Innovative Techniken für die Welternährung

Tutzing, 23. März 2022
Weltweit hungern über 800 Millionen Menschen, die meisten in Asien, Afrika und Lateinamerika. Zwei Milliarden leiden zudem unter „verborgenem Hunger“ – sie nehmen genug Kalorien zu sich, aber unzureichend Vitamine und Spurenelemente. Armut ist eine Ursache, doch es gibt noch viele andere Ursachen des Hungers bzw. des Mangels. Welchen Beitrag können moderne Wissenschaft und Technik leisten, um Menschen nicht nur satt, sondern auch gut ernährt zu machen? Bei der gemeinsamen Veranstaltung von acatech und dem Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften sowie der Evangelischen Akademie Tutzing, die am 8. März stattfand, sprachen die Expertinnen und Experten über innovative Techniken nicht nur für Acker- und Pflanzenanbau, sondern auch für Verpackung und Fleischersatz.
Es gebe doch ausreichend Lebensmittel, wird oft gesagt. Können diese auf der Welt nicht besser genutzt und verteilt werden? Zwar entscheidet sich die Frage der Welternährung auch an den Möglichkeiten ihrer Verteilung, aber ausschlaggebend ist letztendlich der ökonomische und ökologische Umgang mit den natürlichen Ressourcen.
Ökologische Intensivierung oder Erzeugung für den Weltmarkt
acatech Mitglied Friedhelm Taube, Leiter der Abteilung Grünland und Futterbau/Ökologischer Landbau am Institut für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung der Christian-Albrechts-Universität Kiel, sprach in seinem Vortrag über Herausforderungen und neue Ziele der Landwirtschaft. Er betonte in diesem Zusammenhang, dass die landwirtschaftliche Erzeugung in Einklang gebracht werden müsse mit entsprechenden nationalen Gesetzen, insbesondere dem Klimaschutzgesetz 2021. Die Herausforderung sei: gleich viel oder mehr zu produzieren, aber die bestehenden Belastungen deutlich zu reduzieren und die Umweltziele zu erreichen. Ökologische Intensivierung in Agrarlandschaften könne insbesondere durch Kooperationen umgesetzt werden. Damit könne eine nahezu identische Landnutzungseffizienz gewährleistet werden. Wichtig sei aber eine deutliche Reduktion der sozialen Kosten, so sein Fazit.
Verpackung und Wahrnehmung nachhaltiger Lebensmittel-Versorgung
Um das Ernährungsverhalten der Konsumentinnen und Konsumenten, aber vor allem um Resilienz, Souveränität und Nachhaltigkeit drehte sich der Vortrag von acatech Mitglied Andrea Büttner, Lehrstuhl für Aroma- und Geruchsforschung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und geschäftsführende Institutsleiterin des Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV). Nachhaltigkeit sei so vielfältig wie unsere Ernährungswirtschaft und entscheidend sei der „Geschmack“ der Konsumentinnen und Konsumenten, wenn es um die Akzeptanz beispielsweise neuer Produkte geht, so begann Andrea Büttner ihren Vortrag. Die Herausforderung sei es, die Landwirtschaft nachhaltiger zu machen, die Entwicklung von wohlschmeckenden Fleisch- und Milchalternativen auf Basis pflanzlicher Proteine zu fördern und Produktionsströme ganzheitlich zu nutzen. Das Ziel sei Bodengesundheit, Resilienz und Resistenz der Kulturpflanzen, standortgerechter Anbau, Bodendiversität und bedarfsgerechte Düngung, und für die Landwirte die Steigerung der Wertschöpfung und die Steigerung der Wertschätzung in der Gesellschaft. Vor allem aber die diversifizierte Produktion mit deutlich regionalerer Produktion in neuen kooperativen Geschäftsmodellen sei Basis für Resilienz und Souveränität in der Lebensmittelversorgung.
Cultured Meat – Ist Laborfleisch die Zukunft?
