Kultur & Technik – Anmerkungen zur elektronischen Musik
München, 28. Juli 2021
Schnittstellen zwischen Kultur und Technik gibt es viele. Bei acatech am Dienstag stand am 20. Juli elektronische Musik im Fokus. Klangbeispiele machten deutlich, was dank Tonstudios, Musikinformatik und virtuellem Orchester heute möglich ist.
Zu Beginn der Veranstaltung fasste Wolfgang M. Heckl, acatech Mitglied und Generaldirektor des Deutschen Museums, die mehr als 100-jährige Geschichte der elektronischen Instrumente in zehn Minuten zusammen. Ob Theremin, Ondes Martenot, Trautonium oder Moog-Synthesizer – immer überschritten die jeweils neuesten Geräte alle bis dahin bekannten Möglichkeiten, Töne zu erzeugen.
Das um 1960 von der Siemens & Halske AG betriebene “Studio für elektronische Musik“ ist bis heute Zeugnis eines Pioniergeists, der Techniker und Komponisten zusammenbrachte. Aktuell ist es im Deutschen Museum zu besichtigen. Stefan Schenk, Musikwissenschaftler an der Ludwig-Maximilians-Universität München, stellte die Geschichte und die Möglichkeiten des Studios vor. Es besteht aus elektrotechnischen Apparaten, Magnetbandgeräten, einem Reglerpult, Schiebereglern und einer Orgel, die mit einem Lesegerät für Lochstreifen verbunden ist. Geboren wurde die Idee zu diesem Tonstudio, als Carl Orff im Jahr 1955 für den Siemens-Konzern die Musik zu einem abendfüllenden Dokumentarfilm über die technischen Leistungen des Unternehmens komponieren sollte. Orff lehnte jedoch ab und schlug stattdessen den jüngeren Kollegen Josef Anton Riedl vor, der sich schon damals mit elektronischen Klängen befasste. Riedl bekam Unterstützung durch ein in Gauting angesiedeltes Labor von Siemens, dessen Apparaturen für musikalische Zwecke modifiziert wurden. Nach drei Jahren war der Film mit Musik aus dem Tonstudio fertiggestellt.
Angetrieben von der Idee, ein neues Geschäftsfeld zu erschließen, eröffnete Siemens im Jahr 1960 ein Tonstudio mit acht Räumen. Es sollte einerseits der Förderung elektronischer Musik und entsprechender, hervorragender Komponisten dienen und andererseits für die kommerziellen Produktion von elektronischer Musik für Film und Schallplatte genutzt werden. Es entstanden Filmmusiken für den Bayer-Konzern, die Deutsche Bundespost, aber auch kommerzielle Tanzmusik. Weitere Auftraggeber waren Theater und Rundfunkanstalten.
Komponist und Musikinformatiker Thomas Hummel sprach über das virtuelle Orchester, das es Komponisten ermöglicht, eigene Kompositionen ohne Dirigenten und Ensemble einzuspielen. Dazu wird die Partitur eines Musikstücks in die Einzelstimmen zerschnitten und im Playback Verfahren aufgenommen. Ergebnis dieses Arbeitsschrittes ist eine immense Anzahl kleinster Musik-Schnipsel, die teilweise nur Bruchteile einer Sekunde dauern. Um daraus ein Abbild der Partitur zusammenzusetzen, müssen mitunter falsche Tonhöhen entfernt, falsche Rhythmen korrigiert werden, damit, so Thomas Hummel, eine perfekte Aufnahme des Werkes entsteht. Ein einstündiges Werk verlangt etwa 10.000 Schnitte, die freilich nicht hörbar sein dürfen.
Thomas Hummel stellte seine Datenbank des zeitgenössischen Orchesters vor, die aus mehr als 87.000 einzelnen Klängen besteht. Sie sammelt Klänge, aber auch verschiedene Spieltechniken – derzeit mehr als 4000 verschiedene Spieltechniken, also teilweise mehrere 100 Spieltechniken je Instrument. Bis zu 150 Orchesterinstrumente können integriert werden, und damit lassen sich zeitgenössische Partituren realistisch abspielen – ohne kostspieliges Orchester.
Technikphilosoph und acatech Mitglied Klaus Kornwachs beschrieb in seinem Kommentar, wie die Digitalisierung der Tonstudiotechnik eine Explosion an Möglichkeiten zur Folge hatte. Die strukturelle und die akustisch-phonetische Seite der Musik konnten dadurch verschmelzen – eine Konvergenz von analoger und digitaler Technik. Beide Seiten seien schon immer kulturellen wie technischen Veränderungen ausgesetzt gewesen und veränderten sich in ihren Möglichkeiten, sagte Klaus Kornwachs. Das Instrument beeinflusse den Komponisten wie den Interpreten, aber Komponist und Interpret hätten immer wieder auch die Weiterentwicklung der Instrumente forciert. In der elektronischen Musik geht es also um eine spannungsreiche Wechselwirkung zwischen Technik und Kultur, schlussfolgerte Klaus Kornwachs – was sie zu einem fruchtbaren Feld für die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften macht.
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AK Grundfragen