Innovationsquelle Weltall? Nutzen und Kosten der Raumfahrt

München, 19. September 2023
Das Weltall fasziniert: Bilder vom James Webb-Teleskop ziehen die Menschen genauso in ihren Bann wie die Pläne zur nächsten Mondlandung. Doch lohnt sich Raumfahrt eigentlich? Ist sie Treiber von Innovationen, die die Menschheit voranbringen? Bei acatech am Dienstag, das diesmal im Rahmen des Wissenschaftsjahres „Unser Universum“ und in Kooperation mit „Wissenschaft kontrovers“ stattfand, diskutierten Expertinnen und Experten über den gesellschaftlichen Nutzen und die Kosten der Raumfahrt.
Moderatorin Jeanne Rubner eröffnete den Abend mit einem persönlichen Eindruck: Raumfahrt, so die langjährige Wissenschaftsjournalistin, habe gerade einen Lauf und werde in der Öffentlichkeit besonders positiv wahrgenommen. Ob Mondlandungspläne oder private Weltraumprojekte – die Raumfahrt liefere Gesprächsstoff. Am heutigen Abend aber wolle man hinter diesen Hype blicken und ganz nüchtern die Frage stellen, welchen Nutzen die Raumfahrt eigentlich hat.
acatech Präsident Jan Wörner, von 2015 bis 2021 Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation (ESA), ordnete in seinem Vortrag den Beitrag der Raumfahrt zunächst in die globalen Zusammenhänge ein. Er zeigte dabei, dass die Raumfahrt für die drängenden aktuellen Herausforderungen – Klimawandel, Migration, Mobilität, Energie – durchaus Lösungsmöglichkeiten parat halte. So sei beispielsweise der Klimawandel erstmals auf der Venus entdeckt worden: Der Treibhauseffekt sorgte dort für das Verdampfen sämtlichen Wassers. Die aus diesen Beobachtungen gewonnen Erkenntnisse hätten dazu beigetragen, den Klimawandel auf der Erde besser zu verstehen. Auch leisteten Erdbeobachtungssatelliten und das europäische Navigationssystem GALILEO einen Beitrag zu Klima- und Umweltschutz: Flugrouten können in Echtzeit so optimiert werden, dass keine Kondensstreifen entstehen, wodurch die Auswirkungen des Flugverkehrs reduziert würden. Darüber hinaus habe gerade die astronautische Raumfahrt etwas Verbindendes: Trotz internationaler Konflikte und Konkurrenzen seien durch sie bisher immer wieder Brücken zwischen Nationen entstanden. Besonders deutlich werde die Idee vom grenzenlosen Europa aus dem All: Hier seien „europäische Astronautinnen und Astronauten“ unterwegs – gemeinsam für ein „United Space in Europe“. Jan Wörner appellierte daran, Kooperation und Zusammenarbeit in der Raumfahrt weiter zu stärken und die nationale Brille bei gemeinsamen Missionen auch mal abzulegen.
„Kann (muss) die Raumfahrt einen Beitrag zur Bewältigung des Klimawandels leisten?“ Diese Frage stellte acatech Mitglied Johannes Weyer von der TU Dortmund ins Zentrum seines Impulses. Dazu trennte er zunächst die astronautische Raumfahrt sehr deutlich von der robotischen Raumfahrt ab. Insbesondere in letzterer fänden sich durchaus viele nützliche Errungenschaften: Navigation, Kommunikation und Erdbeobachtung wären ohne Satelliten nicht denkbar. Er forderte ein neues Paradigma für die Raumfahrt: Statt weiter und weiter ins Weltall vorzudringen, sollte die Raumfahrt als Programm zur Rettung des Planeten betrieben werden. Erdbeobachtung und Satelliten könnten hier einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Dagegen stellte Johannes Weyer den Nutzen von Weltraumtourismus und Mondstationen deutlich in Frage, denn beides sei mit den Zielen der Klimaneutralität nicht vereinbar.
Daraus entspann sich eine Diskussion über Innovationen, die ihren Ursprung in der der astronautischen Raumfahrt haben, wie zum Beispiel der Akkubohrer oder ein Anzug, der plötzlichen Kindstod präventiv verhindern kann. Allerdings stünden deren wirtschaftlicher Nutzen in keinem Verhältnis zu den Investitionen, die im Bereich Raumfahrt getätigt würden. Nichtsdestotrotz sei der positive Effekt, der von der Faszination für den Weltall und gemeinschaftlichen Raumfahrt-Projekten ausgehe, nicht zu vernachlässigen, so Jan Wörner weiter.
Die Bedeutung von Erdbeobachtung in Zeiten des Klimawandels zeigte auch Max Gulde, CEO und Gründer von Constellr GmbH, sehr anschaulich. Die Bedeutung des Wassers für das Leben wurde besonders deutlich, als er zeigte, dass lediglich 0,025 Prozent des Wassers auf der Erde verfügbar sind. Davon werden 70 Prozent in der Landwirtschaft verwendet. Ein großes Problem liege dabei in der ineffizienten Wassernutzung – 60 Prozent des dort eingesetzten Wassers gingen verloren. Bewässerung sei bei zunehmendem Wassermangel nicht immer möglich, daher gelte es, die Ressource möglichst effizient einzusetzen. Dazu sollten Pflanzen stets so versorgt sein, dass sie keinen Trockenstress erleiden und Ernteausfälle minimiert werden, erklärte Max Gulde. Stresseffekte treten bereits ein, bevor die Pflanzen erkennbar Schaden nehmen – die Verdunstung lässt nach, Kühleffekte gehen zurück und Pflanzen erhitzen. Aufgrund der großen landwirtschaftlich genutzten Fläche (mehr als 10 Milliarden Hektar) gelte es einfach anwendbare Lösungen zu finden. Mittels Thermo-Infrarotkameras auf Satelliten ließe sich der Bewässerungsbedarf je Feld exakt ermitteln, was deutlich günstiger sei, als jedes Feld, jede Weide und jeden Wald mit Sensoren auszustatten. Ein vielversprechender Lösungsansatz, wie ein erster Test an der Internationalen Raumstation ISS zeigte.
In der abschließenden Diskussion waren sich die Podiumsgäste darin einig, dass Satelliten zur Erdbeobachtung immer wichtiger werden, um den Planeten Erde besser zu untersuchen und zu verstehen. Ein digitaler Zwilling der Erde, basierend auf Echtzeit-Daten wie Oberflächentemperaturen, Luftfeuchtigkeit, Salzgehalt der Meere oder Luftqualität, könne entwickelt werden. Natürlich sollten die Satelliten möglichst klimafreundlich angetrieben werden und Raketenstarts auf Kerosin verzichten, stattdessen könne grüner Wasserstoff eine Chance sein. Internationale Koordination sei weiterhin ein Schlüssel zum Weltall – und unverzichtbar, um unerwünschte Nebeneffekte wie Weltraumschrott und Wildwüchse im Weltraumtourismus zu reduzieren.