Mit der Frage nach den Möglichkeiten eine wachsende Bevölkerung mit steigendem Hunger auf Fleisch zu ernähren, befasste sich der Vortrag von acatech Vizepräsident Stefan Oschmann, ehem. Vorsitzender der Geschäftsleitung von Merck. Bis 2050 werde die Weltbevölkerung auf 9,7 Milliarden Menschen anwachsen und die Nachfrage nach Fleisch um 70 Prozent steigen, sagte Stefan Oschmann. Allerdings sei unser Fleischkonsum nicht nachhaltig, die Fleischproduktion steige weltweit und mit ihr der Land- und Wasserverbrauch und die CO2-Emissionen. Hinzu kämen eine steigende Antibiotikaresistenz bei den Tieren, Krankheitserreger, Parasiten und zoonotische Krankheiten. Als zukunftsweisende, umweltfreundlichere und gesündere Variante stelle er die Produktion von kultiviertem Fleisch vor: echtes Fleisch aus tierischen Zellen. Voraussetzung dafür seien kostengünstige und sehr leistungsfähige Zellkulturmedien, die frei von tierischen Bestandteilen sind. Die Firma Merck arbeitet aktuell an entsprechenden Technologien. Die Akzeptanz der Bevölkerung für kultiviertes Fleisch sei weltweit allerdings sehr unterschiedlich, sie hänge sowohl vom Alter, als auch vom Kulturkreis ab.
Die Innovations- und Aktions-Agenda des UN-Food Systems Summit 2021
Joachim von Braun, Professor (em.) für wirtschaftlichen und technologischen Wandel, Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF), Universität Bonn, acatech Mitglied und Vorsitzender der Wissenschaftlichen Beratungsgruppe des UN-Gipfels 2021, ging abschließend auf den Bedarf innovativer Techniken für die Welternährung und institutioneller, politischer und technologischer Innovationen ein. Er stellte fest, dass unser Ernährungssystem sowohl die Umwelt (Land, Wasser, Meere, Klima) zerstöre, als auch den Menschen schade, indem es auf der einen Seite zu hungernden, unterernährten Menschen führe, auf der anderen Seite zu adipösen, ungesund ernährten Menschen. Zur Verbesserung der aktuellen Situation stellte Joachim von Braun sieben Vorschläge mit kontextspezifischen, politischen und institutionellen Innovationen zur Beendigung des Hungers und zur Verbesserung der Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit gesunder und nährstoffreicher Lebensmittel vor.
Fazit: Die Antwort auf die Frage nach den richtigen Strategien für die Welternährung ist mehr als eine Glaubensfrage. Eingespielte Alternativen entpuppen sich zunehmend als Scheinlösungen. Vielversprechender sind die Lösungsmodelle, die den Gegensatz zwischen ökologischem Anbau und technischer Optimierung hinter sich lassen. So können auch Kleinbauern von moderner Technik profitieren.
Stephan Schleissing vom Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften der LMU München und Marc-Denis Weitze, acatech Geschäftsstelle, moderierten die Veranstaltung.
Aufzeichnung der Veranstaltung „Innovative Techniken für die Welternährung“:
Veröffentlicht am 29. März 2022
Dauer: 2 Stunden 11 Minuten 52 Sekunden
Impulsvorträge:
- Ökologische Intensivierung oder Erzeugung für den Weltmarkt
Prof. Dr. Friedhelm Taube, Leiter der Abteilung Grünland und Futterbau/Ökologischer Landbau, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Mitglied acatech - Verpackung und Wahrnehmung nachhaltiger Lebensmittel-Versorgung: Was trifft den Geschmack der Konsumentinnen und Konsumenten?
Prof. Dr. Andrea Büttner, Lehrstuhl für Aroma- und Geruchsforschung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und geschäftsführende Institutsleiterin des Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV), Mitglied acatech - Clean Meat – Ist Laborfleisch die Zukunft?
Dr. Stefan Oschmann, Ehem. Vorsitzender der Geschäftsleitung von Merck, Vizepräsident acatech - Die Innovations- und Aktions-Agenda des UN Food Systems Summit 2021
Prof. Dr. Joachim von Braun, Professor (em.) für wirtschaftlichen und technologischen Wandel, Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF), Universität Bonn, Mitglied acatech und Vorsitzender der Wissenschaftlichen Beratungsgruppe des UN Gipfels 2021