erläuterte Grundlagen und Versuchsanlagen der Fusionsforschung und der Magnetfusion. Der einfachste Prozess sei die Verschmelzung von Deuterium und Tritium zu Helium und Neutronen, sagte Sibylle Günter. Bei der Fusion werde Masse in Energie umgewandelt und dabei etwa eine Million mal mehr Energie freigesetzt, als in chemischen Brennprozessen. Die beiden benötigten Brennstoffe seien weltweit gut verfügbar. Für eine ‚Zündung‘ der Fusion müsse das Deuterium-Tritium-Plasma auf 200 Millionen Grad Celsius erhitzt werden. Diesen Temperaturen würde kein Material als Wand standhalten, zudem würde das Plasma bei Kontakt mit einer Wand sofort abkühlen. Deshalb muss das Plasma mittels Magnetismus in einem Vakuum stabilisiert werden. Eine Alternative bildet die sogenannte Trägheitsfusion, bei der ein millimeterkleines Pellet der Fusionsmaterialien durch Laser extrem schnell auf Temperatur gebracht wird. Damit sind zwei grundlegende Wege der Kernfusion zu unterscheiden: Die Magnetfusion und die Trägheits- (oder auch Laser-) Fusion.
Die zwei Konzepte der Magnetfusion: der Tokamak und der Stellarator:
- In einem Tokamak wird der magnetische Käfig durch externe Spulen und einen Strom im Plasma erzeugt. Er kann deshalb nur gepulst arbeiten, wobei die Pulse allerdings mehrere Stunden dauern können.
- In einem Stellarator wird der magnetische Käfig durch ein einziges Spulensystem erzeugt – also anders als beim Tokamak ohne einen Längsstrom im Plasma und damit ohne Transformator. Daher sind Stellaratoren für Dauerbetrieb geeignet.
Fusionskraftwerke nutzen die durch Fusionsreaktionen erzeugte Energie (Verschmelzung von Atomkernen), wobei der Großteil der durch die Fusion erzeugte Energie in Form von schnellen Neutronen von den Wänden des Behälters absorbiert und dabei in Wärme umgewandelt wird. Ein Fusionskraftwerk nutzt diese Wärmeenergie, um Dampf zu erzeugen. Dieser Dampf treibt Turbinen an, die dann wie in einem herkömmlichen Kraftwerk Strom erzeugen.
Eine Tokamak-Versuchsanlage steht in Garching bei München und eine Stellarator-Versuchsanlage in Greifswald. Sibylle Günter testet mit ihrem Team diese beiden Konzepte, um herauszufinden, welches das geeignetere ist. Die Forschung sei bereits weit vorangekommen: Der Bau eines funktionsfähigen Fusionskraftwerks in Deutschland könne – in einem ambitionierten Zeitplan – in etwa zwanzig Jahren gelingen.
Beim alternativen Ansatz der Trägheitsfusion wird ein kleines Pellet aufgeheizt, bis es explodiert. Der Druck ist dabei vergleichbar groß wie im Sonneninneren. Wichtig sei eine gleichmäßige Bestrahlung, so Sibylle Günter. Im Rahmen eines Laserfusions-Experiments im Lawrence Livermore National Laboratory in den USA konnte 2022 erstmals bei der Heizung des Pellets durch Fusion etwa ein Prozent der aufgewendeten Energie in Fusionsenergie umgewandelt werden. Dies war ein Durchbruch: Erstmals wurde mehr Heizung durch Fusion als durch externe Heizung beigetragen.
Die Kernfusion, so Sibylle Günter, habe gegenüber der Kernspaltung große Vorteile im Hinblick auf die Sicherheit: Eine unkontrollierte nukleare Kettenreaktion, wie sie in Kernkraftwerken möglich ist, schließen Fusionsanlagen physikalisch aus. Die Anzahl der Fusionen von Wasserstoff und Tritium wird durch Zufuhr des Brennstoffs von außen bestimmt. Sobald kein neuer Brennstoff hinzukommt, setze die Reaktion aus. Auch entstehe bei der Kernfusion kein hoch radioaktiver Abfall, der lange tiefengelagert werden muss.
Laserfusion
Constantin Häfner, Beauftragter für Fusionsforschung der Fraunhofer Gesellschaft und Leiter der BMBF-Expertenkommission für Laser-Trägheitsfusion, startete mit einem Blick auf die Entstehungsgeschichte der Laserfusion. Schon ein Jahr nach Erfindung des Lasers, im Jahr 1961, hatte der US-amerikanische Physiker John Nuckolls die Idee, mit einem Laser punktegenau Energie zu fokussieren und eine Fusionsreaktion auszulösen. Jedoch gab es damals noch keine ausreichend starken Laser. Es sollte noch Jahrzehnte dauern, bis Laser das Fusionsmaterial ausreichend schnell und stark erhitzen konnten. 2009 wurde die National Ignition Facility (NIF) am Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) in Kalifornien (USA) gebaut. In dieser wissenschaftlichen Forschungsanlage finden seit 2011 Experimente zur Laserfusion statt. Im August 2021 wurden bei diesen Experimenten 1,35 Megajoule (MJ) erreicht: Es waren 1,9 MJ Laserenergie in den Hohlraum nötig, um diese 1,35 MJ zu erzeugen. Anfang Dezember 2022 wurde eine Steigerung auf 3,15 MJ erreicht. Dieses Ergebnis erregte globale Aufmerksamkeit. Die NIF ist der weltweit größte und energiereichste Laser; er misst drei Fußballfelder. Im Fokus der Experimente steht die Erforschung des Fusionsplasmas, nicht die Energiegewinnung.
Markus Roth, Professor für Laser- und Plasmaphysik an der TU Darmstadt, vertrat als Chief Science Officer bei acatech am Dienstag das von ihm mitgegründete Start-Up Focused Energy. Dieses deutsch-amerikanische Unternehmen möchte laserbasierte Kernfusion zur Marktreife bringen. Stärken der Laserfusion sieht Markus Roth im modularen Aufbau und der räumlichen Trennung von Treiber und Reaktor. Die Laser stehen in einem separaten Gebäude und können während des laufenden Betriebs gewartet oder ausgetauscht werden. Dadurch könne der Aufbau und die innere Struktur des Reaktors deutlich einfach gehalten werden, da er nur die Aufgabe hat, die Energie aufzunehmen und die Fusionsenergie in Form von Wärme wieder abzugeben. Als erfolgversprechendsten und robustesten Ansatz für Laserfusion sieht Markus Roth die direkte und sehr homogene Bestrahlung (direct drive) und die schnelle Zündung (fast ignition).
Die europäische Perspektive wurde schließlich von Tony Donné hervorgehoben, bis vor kurzem Programmmanager bei EUROfusion. In Europa wurden bereits bemerkenswerte Ergebnisse mit magnetischem Einschluss mit einer Weltrekord-Fusionsenergie aus dem Joint European Torus erzielt. Er beschrieb die anhaltende Bedeutung des Internationalen Thermonuklearen Reaktors ITER und konzentrierte sich auf den europäischen DEMO-Reaktor, dessen langfristiges Ziel die Stromerzeugung aus Fusionsenergie ist. DEMO basiert, wie ITER, auf dem Tokamak-Prinzip und soll die erste Anlage sein, die die Kernfusion im industriellen Maßstab testet.
Vielschichtige Diskussion
In der von Marc-Denis Weitze, acatech Geschäftsstelle, moderierten Diskussion wurden Fragen zu den Ausgangsstoffen wie Deuterium und Tritium thematisiert und die Endprodukte fokussiert. Sibylle Günter betonte in der Diskussion nochmals, dass bei der Fusion lediglich kurzlebige radioaktive Produkte entstehen, die keiner Endlagerung bedürfen. Das anfallende Tritium hat eine Halbwertszeit von zwölf Jahren, sodass hier keine Tiefenlagerung erforderlich ist.
Die politische Diskussion zu Fusionsenergie ist in vollem Gange. Das BMBF hat eine internationale Expertenkommission eingesetzt, die ein Memorandum zum Stand und den erforderlichen Schritten in Forschung und Entwicklung vorgelegt hat. Das darauffolgende Positionspapier des BMBF skizziert den Rahmen für die notwendige Forschung in den Bereichen Magnet- und Laserfusion und bildet die Grundlage für das sich in Vorbereitung befindende Förderprogramm des BMBF.
Markus Roth betonte, dass mit der Förderung und Entwicklung der Fusionsenergie keinesfalls Investitionen in Erneuerbare Energien obsolet werden: Die saubere Fusionsenergie wird erst ab Mitte dieses Jahrhunderts nennenswerte Einspeisungen in das Energiesystem leisten. Wenn die Schlüsseltechnologien hier beherrscht werden, könne das aber auch zu einem europäischen Exportartikel werden. Ein industrielles Ökosystem sei nun zu schaffen, ebenso müsse die Politik einen passenden, verlässlichen rechtlichen Rahmen entwickeln.
Schließlich wurde diskutiert, ob nun parallel in die konkurrierenden Technologien zu investieren sei und wenn ja: wie lange? Wird sich in wenigen Jahren eine davon durchsetzen oder vergehen Jahrzehnte? Für die beiden vorgestellten Konzepte der Magnetfusion schätzte Sibylle Günter, dass die Entscheidung bereits in wenigen Jahren fallen könne. Constantin Häfner betonte, dass aus heutiger Sicht sowohl Magnet- als auch Laserfusion zum Ziel einer Umsetzung in einem Fusionskraftwerk gelangen könnten. Nun sei es entscheidend, konsequent die Forschung in Deutschland weiter voranzutreiben, dabei die Industrie aktiv einzubinden und den Weg zu einem Fusionskraftwerk zu ebnen. Wer auch immer am Ende das Rennen macht: Entscheidend sei nun, aus der Grundlagenforschung auf einen Weg hin zu einem Fusionskraftwerk zu gelangen.
Jan Wörner riet in seinem Schlusswort davon ab, vorschnell eine Technologie zu favorisieren – vielmehr sei erfahrungsgemäß die Verfolgung verschiedener Ansätze nötig, um daraus die beste Lösung oder die besten Lösungen zu finden.
Weiterführende Informationen
Positionspapier Fusionsforschung
Memorandum Laser Inertial Fusion Energy – BMBF